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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Carsten Stahn


II. Staatensukzession

      6. In seinem Urteil vom 1.2.2000 (B 8 KN 8/97 R - NZS 2000, 560-566) erkannte der 8. Senat des BSG, daß das Abkommen zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der Tschechoslowakischen Republik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sozialpolitik vom 11.9.1956 (SozPZAAbk) mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland erloschen ist. Zwar sei das erloschene SozPZAAbk durch eine spätere Übereinkunft im Wege einer Novation zur vorübergehenden Anwendung wiederbelebt worden. Allerdings fehle dem neuen völkerrechtlichen Vertrag die erforderliche Zustimmung der Gesetzgebungsorgane des Bundes gemäß Art. 59 Abs. 2 GG. Das Gericht begründete das Erlöschen des SozPZAAbk mit Ablauf des 2.10.1990 damit, daß die DDR als Gebietskörperschaft und als Völkerrechtssubjekt mit Wirksamwerden ihres Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 S. 2 GG a.F. untergegangen sei. Aus völkerrechtlicher Hinsicht habe es sich bei dem Beitritt der DDR um einen Fall der Inkorporation gehandelt. Es sei weitgehend unbestritten, daß in diesem Fall der Grundsatz der Diskontinuität der Verträge des inkorporierten Staates und der Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen des Aufnahmestaates gelte. Die möglichen Ausnahmen vom Diskontinuitätsprinzip bei radizierten Verträgen sowie ganz oder teilweise erfüllten Austauschverträgen seien für Sozialabkommen nicht einschlägig. Jedoch habe die Bundesrepublik Deutschland das kraft Völkergewohnheitsrecht erloschene SozPZAAbk durch eine Vereinbarung mit den ehemaligen Vertragsstaaten der DDR i.S. einer Novation rückwirkend wiederbelebt. Denn die Bundesregierung habe ihre Haltung zum "Übergang" des Sozialabkommens der DDR gemäß Art. 12 Abs. 2 des Einigungsvertrags (EV)9 festgelegt und diese mit der Bekanntmachung über das Erlöschen völkerrechtlicher Übereinkünfte der DDR mit der Tschechoslowakei vom 28.4.199410 veröffentlicht. Ferner sei dem Text eine Fußnote beigefügt worden, die laute: "Die Tschechische Republik und die Slowakei verfahren umgekehrt entsprechend." Die Fußnote gehe auf eine Niederschrift vom 23.4.1993 über "Konsultationen einer deutschen und tschechischen Delegation im Bereich der sozialen Sicherung" zurück, worin sich die tschechische Seite ebenfalls zu einer übergangsrechtlichen Wiederbelebung verpflichtet habe. Deshalb handele es sich insgesamt um einen wirksamen, neuen völkerrechtlichen Vertrag. Dieser sei jedoch nicht in der Form eines Bundesgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland transformiert worden und entfalte damit keine innerstaatliche Wirksamkeit, die für den Versicherten zum Ruhen des Anspruchs nach dem SGB VI führe. Zwar sei es möglich, die Zustimmung der Legislative auch im Wege einer antizipierten Zustimmung zu erteilen. Doch könne im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 EV weder Art. 1 EV11 noch Art. 3 Abs. 1 EV12 eine im voraus erteilte Zustimmung des Bundesgesetzgebers zur Wiederbelebung und Abwicklung der Sozialabkommen der DDR entnommen werden. Insbesondere fehle eine klare und eindeutige Gesetzesaussage dahin, daß die Bundesregierung dazu befugt wäre, durch die Novation des SozPZAAbk neue Bindungen und Verpflichtungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu begründen und anzuordnen, daß diese Verpflichtungen in die innerstaatliche Rechtsordnung aufgenommen würden. Es sei Sache des Bundesgesetzgebers, dem Fehlen des Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 GG abzuhelfen.

      7. In seinem Nichtannahmebeschluß vom 4.10.2000 (2 BvR 36/00 = DVBl. 2001, 64 = VIZ 2001, 33) setzte sich das BVerfG mit der Fortgeltung und dem Anwendungsbereich des Globalentschädigungsabkommens zwischen dem Königreich Dänemark und der DDR vom 3.12.1987 auseinander. Dabei ging das Gericht der Frage nach, ob und inwieweit die Globalentschädigung des Abkommens den Eigentumsanspruch des Beschwerdeführers an einem in der Niederlausitz gelegenen Gut zum Erlöschen bringen konnte. Das Gericht stellte zunächst fest, daß das Abkommen nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten die Bundesrepublik Deutschland berechtigt und verpflichtet. Die Bundesrepublik sei auf Grund von Konsultationen mit Dänemark nach Art. 12 Abs. 1 EV i.V.m. der Bekanntmachung über das Erlöschen völkerrechtlicher Übereinkünfte der DDR mit Dänemark vom 15.10.199213 in das zwischen diesem Staat und der DDR geschlossene Globalentschädigungsabkommen sukzediert. Ferner sei die Rechtsauffassung des OLG Brandenburg (Urteil vom 26.11.1999, 4 U 22/97 = VIZ 1999, 688) nicht zu beanstanden, wonach durch das Globalentschädigungsabkommen auch das ehemals im Volkseigentum stehende Gut des Beschwerdeführers erfaßt werde. Denn aus der in Art. 6 des Abkommens enthaltenen Erledigungsklausel ergebe sich, daß sich die Regelung auf alle zwischen den Vertragsstaaten offenen Vermögensfragen beziehe. Schließlich habe das OLG zu Recht angenommen, daß bereits das In-Kraft-Treten des Abkommens auf der völkerrechtlichen Ebene zum Verlust des Eigentumsanspruchs geführt habe. Denn im Rahmen der Ausübung diplomatischen Schutzes sei der Heimatstaat grundsätzlich befugt, mit Wirkung für seine Staatsangehörigen auf deren im Gaststaat gelegenes Eigentum zu verzichten. Die Grenze der Regelungsbefugnis ergebe sich aus zwingenden Rechtsnormen, insbesondere dem Kernbereich der Menschenrechte, der allerdings bei der Disposition über faktisch wertloses Eigentum bei Gewährung einer pauschalen Entschädigung im Gegenzug nicht berührt sei.




      9 Vertrag vom 31.8.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, BGBl. 1990 II, 889.

      10 BGBl. 1994 II, 726.

      11 Dieser Artikel lautet: "Dem ... Vertrag ... wird zugestimmt."

      12 Dieser Artikel bestimmt: "Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung vorübergehend die weitere Anwendung der von Art. 12 des Einigungsvertrags erfaßten völkerrechtlichen Verträge der Deutschen Demokratischen Republik im Bereich der sozialen Sicherheit (gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, Arbeitsförderung sowie Familienleistungen) in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet zu regeln, bis das vereinte Deutschland seine Haltung zum Übergang dieser Verträge festgelegt hat."

      13 BGBl. 1992 I, 1115.