Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1998

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1998


Inhalt | Zurück | Vor

Karen Raible


XV. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften

1. Verträge

    180. Vertrag von Amsterdam

    Dem Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 wurde durch Vertragsgesetz vom 8. April 1998415 zugestimmt.416 Anläßlich der abschließenden Beratung des Vertrags von Amsterdam erklärte der Bundesaußenminister Kinkel am 27. März 1998 im Bundesrat:

"Der Vertrag von Amsterdam erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber er bringt die Europäische Union ein großes und wichtiges Stück voran - und zwar so, daß auch unsere Bürger etwas davon haben.
- Die Stellung des Europäischen Parlaments wurde gestärkt - und damit auch die Demokratie und die Rechte der Bürger in Europa.
- Den größten Fortschritt bringt Amsterdam jedoch bei der inneren Sicherheit, der europaweiten Bekämpfung des organisierten Verbrechens, beim Schutz vor Kriminellen und Schleusern in der Asyl- und Visapolitik - alles brennende Anliegen unserer Bürger.
- Der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gibt der Vertrag Gesicht und Stimme, stärkt das Mehrheitsprinzip - also die Geschlossenheit unseres Handelns.
- Dem einzelnen Bürger bringt der neue Vertrag eine Fülle von Verbesserungen: vom Verbraucher- bis zum Umweltschutz.
- Besondere deutsche Anliegen und Forderungen der Länder sind berücksichtigt worden:
- Die Bestandsgarantie für unser Sparkassensystem und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Festschreibung der kommunalen Selbstverwaltung und - vor allem - das neue Subsidiaritätsprotokoll!
- Der Konsens mit den Ländern bei europapolitischen Entscheidungen ist der Bundesregierung wichtig.

Deshalb ist es gut, daß wir einvernehmliche Lösungen im Hinblick auf die Bund-Länder-Vereinbarung gefunden haben.

Amsterdam ist aber kein Endpunkt! Die jetzt beginnende Erweiterung wird die Union vor eine schwierige Belastungsprobe stellen. Zum ersten Mal nimmt die EU Länder auf, die 40 Jahre Diktatur und Kommandowirtschaft durchlitten haben. Deshalb müssen wir den Beitrittskandidaten erhebliche Vorleistungen abverlangen. Aber auch die EU selbst muß jetzt ihre Hausaufgaben machen, wenn das Jahrhundertprojekt Erweiterung gelingen soll. Daran haben gerade wir Deutschen ein herausragendes Interesse."417

    Am 7. Mai 1998 erklärte Bundesaußenminister Kinkel anläßlich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum Amsterdamer Vertrag durch den deutschen Botschafter in Rom Kastrup:

"Deutschland ratifiziert als erstes Land der Europäischen Union den Amsterdamer Vertrag. Das ist ein klares Signal an unsere europäischen Partner: Deutschland ist und bleibt auf Europakurs! ... Der Vertrag von Amsterdam bringt zahlreiche Fortschritte, die dem Bürger unmittelbar zugute kommen werden. Die wichtigsten sind:
- Ein qualitativer Sprung bei der Justiz- und Innenpolitik: Mit dem Vertrag von Amsterdam wird ein großes europäisches Projekt auf den Weg gebracht - vergleichbar mit dem bisherigen Meilenstein der Integration: den Gründungsverträgen von 1957, dem Binnenmarkt von 1992 und den Maastricht-Vertrag mit der Wirtschafts- und Währungsunion bis 1999. Dieses Projekt ist: Innerhalb von 5 Jahren soll ein einheitlicher 'Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts' in Europa geschaffen werden. Konkret heißt das: Mehr Freiheit für die Bürger - weitere Grenzkontrollen fallen - und gleichzeitig mehr Sicherheit vor Kriminellen und Schleusern. Also: mehr Sicherheit trotz offener Grenzen.
- Mehr Demokratie in der EU: Das Europäische Parlament gehört zu den großen Gewinnern der Neuregelung durch den Amsterdamer Vertrag, z.B. durch Ausweitung der Bereiche, in denen es gleichberechtigt mit dem Rat mitentscheidet.
- Mehr Flexibilität bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union: Der neue Vertrag schafft die Möglichkeit, daß eine Gruppe von Mitgliedstaaten im Rahmen der Union mit weiteren Integrationsschritten vorangeht. Das heißt: Künftig brauchen wir nicht mehr auf den Langsamsten zu warten. Damit bleibt die Union auch mit 20 oder mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig. Dies ist eine zentrale Voraussetzung für die Erweiterung.
- Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wurde in ihrer Wirksamkeit deutlich gestärkt. Die Stichworte lauten: mehr Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit; deutliche Fortschritte beim Krisenmanagement, auch im militärischen Bereich, und nicht zuletzt mehr Kontinuität in der Darstellung nach außen durch einen hohen Beauftragten für die GASP. Er verleiht der GASP stärker als bisher Gesicht und Stimme.
- Für uns Deutsche ganz wichtig ist die deutliche Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Die Bürger wollen nicht, daß die Europäische Union Ausgaben übernimmt, die besser von den Mitgliedstaaten, Regionen oder Gemeinden erfüllt werden können. Deswegen haben wir Deutsche in Amsterdam auf diesen Punkt so großen Wert gelegt."418

    181. Auf die Kleine Anfrage zu dem von der Bundesregierung nach dem Beschäftigungskapitel des Vertrages von Amsterdam zu erstellenden beschäftigungspolitischen Aktionsplan legte die Bundesregierung am 25. März 1998 dar, daß die koordinierte Beschäftigungsstrategie, die bereits unter deutscher Präsidentschaft in Essen auf den Weg gebracht worden sei, mit den nationalen Aktionsplänen auf wichtigen Handlungsfeldern konkretisiert werde. Wichtig sei, daß die Beschäftigungspolitik mit der Wirtschaftspolitik eng verzahnt werde. Die Bundesregierung gehe davon aus, daß die jährliche Überprüfung der Aktionspläne dazu beitragen werde, den Erfahrungsaustausch über erfolgreiche Wege in der Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene zu intensivieren. Im Hinblick auf die vorgesehene unmittelbare Mitwirkung der Tarifpartner bei der Erstellung des Aktionsplans seien bereits Orientierungsgespräche geführt und eine enge Zusammenarbeit vereinbart worden. Dabei haben die Tarifpartner ihre Bereitschaft unterstrichen, an der Ausarbeitung des Aktionsplans mitzuwirken.419

    182. Osterweiterung der Europäischen Union

    Am 31. März 1998 wurden formelle Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Estland, Slowenien und Zypern aufgenommen. Anläßlich der Eröffnung des EU-Beitrittsprozesses erklärte Bundesaußenminister Kinkel in Brüssel:

"Mein Appell an alle Kandidaten: Setzen Sie die Reformen entschlossen fort - viele Erfolge sind jetzt schon beeindruckend! Aber es bleibt noch viel zu tun. Dabei gilt weiterhin: Reformkurs ist Europakurs. Wir werden Ihnen allen auch weiterhin auf dem Weg nach Europa helfen. Wir kennen aus eigener Erfahrung mit der DDR die Umbruchprobleme. Vor allem aber müssen wir die Menschen auf den Weg der weiteren Integration in ihren Köpfen und Herzen mitnehmen. Wir wollen und brauchen ein Europa für die Menschen. Um sie geht es. Das sollte bei allem, was wir tun, im Vordergrund stehen."420

    Bezüglich des Beschlusses des Europäischen Rates, Beitrittsverhandlungen mit Zypern aufzunehmen, erklärten der Bundesaußenminister Kinkel und der französische Außenminister Védrine im Rahmen des deutsch-französischen Seminars auf dem Petersberg bei Bonn am 2. Februar 1998:

"Im Hinblick auf die angestrebte Mitgliedschaft ganz Zyperns ist es wichtig, daß die zyprische Verhandlungsdelegation auch Vertreter der türkisch-zyprischen Volksgruppe einschließt. Wir erwarten, daß die zyprische Regierung hierzu bald einen für alle Seiten akzeptablen Vorschlag macht, und wir werden hierüber in engem Kontakt mit dem britischen Vorsitz bleiben, um gegebenenfalls entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen."421

    Im 59. Bericht über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union erläuterte die Bundesregierung, daß in einer ersten Phase der Beitrittsverhandlungen seit April 1998 ein Abgleich des EU-Rechtes mit der bestehenden Gesetzgebung der einzelnen Beitrittsländer durchgeführt werde. Es habe zum Ziel, eventuelle Probleme der Beitrittsländer bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts zu identifizieren und die zu verhandelnden Fragen festzulegen. In einer zweiten Phase habe die Europäische Union im Herbst 1998 mit Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland und Zypern konkrete Verhandlungen zu den ersten sieben Verhandlungskapiteln aufgenommen.422

    Auf die Interpellation einiger Abgeordneter des Bayerischen Landtags betreffend die Osterweiterung der EU und ihre Auswirkungen auf Bayern erklärte die Bayerische Staatsregierung am 23. Juni 1998:

"Die Staatsregierung begrüßt den Vorschlag der Kommission in ihrer 'Agenda 2000', mit den osteuropäischen Staaten Polen, Tschechien, Ungarn, Estland und Slowenien Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Diese Beitrittsverhandlungen sowie diejenigen mit Zypern haben Ende März 1998 begonnen. Die Osterweiterung liegt im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interesse gerade Bayerns, das mit der Osterweiterung in die Mitte der Europäischen Union rückt. Bei Durchführung der Osterweiterung müssen jedoch nachteilige wirtschaftliche Folgen insbesondere für die ostbayerischen Grenzräume, eine Verschlechterung der Situation der inneren Sicherheit sowie eine Überforderung Deutschlands als derzeitiger Hauptnettozahler der Europäischen Union verhindert und die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gewahrt werden. Voraussetzung für die Osterweiterung sind daher:
- die dringend notwendigen Reformen der EU-Strukturpolitik und der EU-Agrarpolitik;
- eine gerechtere finanzielle Lastenverteilung innerhalb der EU. Sonst könnte die Osterweiterung zu einem nicht-kalkulierbaren finanziellen Risiko für Deutschland und Bayern werden;
- institutionelle Reformen, um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union auch unter den Bedingungen der Osterweiterung zu wahren, vor allem die Stärkung des Stimmengewichts der großen Mitgliedstaaten im Rat und eine Begrenzung der Zahl der Kommissare;
- längerfristige Übergangsregelungen, auf die die Beitrittskandidaten angesichts ihres derzeit noch großen wirtschaftlichen und sozialen Rückstandes nach einer Aufnahme angewiesen sein werden, vor allem im Bereich der Freizügigkeit, beim Abbau der Personenkontrollen an den Grenzen und bei der Einbeziehung in den Binnenmarkt;
- Hilfen für die bayerischen Grenzräume nach Osten, um die Folgen des Fördergefälles und der großen wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zu den Beitrittsländern abzumildern. Notwendig sind EU-Hilfen und ein deutlich verbesserter Freiraum für nationale und regionale Beihilfen."

    Anläßlich eines Zusammentreffens mit dem polnischen Ministerpräsidenten Buzek in Warschau teilte Bundeskanzler Schröder am 5. November 1998 mit, daß er den Wunsch Polens nach einer baldigen Mitgliedschaft in der Europäischen Union ohne Einschränkung unterstütze. Er fügte hinzu, daß die Bundesrepublik Deutschland, die im kommenden Jahr in der Europäischen Union die Präsidentschaft übernehme, alles tun werde, damit die Beitrittsverhandlungen wie von Polen gewünscht zügig vorankämen. Was die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten anbelange, plädierte Schröder dafür, Gegenwart und Zukunft stärker in den Blick zu nehmen, ohne die historische Dimension zu vergessen. Von der Qualität der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen hänge die wirtschaftliche und politische Stabilität in der gesamten Region ab. Das mache das ungeheure Interesse der Bundesrepublik Deutschland an möglichst engen Beziehungen zu Polen aus.423

    Bundesaußenminister Fischer bekräftigte am 18. November 1998 vor dem Europaausschuß, daß es im Rahmen des Beitrittsprozesses mittel- und osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union derzeit nicht realistisch sei, konkrete Jahreszahlen für die Aufnahme bestimmter Länder zu nennen. Erst wenn sich konkrete Fortschritte bei den Verhandlungen der Beitrittskandidaten mit der Europäischen Kommission abzeichneten, sei es sachgerecht und geboten, im Interesse des Erfolgs einen Zeithorizont zu schaffen.424

    183. Deutsche Schengen-Präsidentschaft

    Anläßlich des dritten Jahrestages des Schengener-Durchführungsübereinkommens am 26. März 1998 zog Bundesinnenminister Kanther eine positive Bilanz. Er erklärte, daß die Ausgleichsmaßnahmen deutlich wirksam geworden seien. Zur Sicherung der deutschen Außengrenzen seien derzeit rund 20.000 Beamte des Bundesgrenzschutzes, der Zollverwaltung, der Wasserschutzpolizeien Hamburgs und Bremens sowie der bayrischen Polizei im Einsatz. Der Bundesinnenminister betonte außerdem, daß angesichts der von professionellen Schlepperbanden organisierten illegalen Zuwanderung von Kurden aus dem Irak und der Türkei, sowie Albanern aus dem Kosovo, große Kraftanstrengungen zur Sicherung der Schengen-Außengrenzen erforderlich seien.425

    Am 1. Juli 1998 übernahm die Bundesrepublik Deutschland für ein Jahr die Präsidentschaft im Schengen-Verbund der europäischen Länder. Bundesinnenminister Kanther betonte aus diesem Anlaß in Bonn, daß Deutschland in dieser Phase besonderer internationaler Verantwortung vor allem im Bereich der Verbrechensbekämpfung und der inneren Sicherheit wesentliche Fragen voranbringen und praktische Ergebnisse bewirken müsse. Dabei zeigte sich der Bundesinnenminister davon überzeugt, daß praktische Ergebnisse in folgenden Bereichen möglich seien:
- die Stärkung der Befugnisse der neugeschaffenen Europol-Behörde im Kampf gegen das organisierte Verbrechen,
- die Perfektionierung des Schengener Außengrenzsystems mit seinen 40.000 Stationen, eine optimale Nutzung des gemeinsamen Fahndungssystems,
- die gleichmäßige Rechtsanwendung zwischen allen Partnerstaaten,
- Verbesserungen im Rechtshilfeverkehr,
- eine entschlossene Eindämmung des illegalen Zuzugs nach Westeuropa sowie die Bekämpfung des Schlepper- und Schleuserunwesens sowie
- die Nutzung der Ermittlungskapazitäten von Europol für geeignete Felder der Schengen-Kooperation (z. B. Drogen, Waffen, Schleuse, Menschenhandel).

    Bundesinnenminister Kanther unterstrich, daß ein geschlossenes Sicherheitskonzept der EU-Staaten entwickelt werden müsse, welches die Basis für die Ost-Erweiterung der EU bilden solle. Die schnellstmögliche Kräftigung und Unterstützung der Sicherheitsstrukturen in den Beitrittsländern durch die Europäische Union sei von besonderer Bedeutung. Dazu gehörten der weitere Aufbau von Polizei und Justiz, die Schaffung vergleichbarer Rechtsordnungen im Bereich des Polizei- und Strafrechts und hohe Sicherheitsstandards an den künftigen Ostgrenzen. Vor dem Hintergrund der Integration Schengens in die Europäische Union und der Vorbereitung der EU-Beitrittskandiaten werde nach Ansicht Kanthers die "EU-Verträglichkeit" der Arbeiten unter deutschem Vorsitz besondere Bedeutung haben. Im wesentlichen ginge es um Vorstellungen für die Zuordnung des Schengener Besitzstandes zu den Rechtsgrundlagen des Amsterdamer Vertrages, die Festlegung der Rechtsbeziehungen Islands und Norwegens, die mit Schengen-Staaten einen Kooperationsvertrag geschlossen haben, zur EU, institutionelle Fragen wie die Überführung des Schengen-Sekretariats in das Generalsekretariat des Rates sowie die Weiterführung des Schengener Informationssystems.426

    Aus Anlaß der deutschen Schengen-Präsidentschaft verfaßten Bundesinnenminister Kanther und Schengen-Koordinator der Bundesregierung Schelter die Denkschrift "Schengen auf dem Weg in die Europäische Union". In der Vorbemerkung faßten sie 13 Jahre Schengen kurz zusammen:

"Schengen war von Anfang an darauf angelegt, eines Tages in der Europäischen Union aufzugehen. Als Labor gleichzeitig für mehr Freizügigkeit und mehr Grenzsicherheit, als 'Motor' eines Europa ohne Binnengrenzen, aber mit einem effektiven Schutz seiner Außengrenzen, wurde die Schengener Zusammenarbeit zu einer Erfolgsstory der europäischen Integration. In vielen wichtigen Politikbereichen sind die Schengen-Staaten heute schon auf einer wesentlich höheren Stufe der Integration als die Gesamtheit der EU-Mitglieder. Die polizeiliche Zusammenarbeit, die gemeinsame Visapolitik und das Schengener Informationssystem sind Beispiele dafür. Aber eine Erwartung hat sich nicht so rasch erfüllt, wie sich die Initiatoren der Schengener Kooperation das vorgestellt hatten: Es bleibt auf nicht absehbare Zeit dabei, daß sich das Vereinigte Königreich und Irland nicht der gesamten Schengen-Philosophie anschließen wollen. Die Kontrolle der Binnengrenzen bleibt für diese Inselstaaten zunächst ein Teil ihres Selbstverständnisses. Damit stellt sich all denen, die sich den weiteren Erfolg der Zusammenarbeit im Bereich von Freizügigkeit und Sicherheit verschrieben haben, die Frage, wie der Erfolg Schengens für die europäische Integration fruchtbar gemacht werden kann. Der Vertrag von Amsterdam gibt darauf eine Antwort, die nicht von Anfang an und nicht von allen Mitgliedern der Europäischen Union für richtig gehalten worden ist: mit dem 'Schengen-Protokoll' wird die Zusammenarbeit der Schengen-Staaten in ihrem Bestand in den Bereich der EU überführt. 'Schengen-Recht' wird 'EU-Recht'. Die bisherigen Arbeitsstrukturen Schengens werden durch die verschiedenen Arbeitsebenen der EU ersetzt."427

    184. Europol

    Durch Gesetz vom 19. Mai 1998428 wurde dem Protokoll vom 19. Juli 1997 aufgrund von Art. K.3 EUV und von Art. 41, Abs. 3 Europol-Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und Bediensteten von Europol (Europol-Immunitätenprotokoll) zugestimmt.

    Am 6. August 1998 beschloß der Bundestag das Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrags (EUGH-Gesetz).429 Nach Art. 35 EU-Vertrag können die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften für die Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, über die Auslegung der Übereinkommen nach dem VI. Titel des EU-Vertrages und die Auslegung der dazugehörigen Durchführungsmaßnahmen durch eine entsprechende Erklärung anerkennen.

    185. Währungsunion

    Bundeskanzler Kohl gab in der 227. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. April 1998 zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Europäischen Währungsunion folgende Erklärung der Bundesregierung ab:

"Meine Damen und Herren, der Euro ist eine der wichtigsten Antworten auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Damit verbindet sich zugleich die zentrale Frage, ob Europa und damit auch wir in Deutschland den Aufbruch in die Zukunft schaffen. Von dieser Entscheidung hängt ganz wesentlich davon ab, ob künftige Generationen in Deutschland und Europa dauerhaft in Frieden und Freiheit, in Wohlstand und sozialer Stabilität leben können.

Die Bedeutung der Europäischen Währungsunion geht weit über das bloß ökonomische hinaus ... Denn Währung - das ist gerade unsere deutsche Erfahrung - ist weit mehr als nur ein Zahlungsmittel. Sie verkörpert immer auch ein Stück nationale Tradition, auch ein Stück kulturelle Identität. Gerade für uns Deutsche ist sie - nach unseren Erfahrungen mit 50 Jahren D-Mark - von einer enormen emotionalen Bedeutung und politischen Symbolik. ...

Meine Damen und Herren, wir haben alle Vorkehrungen dafür getroffen, daß der Euro eine dauerhaft stabile Währung wird. Die Bundesregierung und auch ich persönlich haben sich [sic] bei unseren Partnern in der Europäischen Union immer wieder nachdrücklich dafür eingesetzt, daß die Stabilitätskriterien des Vertrags von Maastricht nicht zur Disposition gestellt werden. Die Bundesregierung hat im Vertrag von Maastricht durchgesetzt, daß die zukünftige Europäische Zentralbank so unabhängig wie die deutsche Bundesbank und zu allererst der Stabilität der Währung verpflichtet ist. ...

Die Europäische Währungsunion wird pünktlich am 1. Januar 1999 beginnen. Dies liegt im europäischen und vor allem auch in unserem deutschen Interesse.

Die Europäische Kommission schlägt dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs folgende 11 Mitgliedstaaten für die Teilnahme am Euro zu diesem Datum vor: Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Irland, Luxemburg, die Niederlande, österreich, Portugal und Finnland. Das Europäische Währungsinstitut und die Deutsche Bundesbank haben in ihren Stellungnahmen bestätigt, daß dies ein stabilitätspolitisch vertretbarer Vorschlag sei. Wir in der Bundesregierung teilen diese Bewertung. Wir beabsichtigen daher, beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs am 2. Mai 1998 in Brüssel für den Vorschlag der Europäischen Kommission zu stimmen. ...

Die neue gemeinsame Währung wird Europa als einen Raum wirtschaftlichen Wohlstandes und monetärer wie sozialer Stabilität weiter festigen können. Sie wird unseren Kontinent - das ist ein entscheidendes Argument - im Wettbewerb mit anderen dynamischen Wirtschaftsräumen wie der nordamerikanischen Freihandelszone, NAFTA, der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, MERCOSUR, oder der südostasiatischen Vereinigung, ASEAN, stärken. ...

Der Euro trägt nicht zuletzt zur Stabilisierung des internationalen Währungs- und Finanzsystems bei. Dies ist gerade im Blick auf die Erfahrungen mit der Finanzkrise im Südostasien in den letzten Monaten von großer Bedeutung. Der europäische Binnenmarkt ohne Grenzen für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital wird durch die gemeinsame europäische Währung vollendet. In dieser Eurozone wird ein einheitlicher Markt mit rund 300 Millionen Menschen und einem Anteil von 20% vom Welteinkommen entstehen. Diese Zahl ist vergleichbar mit dem Anteil der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die Verbraucher werden durch eine bessere Vergleichbarkeit der Preise ganz unmittelbar profitieren können."430

    Auf der Pressekonferenz zum Abschluß der Sondertagung des Rates der Europäischen Union in Brüssel gab Bundeskanzler Kohl am 3. Mai 1998 folgende Erklärung zur Entscheidung des Teilnehmerkreises an der Wirtschafts- und Währungsunion ab:

"Die Wirtschafts- und Währungsunion ist eine ganz entscheidende Antwort auf den immer schärfer gewordenen weltweiten und globalen Standortwettbewerb zwischen Staaten und Regionen. In der deutschen öffentlichkeit ist zu meinem Bedauern untergegangen, daß in amerikanischen "Thinktanks" und auch in offiziellen Kreisen der betroffenen Staaten seit Wochen zum ersten Mal offen über das Projekt diskutiert wird, den gesamten amerikanischen Kontinent - d. h. Lateinamerika, Mittelamerika und Nordamerika - zu einer einzigen Freihandelszone zusammenzuschließen. Das wird nicht morgen geschehen, aber es wird sicherlich in dem jetzt beginnenden Jahrhundert Struktur gewinnen."431

    186. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zu den Auswirkungen der Währungsunion ging die Bundesregierung am 15. April 1998 auf die Kosten der Währungsumstellung ein. Der Bundesregierung seien keine verläßlichen Schätzungen über die tatsächlichen Umstellungskosten in den einzelnen Wirtschaftszweigen bekannt. Den einmalig anfallenden Umstellungskosten seien jedoch die Vorteile der Währungsunion gegenüber zu stellen. Diese Vorteile werden von Dauer sein und die Umstellungskosten bei weitem übersteigen. So werde die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders von dem Wegfall der Wechselkursrisiken und den dadurch wegfallenden Kosten des Devisenmanagements profitieren. Schließlich versicherte die Bundesregierung, daß sie bestrebt sei, die Kosten der Euro-Umstellung für die öffentliche Hand auf ein Mindestmaß zu reduzieren.432

    187. Errichtung der Europäischen Zentralbank

    Bundeskanzler Kohl sagte anläßlich des Festakts zur Errichtung der Europäischen Zentralbank am 30. Juni 1998 in Frankfurt am Main:

"Die Errichtung der Europäischen Zentralbank ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der europäischen Einigung. Die jetzt gegründete Europäische Zentralbank wird einen stabilen und sicheren EURO gewährleisten. Ich bin sicher, daß dies mit der Unterstützung aller gelingen wird."433

    Am 18. September 1998 wurde das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main unterzeichnet.434 Nach der Entscheidung des Rates der Europäischen Union in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs vom 2. Mai 1998 über die Einführung einer einheitlichen europäischen Währung zum 1. Januar 1999 in 11 Mitgliedstaaten der Europäischen Union wurde am 1. Juni 1998 auf Basis der einvernehmlichen Übereinkunft des Europäischen Rates vom 29. Oktober 1993 die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main errichtet. Die EZB übernimmt mit Beginn der 3. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion die ihr in Art. 105, Abs. 2 des Vertrages von Amsterdam übertragenen Aufgaben. Nach Art. 123 dieses Vertrages wird das EWI nach der Errichtung der EZB liquidiert. Gemäß Art. 40 des dem Vertrag von Amsterdam beigefügten Protokolls über die Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB genießt die EZB im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften. Gegenstand des Sitzstaatsabkommens mit der EZB ist es, in Konkretisierung des Protokolls über Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften einen rechtlichen Rahmen für die Arbeit der EZB an ihrem Sitz in Frankfurt zu schaffen. Darüber hinaus sollen den Mitgliedern des Direktoriums der EZB und deren Familienangehörigen diplomatische Vorrechte und Befreiungen gewährt, die Geltung der deutschen Sozialversicherungspflicht für Bedienstete und deren Familienangehörige der EZB geregelt und die erforderlichen Befreiungen von den steuer- und finanzmarktrechtlichen Regelungen eingeräumt werden.435

    Anläßlich der Unterzeichnung des Sitzstaatsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank hielt Bundesaußenminister Kinkel folgende Rede:

"Die Wahl der Banken- und Finanzmetropole Frankfurt zum Sitz der EZB war eine gute Wahl. Der Name Frankfurt steht für Stabilitätskultur - hier hat die Bundesbank 50 Jahre lang für Deutschland eine Stabilitätspolitik gestaltet, die in Europa als beispielhaft gilt. Die Väter und Mütter des Vertrages von Maastricht haben diese Erfahrungen auf die Europäische Zentralbank übertragen: Sie wird mindestens ebenso unabhängig und ebenso ausschließlich der Währungsstabilität verpflichtet sein wie die Bundesbank.

Die EZB trägt große Verantwortung für das Europa des 21. Jahrhunderts. Denn nur ein stabiler Euro wird für dauerhaftes Wachstum und Beschäftigung im kaufkräftigsten Binnenmarkt der Welt sorgen. Nur eine stabile gemeinsame Währung kann sein enormes Potential mobilisieren. Und nur mit einem stabilen Euro kann sich der Standort Europa im globalen Wettbewerb behaupten. Der Euro wird sich neben dem Dollar zu einer Weltwährung entwickeln. Das bedeutet für die EZB: zusätzliche Verantwortung für ein stabiles Weltwährungssystem."436

    188. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage erläuterte die Bundesregierung am 26. März 1998 ihre Position zur west- und zentralafrikanischen Franc-Zone im Zusammenhang mit der Einführung des Euro. Sie stelle die traditionell enge Zusammenarbeit Frankreichs mit den afrikanischen Staaten auch nach Beginn der Währungsunion nicht in Frage. Durch die Bindung an den französischen Franc gehöre der Franc-CFA bereits heute faktisch zur "erweiterten Währungszone" des europäischen Währungssystems. Da bei einer Fortführung der bestehenden Vereinbarungen keine finanziellen Verpflichtungen für die Gemeinschaft entstehen würden und unmittelbare Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB ausgeschlossen wären, erhebe die Bundesregierung keine prinzipiellen Einwände gegen eine Fortsetzung der Zusammenarbeit. Sie betonte jedoch, daß eine Anbindung des CFA-Franc an den Euro jedoch der Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftskompetenz bedürfe. In der 3. Stufe gehe die Zuständigkeit der Geld- und Währungspolitik von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft über. Nach Art. 109 EG-Vertrag obliege es dann dem Rat währungspolitische Vereinbarungen mit Drittstaaten abzuschließen. Diese Regelung trage der Tatsache Rechnung, daß Wechselkursvereinbarungen im Prinzip wichtige Rahmenbedingungen für die europäische Geldpolitik setzen können. Es werde daher geprüft, in welcher rechtlichen Form Frankreich eine Weiterführung der bestehenden Vereinbarungen zugestanden werden könne.437



    415 BGBl. 1998 II, 386.

    416 Vgl. hierzu ausführlich Bank (Anm. 1), Ziff. 196; WIB 4/98, 55.

    417 Pressearchiv des Auswärtigen Amts (Anm. 10): http://www.auswaertiges-amt.de/6_archiv/98/r/R980327A.html.

    418 Ibid.

    419 BT-Drs. 13/10192.

    420 Bull. Nr. 23 vom 1.4.1998, 260.

    421 Bull. Nr. 10 vom 9.2.1998, 117.

    422 BT-Drs. 14/711 vom 31.3.1999, 21.

    423 FAZ vom 6.11.1998.

    424 Blickpunkt Bundestag 5/98, 26.

    425 Innenpolitik II/1998 vom 19.5.1998, 7.

    426 Innenpolitik III/1998 vom 3.8.1998, 2 f.

    427 Die Denkschrift kann im Internet unter der Adresse http://www.bundesregierung.de/05/0511/980625/16.html eingesehen werden.

    428 BGBl. 1998 II, 974.

    429 BGBl. 1998 I, 2035.

    430 Bull. Nr. 24 vom 3.4.1998, 265 f.

    431 Bull. Nr. 30 vom 11.5.1998, 362 f.

    432 BT-Drs. 13/10416, 7 f.

    433 Bull. Nr. 49 vom 7.7.1998, 637 f.

    434 BGBl. 1998 II, 2995. Das Zustimmungsgesetz erging am 19.12.1998.

    435 Vgl. die Denkschrift der Bundesregierung vom 11.9.1998, BR-Drs. 784/98, 11 f.

    436 Bull. Nr. 66 vom 6.10.1998, 831.

    437 BT-Drs. 13/10275.