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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


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Karen Raible


IX. Menschenrechte und Minderheiten

5. Minderheiten

    83. Im Rahmen einer großen Anfrage zur Umsetzung des Schlußdokuments der 2. Menschenrechtsweltkonferenz "Wiener Erklärung und Aktionsprogramm" vom Juni 1993 erläuterte die Bundesregierung am 13. Januar 1998 ihre Bemühungen zum Schutz und zur Förderung der Rechte der Angehörigen von Minderheiten:

"Die Bundesregierung mißt dem Ausbau der völkerrechtlichen Schutzmechanismen für nationale sowie ethnische, sprachliche und religiöse Minderheiten einen hohen Stellenwert bei. Angesichts der Verschiedenartigkeit von Minderheitenkonstellationen weltweit betrachtet die Bundesregierung eine regionale Herangehensweise als den am ehesten geeigneten Weg zur Erarbeitung von Lösungsansätzen im Bereich des Schutzes nationaler sowie ethnischer, sprachlicher und religiöser Minderheiten. Vor diesem Hintergrund unterstützt die Bundesregierung die Aktivitäten der OSZE, des Europarats und des Ostseerats zum Ausbau der entsprechenden Schutzmechanismen in Europa und dem angrenzenden Raum mit Vorrang. Des weiteren wird die Politik der Bundesregierung in wesentlichen Teilen auch durch die Tatsache bestimmt, daß Deutschland zum einen die Heimat nationaler Minderheiten ist, und daß sich zum anderen eine große Anzahl von Menschen in verschiedenen Regionen der Welt aufgrund ihrer Abstammung von deutschsprachigen Vorfahren Deutschland in besonderer Weise verbunden fühlt. Dies spiegelt sich auch in den bilateralen Verträgen Deutschlands mit der ehemaligen UdSSR, Polen, der Tschechoslowakei (mittlerweile übergeleitet auf die Nachfolgestaaten), Ungarn, Rumänien, Kasachstan und der Ukraine wieder, die Artikel enthalten, in denen die Rechte der deutschsprachigen Minderheiten auf Bewahrung und Entwicklung der eigenen Identität, Sprache und Kultur völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben wurden."168

    84. In ihrer Antwort auf dieselbe Große Anfrage ging die Bundesregierung am 13. Januar 1998 auf den Schutz und die Stärkung indigener Bevölkerungen ein.169 Sie unterstütze die Arbeit der von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen mit Resolution 1995/32 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer "Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte eingeborener Bevölkerungen". Ferner begrüße sie das im Rahmen des Internationalen Jahrzehnts diskutierte Vorhaben der Einrichtung eines "Permanenten Forums der eingeborenen Völker" im Rahmen der Vereinten Nationen. Des weiteren verfolge die Bundesregierung mit Interesse die Arbeit der von der Unterkommission der Vereinten Nationen für Diskriminierungsverhütung und Minderheitenschutz eingesetzten Arbeitsgruppe zur Entwicklung völkerrechtlicher Standards zum Schutz der Rechte eingeborener Bevölkerungen und zur Bewahrung ihrer überlieferten sozialen, kulturellen, religiösen und geistigen Werte und Gepflogenheiten sowie der Unversehrtheit ihres Eigentums, ihrer Einrichtungen und ihrer Umwelt.

    85. Im Berichtszeitraum brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierung und zur Stärkung von Minderheitenrechten (Antidiskriminierungs- und Minderheitenrechtsgesetz) in den Bundestag ein.170 In der Begründung zum Gesetzentwurf171 heißt es, daß in der Bundesrepublik Deutschland besonders Angehörige dreier gesellschaftlicher Gruppen im täglichen Leben häufiger mit Diskriminierungen konfrontiert seien als andere. Dabei handele es sich 1. um Menschen mit einer tatsächlichen oder vermeintlichen anderen ethnischen Abstammung, Herkunft oder Zugehörigkeit als die Mehrzahl der Deutschen, 2. um Schwule und Lesben und 3. um behinderte Menschen. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG biete keinen ausreichenden Schutz vor Diskriminierung. Zum einen sei der Merkmalskatalog des Art. 3 Abs. 3 GG ergänzungsbedürftig, zum anderen komme Art. 3 Abs. 3 GG wie alle Grundrechte im Privatrechtsverkehr nur mittelbar zur Anwendung. Der bestehende einfachgesetzliche Schutz sei, abgesehen von �� 611a, 611b BGB sowie � 75 BetrVG, gleichfalls unzureichend.

    In völker- und europarechtlicher Hinsicht wird in der Begründung zum Gesetzentwurf weiter ausgeführt, daß die Bundesrepublik Deutschland von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen bereits mehrmals aufgefordert worden sei, insbesondere den Schutz von Migranten vor Diskriminierung zu verbessern. Zudem erfülle die Bundesrepublik Deutschland durch die Verbesserung des Schutzes von Diskriminierung ihre Verpflichtungen aus dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung. Nachdem der Vertrag von Amsterdam den EG-Vertrag um einen neuen � 6a ergänze, befinde sich die Bundesrepublik Deutschland mit einem Antidiskriminierungsgesetz überdies auf der Linie der Rechtsentwicklung innerhalb der Europäischen Union.

    Zum Inhalt des Gesetzentwurfs wird in der Begründung zunächst klargestellt, daß sich das Antidiskriminierungs- und Minderheitenrechtsgesetz im wesentlichen auf die Bekämpfung von Diskriminierungen im privatrechtlichen Verkehr sowie auf Antidiskriminierungsmaßnahmen, die für alle hier relevanten Personenkreise gleichermaßen zur Anwendung kommen können, beschränke. Nicht behandelt werden sollen rechtliche Probleme, die die jeweiligen Personenkreise in jeweils unterschiedlicher Form betreffen. Der Gesetzentwurf sei außerdem von drei Leitgedanken getragen:

"1. Konzentration der rechtlichen Umsetzung einer aktiven Antidiskriminierungspolitik in einem gesonderten Antidiskriminierungsgesetz;
2. Abbau von Diskriminierungen im gesellschaftlichen Bereich durch Bereitstellung primär zivilrechtlicher Abwehrmittel;
3. Institutionalisierung einer/eines Antidiskriminierungsbeauftragten, welche/welcher die Durchführung des Antidiskriminierungsgesetzes im Bereich des öffentlichen Dienstes unterstützt und die Einhaltung des Antidiskriminierungsgesetzes überwacht, sowie Einführung einer Antidiskriminierungskommission."172

    Weiterhin sehe der Gesetzentwurf die notwendige Ergänzung strafrechtlicher Vorschriften sowie die Verbesserung weiterer dienst- und haushaltsrechtlicher Vorschriften vor. Ein einheitliches Diskriminierungsgesetz habe gegenüber einer Erweiterung bestehender Rechtsvorschriften den Vorteil, daß es für Rechtsklarheit und damit auch für eine Effektivierung des Rechtsschutzes sorge. Die notwendige Herstellung der gesellschaftlichen Gleichheit werde durch die Einführung einer Generalklausel gewährleistet, die das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG für besonders betroffene Personen auf privatrechtliche Beziehungen ausweite. Die Generalklausel werde durch Regelbeispiele ergänzt, die besonders häufig vorkommende Diskriminierungstatbestände erfassen. Als flankierende Maßnahmen zum Ausbau des privatrechtlichen Schutzes werde zum einen ein Antidiskriminierungsbeauftragter ernannt und zum anderen eine Antidiskriminierungskommission eingerichtet. Der Antidiskriminierungsbeauftragte unterstütze den deutschen Bundestag, die Bundesregierung und die Bundesministerien bei der effektiven Umsetzung des Antidiskriminierungsgesetzes und stelle einen zentralen Ansprechpartner sowohl für betroffene Bürger als auch für die Bediensteten des Bundes dar. Die Antidiskriminierungskommission binde gesellschaftliche Organisationen und Interessenverbände in die Erarbeitung weiterer Vorschläge und Empfehlungen zu Fragen der Antidiskriminierungspolitik ein.

    Der Abgeordnete des Bundestages und Angehörige der CDU/CSU Fraktion Mahlo erklärte in der Aussprache über den Gesetzentwurf:

"Insgesamt bekenne ich mich zu einer gewissen Skepsis gegenüber den vorgeschlagenen Gesetzen. Rechtliche Maßnahmen und Sanktionen sollten jedenfalls den Fällen vorbehalten bleiben, wo privates Verhalten in besonders grober Weise den 'ordre public' unserer Gesellschaft verletzt und damit das allgemeine Wohl tangiert wird. Generell denke ich, daß sich gesellschaftliche Mißstände auch nur gesellschaftlich überwinden lassen, d.h. durch Überzeugungsarbeit, durch Beispiel, durch Einüben in Toleranz, nicht aber durch das Bekämpfen von Symptomen."173

    86. Am 1. Februar 1998 trat das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten in Kraft.174 Bundesaußenminister Kinkel teilte am 30. Januar 1998 anläßlich des bevorstehenden Inkrafttretens des Rahmenübereinkommens Einzelheiten zu seinem Anwendungsbereich in der Bundesrepublik Deutschland mit:

"In Deutschland findet das Übereinkommen auf die Angehörigen der dänischen Minderheit und des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit Anwendung. Außerdem werden durch das Übereinkommen auch die in Deutschland heimischen Volksgruppen der Friesen und der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit geschützt. Diesen traditionell in Deutschland heimischen Volksgruppen bringt das Übereinkommen eine breitere Absicherung ihrer tatsächlichen und rechtlichen Lage durch das Völkerrecht. Der Schutz der Konvention kommt aber auch den deutschen Minderheiten im Ausland zugute."175

    Des weiteren erklärte Kinkel, da� es ein Ziel der noch bis Mai 1998 andauernden Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland im Europarat sei, den Überwachungsmechanismus des Rahmenübereinkommens so schnell wie möglich in Kraft zu setzen.

    87. Im Berichtszeitraum unterzeichneten der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern Carstens und die dänische Forschungsministerin Hilden ein Ressortabkommen für den Betrieb und die Förderung des in Flensburg ansässigen European Centre for Minority Issues (ECMI) sowie ein Verwaltungsabkommen, das die anteilige Beteiligung der deutschen Seite an der Finanzierung des ECMI regelt. Das ECMI befaßt sich als unabhängige Stiftung in europäischer Perspektive mit dem Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten. Minderheiten im Sinne dieser Aufgaben sind nationale Minderheiten sowie andere traditionelle Volksgruppen. Das ECMI erarbeitet Gesamtanalysen und Präsentationen und baut ein Dokumentationszentrum sowie eine Europäische Daten- und Modellbank zu Minderheitenfragen auf.176

    88. Der Bundestag beschloß mit Zustimmung des Bundesrates am 9. Juli 1998 das Gesetz zur Europäischen Charta der Regional- und Minderheitssprachen des Europarats vom 5. November 1992.177 In ihrer Denkschrift zu der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen178 führte die Bundesregierung aus, daß die herkömmlicherweise in Europa gesprochenen Regional- oder Minderheitensprachen als bedrohter Aspekt des Europäischen Kulturerbes geschützt und gefördert werden sollen. In der Charta werde zum einen das Recht geschützt, im privaten Bereich und in der Öffentlichkeit eine Regional- oder Minderheitensprache zu benutzen. Im Rahmen des Möglichen und des Zumutbaren werden zum anderen durch die Verpflichtungen der Charta konkrete Gelegenheiten für die Benutzung von Regional- oder Minderheitensprachen geschaffen oder erhalten, um diese Sprachen durch die regelmäßige Benutzung vor dem Aussterben zu bewahren.

    In der Charta sind Kriterien für den Begriff der Regional- oder Minderheitensprachen genannt. Angelegenheit der Vertragsstaaten ist es jedoch, den Anwendungsbereich der Charta zu bestimmen und festzulegen, welche Bestimmungen über die Umsetzung der allgemeinen Bestimmungen hinaus auf welche Sprache angesichts der unterschiedlichen Lage der einzelnen Regional- oder Minderheitensprachen angewendet werden und welche Maßnahmen angemessen sind. Alle Minderheiten- oder Regionalsprachen in einem Vertragsstaat haben nach Inkrafttreten der Charta Anspruch auf Schutz gemäß Teil II der Charta, der in Art. 7 allgemeine Ziele und Grundsätze der staatlichen Politik hinsichtlich dieser Sprachen festschreibt. Anspruch auf Schutz nach Teil III der Charta haben demgegenüber nur solche Minderheiten- oder Regionalsprachen, für die die Vertragsstaaten einen solchen Schutz angemeldet haben. Teil III der Charta führt detaillierte Verpflichtungen auf, von denen mindestens 35 übernommen werden müssen.

    Die Bundesregierung gab im Berichtszeitraum zwei Erklärungen gegenüber dem Europarat ab, die den Anwendungsbereich der Charta in Deutschland beschreiben und die Zulässigkeit einer entsprechend dem föderalen Staatsaufbau territorial differenzierenden Umsetzung der Charta sicherstellen. Dabei handelt es sich um die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Vorbereitung der Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen vom 23. Januar 1998179 sowie die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der Verpflichtungen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen hinsichtlich Teil II der Charta vom 26. Januar 1998.180 Danach wurden die Minderheitensprachen Dänisch in Schleswig-Holstein, Obersorbisch in Sachsen, Niedersorbisch in Brandenburg, Nordfriesisch in Schleswig-Holstein und Saterfriesisch in Niedersachsen sowie die Regionalsprache Niederdeutsch in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein als diejenigen Sprachen modifiziert, auf die Teil III der Charta zur Anwendung kommt. Die Minderheitensprache Romanes in ganz Deutschland sowie die Regionalsprache Niederdeutsch im Gebiet der Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt genießen dagegen lediglich den Schutz nach Teil II der Charta in Verbindung mit einzelnen Bestimmungen aus Teil III.

    89. Anläßlich einer Begegnung mit Vertretern der dänischen Minderheit im Borgerforenengen in Flensburg am 20. Juli 1998 erklärte Bundespräsident Herzog:

"Dänische und deutsche Schleswig-Holsteiner liefern täglich den Beweis dafür, daß Menschen mit unterschiedlichem nationalen Hintergrund sinnvoll und spannungsfrei zusammenleben und zusammenarbeiten können. ... Die deutsch-dänische Erfolgsgeschichte beginnt 1955 mit dem Austausch der Erklärungen von Bonn und Kopenhagen durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatsminister Hans-Christian Hansen. Dänemark und Deutschland haben damals für den Umgang mit ihrer jeweiligen Minderheit einfache, aber effektive Formeln gefunden. Ich will nur eines zitieren: 'das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei, es darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden.' Gleiches gilt für die deutschen Nordschleswiger. Die Bonner und die Kopenhagener Erklärungen waren geprägt vom Willen, von einem Gegeneinander über ein Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen: in diesem Sinne ist das Zusammenleben von Minderheit und Mehrheit im Landesteil Schleswig in der Tat ein Muster, von dem auch andere lernen können."181



    168 BT-Drs. 13/9595, 13.
    169 Ibid., 14.
    170 BT-Drs. 13/9706 vom 20.1.1998, 3 f.
    171 Ibid., 8 f.
    172 Ibid., 10.
    173 BT-PlPr. 13/233, 21408.
    174 Vgl. zum Inhalt des Übereinkommens Bank (Anm. 1), Ziff. 102.
    175 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/p/P980130A.html.
    176 Innenpolitik II/1998 vom 19.5.1998, 9.
    177 BGBl. 1998 II, 1210.
    178 BT-Drs. 13/10268 vom 31.3.1998, 30 f.
    179 BGBl. 1998 II, 1334.
    180 BGBl. 1998 II, 1336.
    181 Bull. Nr. 53 vom 29.7.1998, 692.