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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Carsten Stahn


VII. Asylrecht

4. Rechtsstellung der Flüchtlinge

      44. In Anlehnung an das Urteil des BVerwG vom 18.5.2000 [9], wonach � 120 Abs. 5 S. 2 BSHG auf Flüchtlinge i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention keine Anwendung findet, entschied der Bayrische VGH durch Urteil vom 18.5.2000 (12 B 99.81 = BayVBl. 001, 87), daß Flüchtlingen i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention uneingeschränkt Sozialhilfe zu gewähren ist. Ferner bekräftigte er die Auffassung, daß selbst in Fällen, in denen der Kläger bei der Sozialhilfe-Antragstellung falsche Angaben über seine Flüchtlingseigenschaft gemacht hat, die Feststellung über das Verbot der Abschiebung politisch Verfolgter nach � 73 Abs. 2 S. 2 AsylVfG nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden kann. Dadurch, daß dem Sozialhilfe-Antragsteller der Status als Flüchtling nicht rückwirkend genommen werde könne, bleibe er zum Erhalt der Sozialhilfe mit Wirkung für die Vergangenheit berechtigt. Zwar sei der dadurch eintretende Zustand, d.h. die Zuerkennung eines Sozialhilfeanspruchs an einen Flüchtling, der diesen Status erschwindelt habe, unbefriedigend. Doch es sei Sache des Gesetzgebers, entsprechend � 48 Abs. 1, Abs. 2 S. 4 VwVfG auch in � 73 Abs. 2 AsylVfG einer Rückwirkung des Verwaltungsakts auch mit Wirkung für die Vergangenheit zuzulassen, um den Sozialhilfeleistungsträgern zu ermöglichen, nach � 45 Abs. 1, 4 S. 1 SGB X vorzugehen.

      45. Das BVerwG entschied durch Urteil vom 19.9.2000 (9 C 12/00 = NVwZ 2001, 335), daß der Widerruf einer - rechtmäßigen oder rechtswidrigen - Anerkennung als politisch Verfolgter nach � 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG nur dann zulässig ist, wenn eine erhebliche nachträgliche Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Umstände vorliegt Eine reine Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung genüge diesem Erfordernis nicht. Der Entscheidung des BVerwG lag ein Widerruf der Feststellung von Abschiebungsschutz eines irakischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit zugrunde. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte den Bescheid über die Feststellung von Abschiebungsschutz mit der Begründung aufgehoben, � 73 Abs. 1 AsylVfG rechtfertige den Widerruf auch bei einer nachträglichen Änderung der Erkenntnislage über die Verfolgungsgefahr der kurdischen Volksgruppe im Nordirak. Dieser Auffassung trat das BVerwG mit seinem Urteil entgegen. Es betonte, daß � 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG den Widerruf nur bei einer Änderung der Sachlage rechtfertige. Die allgemeine, von � 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG als Spezialvorschrift verdrängte Widerrufsbestimmung in � 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG erlaube der Behörde die Aufhebung eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakts u.a. nur aufgrund "nachträglich eingetretener Tatsachen". Erhalte die Behörde hingegen im nachhinein Kenntnis von Tatsachen, welche die ursprüngliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründeten, eröffne dies nach � 48 VwVfG die Möglichkeit der Rücknahme. Es sei unzutreffend anzunehmen, bereits die zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende Rechtswidrigkeit der Anerkennung von Abschiebungsschutz rechtfertige dessen Widerruf, und zwar ohne nachträgliche Änderung der Verhältnisse. Denn dieser Standpunkt, der an den Widerruf einer rechtswidrigen Anerkennung geringere oder jedenfalls andere Anforderungen stellen wolle als an den Widerruf einer rechtmäßigen Anerkennung, finde im Gesetz keine Stütze. � 73 Abs. 1 AsylVfG sei zwar auch auf rechtswidrige Verwaltungsakte anwendbar, rechtfertige aber nicht die Schaffung veränderter Widerrufsbedingungen.