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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Christiane E. Philipp


X. Stationierungsstreitkräfte

       88. In seinem Urteil vom 28.4.1993 (10 AZR 391/92 = NZA 1993, 105 ff.) mußte das Bundesarbeitsgericht entscheiden, ob in Betrieben der sowjetischen Streitkräfte, die in den "Neuen Ländern" liegen und in denen deutsche Arbeitnehmer als Zivilbedienstete beschäftigt sind, das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung findet. Anlaß der Rechtsstreitigkeit war die im Sommer 1990 getroffene Entscheidung der sowjetischen Streitkräfte, einen Reparaturbetrieb stillzulegen, was im Oktober 1990 zur Kündigung der dort beschäftigten Arbeitnehmer führte. Der klagende Arbeitnehmer mache geltend, die Streitkräfte hätten mit der gewählten Betriebsgewerkschaftsleitung vor der Entlassung einen Interessenausgleich im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes versuchen müssen. Da dies nicht geschehen sei, stehe ihm gegen die Bundesrepublik Deutschland nach § 113 BetrVG (BGBl. 1989 I, 902) ein Anspruch auf Abfindung zu.

       Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision des Klägers blieb erfolglos. Das Gericht stellte fest, daß der Kläger zu Recht seine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben habe. Nach Art. 21 Abs. 3 des Vertrages vom 12.10.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzuges der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland61 seien für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis der deutschen Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Truppen die deutschen Gerichte zuständig. Der Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland stehe nicht entgegen, daß die UdSSR zwischenzeitlich als Völkerrechtssubjekt und Partner des Aufenthalts- und Abzugsvertrages weggefallen sei. Zumindest die Russische Föderation sei als Vertragspartner an die Stelle der UdSSR getreten. Die Russische Föderation habe durch eine Note vom 13.1.199262 der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt, daß sie die Ausübung der Rechte und Erfüllung der Pflichten aus den von der UdSSR geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen fortführe und in diesem Zusammenhang anstelle der UdSSR die Russische Föderation als Vertragspartei aller geltender völkerrechtlicher Verträge anzusehen sei.

       Das Betriebsverfassungsrecht sei ein Recht der privaten Wirtschaft, zu der Betriebe und Verwaltung der Streitkräfte nicht gehörten. § 130 BetrVG nehme Verwaltung und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der sonstigen Körperschaften und Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes aus. In diesen Betrieben und Verwaltungen gelte Personalvertretungsrecht, wie etwa auch für die bei der Bundeswehr beschäftigten Arbeitnehmer. Gleiches gelte nach Art. 56 Abs. 4 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (siehe Anm. 63) für die Zivilbeschäftigten bei den Stationierungsstreitkräften des Nordatlantikpaktes. Es wäre daher eine Systemwidrigkeit im deutschen Arbeitnehmervertretungsrecht, wenn für die Zivilbeschäftigten bei den sowjetischen Streitkräften das Betriebsverfassungsrecht, für die Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr und den Streitkräften der Stationierungsstreitkräfte des Nordatlantikpaktes nur Personalvertretungsrecht gelten würde, das eine § 113 BetrVG vergleichbare Regelung nicht enthalte. Dem stehe schließlich nicht entgegen, daß in dem Betrieb die Zivilbeschäftigten am 14.11.1990 noch einen Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz gewählt hätten, ohne daß dies offenbar von den Streitkräften beanstandet oder angefochten worden sei. Habe im Betrieb des Klägers im November 1990 das Betriebsverfassungsgesetz nicht gegolten, so sei die Wahl dieses Betriebsrates nichtig. Einer Anfechtung dieser Wahl durch die Streitkräfte habe es somit nicht bedurft. (Vgl. zu diesem Themenkomplex auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom selben Datum Az. 10 AZR 552/92).

       89. Mit Urteil vom 27.5.1993 (III ZR 59/92 = NJW 1993, 2173 ff.) entschied der Bundesgerichtshof: Die für die Durchführung militärischer Tiefflüge auf Seiten der NATO-Streitkräfte Verantwortlichen seien den Bewohnern von Tieffluggebieten gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Flugzeiten, die im gesundheitlichen Interesse der Bewohner festgesetzt worden seien, auch beachtet würden. Hielten die Luftstreitkräfte der NATO bei militärischen Tiefflügen diese Grenzen in erheblichem Umfang nicht ein, so hafte wie im vorliegenden Fall die Bundesrepublik Deutschland aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung für die hierdurch hervorgerufenen Gesundheitsschäden. Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche seien die gem. Art. VIII Abs. 5 des NATO-Truppenstatuts (NTS) (BGBl. 1961 II, 1190) nach deutschem Recht zu beurteilenden Ansprüche nach Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen vom 18.8.1961.

       90. Das hessische Finanzgericht entschied mit Urteil vom 11.6.1993 (7 K 2813/92 = EFG 1993, Nr. 12, 819 ff.), daß der Normgebungsbereich der EG nicht das Truppenzollrecht umfasse, so daß Bestimmungen des EG-Rechtes nur bei ausdrücklicher Verweisung angewendet werden könnten. Das Gericht stellte fest, daß die von dem Kläger zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Bestimmung des Art. 8 Abs. 1 D Zollschuldverordnung deshalb keine Anwendung finde, weil sich die Normgebung des EG-Gesetzgebers auf diesen Bereich nicht beziehe. Das Truppenzollgesetz enthalte also eine spezialgesetzliche Regelung, die nur bei Vorliegen einer entsprechenden Verweisung zur Anwendbarkeit dieser EG-Bestimmung führen könne. Eine solche Verweisung sei indes nicht vorliegend.

       91. In seinem Beschluß vom 22.3.1993 (3 Ws 173/92 = NZWehrr 1993, 125 ff.) entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe: Die Entlassung eines Mitglieds der US-amerikanischen Stationierungsstreitkräfte nach Chapter 10 der Armeevorschrift 635-200 begründet für die deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Verfahrenshindernis nach Art. VII Nr. 8 NATO-Truppenstatut. Auch ein Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf alsbaldige und schnelle Verhandlung nach Art. VII Abs. 9a NATO-Truppenstatut begründet kein Verfahrenshindernis, ist allerdings im Rahmen der Strafzumessung zu beachten.

       Der Angeklagte, so das Gericht, unterliege der deutschen Gerichtsbarkeit. So habe er zum Zeitpunkt der Begehung der ihm vorgeworfenen Straftat als ein in der Bundesrepublik Deutschland stationierter US-Soldat zu dem vom NATO-Truppenstatut erfaßten Personenkreis gehört. Die ihm in der Anklage vorgeworfene Straftat der Vergewaltigung sei sowohl nach amerikanischem Militärrecht als auch nach deutschem Recht von Strafe bedroht und unterliege somit der konkurrierenden Gerichtsbarkeit nach Art. VII Abs. 1 und 3 des NATO-Truppenstatuts. In den Fällen der konkurrierenden Gerichtsbarkeit komme den ausländischen Militärbehörden ein sogenanntes Vorrecht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich nur zu, soweit die strafbare Handlung in Ausübung des Dienstes begangen worden sei oder sich nur gegen den Entsendestaat bzw. eine dem Truppenstatut unterstehende Person gerichtet habe (Art. VII Abs. 3a NATO-Truppenstatut). Bei allen sonstigen Straftaten, dazu gehöre auch die vorliegend in Rede stehende Tat, stehe grundsätzlich der Bundesrepublik Deutschland das Vorrecht zu (Art. 7 Abs. 3b NATO-Truppenstatut). Die Bundesrepublik Deutschland habe jedoch auf das ihr zustehende Vorrecht zur Ausübung der Gerichtsbarkeit nach Art. 19 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut63 auch gegenüber den Vereinigten Staaten verzichtet. Dieser Verzicht lasse jedoch die deutsche Gerichtsbarkeit dem Grunde nach unangetastet. Mit dem Verzicht entstehe nicht eine ausschließliche Gerichtsbarkeit des Entsendestaates; es liege nach wie vor ein Fall der konkurrierenden Gerichtsbarkeit vor. Deshalb könne die deutsche Gerichtsbarkeit sowohl bei Rücknahme des Verzichtes nach Art. 19 Abs. 3 Zusatzabkommen NATO-Truppenstatut als auch dann wieder aufgenommen werden, wenn die Militärbehörden ihrerseits innerhalb angemessener Zeit nicht tätig würden. Nach dem Ausscheiden des Soldaten aus den Stationierungsstreitkräften, ohne daß gegen ihn ein militärgerichtliches Verfahren durchgeführt worden sei, unterliege er auch dann der deutschen Gerichtsbarkeit, wenn der Verzicht auf das Vorrecht nicht zurückgenommen worden sei, weil dann keine konkurrierende Gerichtsbarkeit der Stationierungsmacht mehr bestehe. An der Rechtslage habe sich durch die Wiedervereinigung Deutschlands nichts geändert.



      61 BGBl. 1991 II, 256 ff.

      62 BGBl. 1992 II, 1016.

      63 BGBl. 1961 II, 1183 ff.