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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Carsten Stahn


V. Staatsangehörigkeit

3. Mehrfache Staatsangehörigkeit

       19. In seinem Urteil vom 21.08.2001 (10 E 2124/98 = InfAuslR 2001, 37) hatte das VG Gießen über den Einbürgerungsanspruch eines am 3.10.1996 in Deutschland geborenen Klägers zu entscheiden, der durch Abstammung von seinem Vater die italienische Staatsangehörigkeit erworben hatte und die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Hinnahme der italienischen Staatsangehörigkeit begehrte. Das Gericht sprach dem Kläger den Anspruch nach Maßgabe der �� 85 Abs. 1, 87 Abs. 2 AuslG zu. Streitig zwischen den Beteiligten sei allein die Voraussetzung des � 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG, der für eine erleichterte Einbürgerung des Ausländers voraussetze, daß der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgebe oder verliere. Jedoch könne nach � 87 Abs. 2 AuslG von dieser Voraussetzung abgesehen werden, wenn der Ausländer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besitze und Gegenseitigkeit bestehe. Diese Bedingungen seien im Fall des Klägers erfüllt. In Bezug auf die Einbürgerung und die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bestehe mit Italien Gegenseitigkeit. Das italienische Staatsangehörigkeitsrecht korrespondiere mit der Regelung des � 87 Abs. 2 AuslG, indem es fordere, daß sich der Einbürgerungsbewerber über einen bestimmten Zeitraum rechtmäßig in Italien aufgehalten haben müsse. Darüber hinaus werde die italienische Staatsbürgerschaft ohne Verzicht auf die ausländische Staatsbürgerschaft verliehen. Einer bestehenden Gegenseitigkeit könne auch nicht entgegengehalten werden, daß �� 85 Abs. 1, 87 Abs. 2 AuslG einen Anspruch auf Einbürgerung begründeten, während das italienische Recht die Einbürgerung lediglich in das Ermessen der zuständigen Behörden stelle. Denn in Italien werde die Ermessenseinbürgerung regelmäßig wie eine in Deutschland bestehende Anspruchseinbürgerung nach �� 85 Abs. 1, 87 Abs. 2 AuslG gehandhabt. Darüber hinaus stehe dem Anspruch des Klägers auch nicht das Übereinkommen vom 6.5.1963 über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern30 entgegen. Hierzu wäre Voraussetzung, daß Art. 1 dieses Abkommens den neugefaßten �� 85 Abs. 1 S. 1, 87 Abs. 2 AuslG im Rang vorgehe oder auf andere Weise bestimme, daß das AuslG subsidiär anzuwenden sei. Dies sei indes nicht ersichtlich, denn als in innerstaatliches Recht transformierter völkerrechtlicher Vertrag habe das Abkommen den Rang einfachen Bundesrechts, dem das später erlassene AuslG nach dem lex posterior-Grundsatz vorgehe. Zudem verstoße eine Berufung auf das Mehrstaaterübereinkommen zum Ausschluß des Anspruchs auf Einbürgerung gem. �� 85, 87 Abs. 2 AuslG gegen Treu und Glauben und ließe die Regelung in � 87 Abs. 2 AuslG als mit einem geheimen Vorbehalt behaftet erscheinen.




      30 BGBl. 1969 II, 1953, in der Fassung der Änderung durch Gesetz vom 20.12.1974 (BGBl. 1974 I, 3714).