Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1995

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


Inhalt | Zurück

Rainer Grote

XVIII. Rechtsfolgen der Wiedervereinigung

3. Kriegs-, Besatzungs- und Teilungsfolgen

    315. Bei den Verhandlungen über die Rückgabe deutscher Kulturgüter, die während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von russischen Truppen nach Moskau geschafft wurden, konnten auch im Berichtszeitraum keine Fortschritte erzielt werden. Zum Stand der Verhandlungen führte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine entsprechende Parlamentarische Anfrage hin aus:

    "Mit dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages von 1990 und dem deutsch-russischen Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit von 1992 wurden die politischen und vertragsrechtlichen Voraussetzungen für die Rückführung deutscher Kulturgüter geschaffen, die während oder in Folge des Zweiten Weltkrieges in die damalige Sowjetunion verlagert worden waren. Beide Abkommen sehen in gleichlautenden Artikeln (Artikel 16 Abs. 2 des Nachbarschaftsvertrages und Artikel 15 des Kulturabkommens) vor, daß verschollene und unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden müssen. Auf dieser Grundlage verhandelt die Bundesregierung seit 1993 über die Rückführung der Kulturgüter.
    Leider haben die ersten drei Verhandlungsrunden in Dresden, Moskau und Bonn bisher nicht zu substantiellen Rückgaben entsprechend unseren vertraglich und völkerrechtlich abgesicherten Rückführungsansprüchen geführt. Vor dem Hintergrund der schwierigen innenpolitischen Verhältnisse in Rußland und angesichts der dort bestehenden Unklarheiten hinsichtlich innerstaatlicher Kompetenz- und Entscheidungsstrukturen lassen sich z.Z. keine sicheren Angaben darüber machen, wann die bilateralen Rückführungsverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden können."800
    Im April 1995 erließ die russische Staatsduma ein Moratorium für alle Rückführungen bis zur Schaffung einer innerstaatlichen gesetzlichen Grundlage. Zu der dadurch eingetretenen Veränderung der Verhandlungslage erklärte die Bundesregierung in ihrem Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik 1994/95:
    "Zunehmend ist seitdem deutlich geworden, daß die Rückführungsfrage in Rußland das aktive Interesse insbesondere der nationalistischen Opposition hat. Mehrere in der Zwischenzeit sowohl vom russischen Föderationsrat als auch von der Staatsduma eingebrachte Gesetzentwürfe, die nach Rußland verbrachte Kulturgüter zu russischem Eigentum erklären oder Rückgaben von Kompensationszahlungen abhängig machen und praktisch kaum überwindbare administrative Rückführungshindernisse aufbauen, verfehlten z.T. nur knapp die erforderliche Mehrheit."801
    Zur Berechtigung möglicher russischer Forderungen nach Gegenleistungen für die Rückgabe deutscher Kulturgüter führte die Bundesregierung aus:
    "Die Bundesregierung verhandelt mit Rußland über die Rückführung von Kulturgütern auf der Grundlage der bereits zitierten Artikel 16 Abs. 2 des deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrages bzw. Artikel 15 des deutsch-russischen Kulturabkommens. In beiden Verträgen sind keinerlei Gegenleistungen für die Rückführung von kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern vorgesehen. An diesem Grundsatz wird sich die Bundesregierung aus vertrags- und völkerrechtlichen Gründen auch in den weiteren Verhandlungen orientieren."802

    316. Mit Polen wurde im Rahmen der Verhandlungen über die Rückführung von Kulturgütern im April 1995 ein Sachprotokoll unterzeichnet, in dem auf der Grundlage von Art. 28 des Nachbarschaftsvertrages niedergelegt ist, daß in den Verhandlungen anhand von Einzelfällen vorgegangen wird und dabei auch über die Restitution der betreffenden Kulturgüter verhandelt wird. Konkrete Vereinbarungen über die Rückführung bestimmter Kulturgüter konnten aber im Berichtszeitraum nicht getroffen werden.803

    317. Die Rehabilitierung Bürger deutscher Abstammung in der Republik Moldau, die während der stalinistischen Zeit Opfer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen waren, war Gegenstand der Gemeinsamen Erklärung über die Grundlagen der Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau vom 11. Oktober 1995. Darin heißt es unter Punkt 14:

    "Die Bundesrepublik Deutschland begrüßt, daß die Republik Moldau sich entschlossen hat, die Bürger deutscher Abstammung, die in den Jahren stalinistischer Repressalien gezwungen waren, ihre Herkunft zu verleugnen und die vielfältiger Verfolgung ausgesetzt waren, voll zu rehabilitieren.
    Beide Seiten sind sich einig, daß diese Rehabilitierung dazu geeignet ist, den Deutschen, unbeschadet ihres Rechts auf Ausreise, zu helfen, für sich und ihre Kinder eine Zukunftsperspektive zu sichern und ihre Heimat in der Republik Moldau zu erhalten."804

    318. Aus Anlaß einer Schriftlichen Anfrage stellte die Bundesregierung klar, daß durch den deutsch-tschechoslowakischen und den deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft keine Regelung der mit der entschädigungslosen Einziehung deutschen Vermögens nach dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Fragen erfolgt sei:

    "Die Bundesregierung hat die Vertreibung der Deutschen und die entschädigungslose Einziehung deutschen Vermögens immer als völkerrechtswidrig verurteilt. Im Vertrag mit Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juli 1991 wie auch in dem gleichnamigen Vertrag mit der Tschechoslowakei vom 27. Februar 1992 wird jeweils in dem dazugehörigen Briefwechsel festgestellt, daß sich der Vertrag nicht mit Vermögensfragen befaßt. Damit ist die Rechtsposition der Bundesregierung ausdrücklich offengehalten worden."805

    319. Im Hinblick auf die Entschädigungsansprüche tschechischer NS-Opfer führte Bundesaußenminister Kinkel im Rahmen der Regierungserklärung zu den deutsch-tschechischen Beziehungen aus:

    "In der Tschechischen Republik leben heute noch Opfer schweren nationalsozialistischen Unrechts, das von Deutschen begangen wurde. Wir schulden diesen Menschen Gerechtigkeit und Genugtuung. Dementsprechend wollen und werden wir auch handeln, so wie wir es in vergleichbaren Fällen getan haben. Und wir wissen: Die Zeit drängt."806
    Zugleich setzte sich der Bundesaußenminister dafür ein, daß die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertriebenen Sudetendeutschen auf Wunsch die tschechische Staatsangehörigkeit wiedererlangen können:
    "Präsident Havel bietet den vertriebenen Sudetendeutschen an, als Gäste willkommen zu sein. Wir würden uns wünschen, daß die tschechische Regierung noch einen Schritt weitergeht und von den 'früheren Landsleuten' spricht, die, wenn sie es denn wollen, auch wieder Landsleute werden könnten."807

    320. Im Hinblick auf die Entschädigungsansprüche griechischer NS-Opfer erklärte die Bundesregierung auf Anfrage im Bundestag:

    "Nach Ablauf von 50 Jahren seit Kriegsende und Jahrzehnten friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft hat die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren. Deutschland hat seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges in hohem Maße Reparationsleistungen erbracht, die die betroffenen Staaten nach allgemeinem Völkerrecht zur Entschädigung ihrer Staatsangehörigen verwenden sollten. Allein durch Wiedergutmachung und sonstige Leistungen wurde ein Vielfaches der ursprünglich auf der Konferenz von Jalta ins Auge gefaßten Reparationen in Höhe von 20 Mrd. US-$ erbracht. Im übrigen wären Reparationen 50 Jahre nach Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen in der völkerrechtlichen Praxis ein Sonderfall ohne jede Präzedenz.
    Soweit zur Befriedigung von Reparationsleistungen eine Beschlagnahme des deutschen Auslandsvermögens erfolgte, hat auch Griechenland daran partizipiert. Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 sah eine Verteilung der deutschen Gebiete und Vermögenswerte einschließlich des deutschen Auslandsvermögens vor.
    Zur abschließenden Regelung von Ansprüchen Griechenlands infolge von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gegen griechische Staatsangehörige, die Freiheits- oder Gesundheitsschäden erlitten hatten, zahlte die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Vertrages vom 18. März 1960 'über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind' an Griechenland 115 Mio. DM."808

    321. Am 19. September 1995 unterzeichnete die Bundesregierung im Zusammenhang mit der von dem amerikanischen Staatsangehörigen Hugo Princz vor amerikanischen Gerichten anhängig gemachten Klage auf Entschädigung wegen der ihm durch NS-Verfolgungsmaßnahmen zugefügten Leiden mit der Regierung der Vereinigten Staaten ein "Agreement Concerning Final Benefits to Certain United States Nationals Who Were Victims of National Socialist Measures of Persecution".809 Dabei handelt es sich um ein Regierungsabkommen zur Regelung bestimmter, noch offener Wiedergutmachungsfragen, die sich an die Regelungen früherer vergleichbarer Abkommen mit westeuropäischen Staaten anlehnt. Die von deutscher Seite zur Verfügung gestellten Mittel sollen zur Entschädigung von durch die Nationalsozialisten schwerstverfolgten US-Bürgern dienen, die aus formellen Gründen keine Leistungen nach den gesetzlichen deutschen Entschädigungsregelungen erhalten haben.810 Nach Art. 1 werden von dem Abkommen Entschädigungsansprüche von amerikanischen Staatsangehörigen erfaßt, die als Folge unmittelbar gegen sie gerichteter nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen Einbußen an ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit oder ihrer körperlichen Unversehrtheit erlitten haben. Die Entschädigungsberechtigten müssen bereits zum Zeitpunkt der Verfolgung amerikanische Staatsbürger gewesen sein und dürfen bisher noch keine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland erhalten haben. Das Abkommen erstreckt sich hingegen nicht auf Personen, die als Zwangsarbeiter eingesetzt, jedoch nicht in einem Konzentrationslager als Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen festgehalten wurden. Zur Erfüllung der von dem Abkommen erfaßten, bisher bekannt gewordenen Ansprüche zahlt die Bundesregierung innerhalb von 30 Tagen nach Inkrafttreten des Abkommens an die Regierung der Vereinigten Staaten eine Summe von drei Millionen DM. Die Aufteilung des Geldes unter die Entschädigungsberechtigten liegt im Ermessen der amerikanischen Regierung (Art. 2, 3). Nach Eingang der Zahlung erklärt die amerikanische Regierung alle bisher bekannt gewordenen Entschädigungsansprüche amerikanischer Staatsbürger für Schäden der in Art. 1 genannten Art für endgültig erledigt. Ferner kommen amerikanische Staatsangehörige nur dann in den Genuß von Zahlungen nach dieser Vereinbarung, wenn sie auf alle ihre Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 1 gegen die Bundesrepublik Deutschland und ihre Staatsangehörigen verzichten (Art. 4). Die Bundesregierung und die Regierung der Vereinigten Staaten beabsichtigen, zwei Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens Gespräche über die Zahlung eines weiteren Pauschalbetrags zur Abdeckung der zwischenzeitlich bekannt gewordenen Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 1 des Abkommens aufzunehmen.
    In dem begleitenden Notenwechsel zu dem Abkommen betonte die Bundesregierung, daß Zahlungen nur zugunsten solcher amerikanischer Staatsangehöriger erfolgten, die aus den Gründen des § 1 Bundesentschädigungsgesetz Opfer nationalsozialistischer Verfolgung geworden sind:

    "Any payment by the Government of the Federal Republic of Germany under this Agreement will be only for the benefit of United States nationals who were victims of National Socialist measures of persecution by reason of their race, their faith or their ideology."811

    322. Die Bundesregierung nahm darüber hinaus im Bundestag ausführlich zu den Entschädigungszahlungen an die ehemaligen KZ-Häftlinge in West- und Osteuropa Stellung:

    "Die bisherigen Leistungen der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Wiedergutmachung nach dem Bundesentschädigungsgesetz belaufen sich auf inzwischen ca. 76 Mrd. DM. Hierin nicht enthalten sind unter anderem die Leistungen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz (ca. 3,936 Mrd. DM), dem Entschädigungsrentengesetz (ca. 0,579 Mrd. DM), dem Israelvertrag (3,45 Mrd. DM), den Globalverträgen mit 16 weiteren Staaten (ca. 2,5 Mrd. DM; darunter auch ca. 1,6 Mrd. DM für osteuropäische Staaten) sowie viele weitere � zum Teil nicht bezifferbare � Leistungen in Milliardenhöhe, beispielsweise über das Bundesgesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung, über das Bundesgesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung (einschließlich des Sondergesetzes für Berechtigte im Ausland) und die außergesetzlichen Härteregelungen der Bundesregierung für jüdische und nicht-jüdische NS-Opfer. Für außergesetzliche Härteleistungen an jüdische NS-Opfer wurden der Claims Conference für die Jahre 1993 bis 1999 aufgrund der Artikel-2-Vereinbarung vom Herbst 1992 insgesamt 975 Mio. DM zur Verfügung gestellt bzw. zugesagt. Unter Einschluß der erwähnten Leistungen auf dem Gebiet der Wiedergutmachung in der Sozialversicherung belaufen sich die bisherigen Gesamtzahlungen schon jetzt auf weit über 100 Mrd. DM.
    Darüber hinaus hat die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des deutsch-polnischen Abkommens vom 9. Oktober 1975 über die Renten- und Unfallversicherung an die damalige Volksrepublik Polen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 1,3 Mrd. DM geleistet. Hierdurch wurde die Volksrepublik Polen in die Lage versetzt, u.a. die sozialversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche von ehemaligen KZ-Häftlingen nach innerstaatlichem Recht zu verbessern."812

    323. Im Berichtszeitraum schloß die Bundesrepublik Abkommen über die Kriegsgräberfürsorge mit Armenien813, Aserbeidschan814, Estland815, Kasachstan816, der Republik Moldau817 und Usbekistan818 ab. In Kraft traten entsprechende Abkommen mit Albanien819 und Georgien820.


    800 BT-Drs. 13/386, 1 f.
    801 Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 1994/95, BT-Drs. 13/3823, 17.
    802 BT-Drs. 13/386, 2.
    803 Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 1994/95, BT-Drs. 13/3823, 17.
    804 Bull. Nr. 87 vom 27.10.1995, 851.
    805 BT-Drs. 13/618, 1.
    806 Regierungserklärung vom 17.3.1995, Bull. Nr. 21 vom 20.3.1995, 173.
    807 Ibid., 174.
    808 BT-Drs. 13/2878.
    809 ILM 35 (1996), 195.
    810 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Entschädigungszahlung an den US-amerikanischen Bürger und KZ-Überlebenden Hugo Princz durch die Bundesrepublik Deutschland, BT-Drs. 13/3190, 2. Im Fall Princz war eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz daran gescheitert, daß der Betroffene bereits zum Zeitpunkt der Verfolgungsmaßnahme amerikanischer Staatsbürger war.
    811 Note an das amerikanische Außenministerium vom 19.9.1995, ILM 35 (1996), 197.
    812 BT-Drs. 13/3190, 3 f.
    813 Abkommen vom 21.12.1995, BGBl. 1996 II, 2743.
    814 Abkommen vom 22.12.1995, BGBl. 1996 II, 2746.
    815 Abkommen vom 12.10.1995, BGBl. 1996 II, 1243. Das Abkommen ist am 26.10.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1997 II, 1076.
    816 Abkommen vom 10.4.1995, BGBl. 1996 II, 491; das Abkommen ist am 7.6.1996 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 1302.
    817 Abkommen vom 11.10.1995, BGBl. 1996 II, 1180.
    818 Abkommen vom 11.4.1995, BGBl. 1996 II, 486.
    819 Abkommen vom 14.4.1994, BGBl. 1994 II, 3631, in Kraft getreten am 7.1.1995, BGBl. 1995 II, 904.
    820 Abkommen vom 25.6.1993, BGBl. 1994 II, 3636, in Kraft getreten am 5.2.1995, BGBl. 1995 II, 203.