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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Hans-Konrad Ress


IX. Internationaler Menschenrechtsschutz

1. Europäische Menschenrechtskonvention

g) Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK)

      79. Mit der aufenthaltsrechtlichen Bedeutung von Art. 8 EMRK hatte sich das VG Düsseldorf in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eines von seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind getrennt lebenden Ausländers zu befassen, dem nach der Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung der Vollzug der daraus resultierenden Ausreisepflicht drohte. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Sache Berrehab67 führte das VG aus, die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung und der Vollzug der daraus resultierenden Ausreisepflicht eines Vaters stellten, mit Blick auf die sich in der Praxis ergebende Veränderung regelmäßiger Kontakte zwischen Vater und Kind, einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK dar (Beschluß vom 25.4.1994 - 8 L 1776/94 - InfAuslR 1994, 309). Dieser Eingriff könne zwar dann gerechtfertigt sein, wenn er einem dringenden sozialen Bedürfnis entspringe und in einem vernünftigen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehe. Maßgebend seien jedoch insoweit die konkreten Umstände des Einzelfalles, die hier angesichts der guten Beziehungen des Vaters zu dem aus der Ehe hervorgegangenen Sohn nicht unerhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung erweckten. Müßte der Vater jetzt das Bundesgebiet verlassen, dürfte die für die weitere Entwicklung des Sohnes wichtige Beziehung zu seinem Vater tatsächlich kaum aufrechtzuerhalten sein.

      80. Der Nachzug ausländischer Ehegatten zu in Deutschland lebenden Ausländern wird nach § 18 Abs. 1 i.V.m. 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG unter der Voraussetzung gestattet, daß die Ehegatten über eine eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes verfügen. Die Vereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 8 Abs. 1 EMRK war Gegenstand eines Beschlusses des VGH Kassel (Beschluß vom 2.8.1994 - 13 TH 1652/94 - NVwZ-RR 1995, 53 = DVBl. 1994, 1422 [Ls.]). Ebenfalls unter Hinweis auf das Urteil des EGMR im Fall Berrehab (s. [79]) befand der VGH Kassel, daß die Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung für einen nachzugswilligen Ehegatten bei Fehlen einer sicheren wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei. Auch der EGMR habe die Verfolgung eines legitimen staatlichen Ziels im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK bei der Forderung nach einer ausreichenden wirtschaftlichen und sozialen Sicherung der Ausländer als Voraussetzung für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts grundsätzlich anerkannt.

      81. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied mit Beschluß vom 8.12.1994, daß Art. 8 EMRK nicht die Abschiebung eines verheirateten Ausländers verbiete, wenn über den Asylantrag des Ehegatten noch nicht endgültig entschieden worden sei (Beschluß vom 8.12.1994 - 11 AA 94.34982 - InfAuslR 1995, 72). Dies ergebe sich bereits daraus, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts68 Art. 6 Abs. 1 GG nicht die zeitgleiche Behandlung und Entscheidung der Asylbegehren von Ehegatten gebiete und Art. 8 Abs. 1 EMRK wegen der durch Art. 8 Abs. 2 EMRK erfolgten Einschränkung hinter dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zurückbleibe69.

      82. Auf der gleichen Linie liegt der Beschluß des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.9.1994 (18 A 2945/92 - NVwZ-RR 1995, 353 = InfAuslR 1995, 99 = DVBl. 1995, 582 [Ls.]), in dem das Gericht die Ist-Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen der Begehung mehrerer Verbrechen trotz bestehender familiärer Bindungen nach Deutschland gebilligt hatte. Die gerügte Verletzung von Art. 8 EMRK verwarf das OVG mit der Begründung, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR70 sei davon auszugehen, daß der Schutz des Art. 8 EMRK nicht weiter gehe als der des Art. 6 GG, der im Ausländergesetz seinen Niederschlag gefunden habe.

      83. Nach Art. 200 Abs. 1 des Rumänischen Strafgesetzbuchs wird der Geschlechtsverkehr zwischen Personen desselben Geschlechts mit 1 bis 5 Jahren Haftstrafe bestraft. Das VG Würzburg entschied mit Urteil vom 28.11.1994 (W 8 K 93.33609 - NVwZ-RR 1995, 355), daß sich aus dieser Strafvorschrift für rumänische Staatsangehörige ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 8 EMRK ergebe. Das Gericht stützte sich hierbei auf Entscheidungen der Europäischen Kommission sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die in der Kriminalisierung homosexueller Handlungen in der Privatsphäre und unter Gleichgewillten einen Eingriff in das Recht auf Achtung dieser Sphäre, wie es durch Art. 8 Abs. 1 EMRK garantiert wird, gesehen hatten71. Ebenfalls unter Bezugnahme auf die Praxis der Konventionsorgane verneinte das VG eine Rechtfertigung dieses Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK. Die Aufrechterhaltung des Art. 200 Abs. 1 RumStGB entspringe keinem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis. Obgleich Teile der Öffentlichkeit die Homosexualität als unmoralisch ansähen, könne dies für sich allein nicht die Anwendung der Strafvorschriften rechtfertigen, solange lediglich Erwachsene in gegenseitigem Einverständnis beteiligt seien. So habe auch der EGMR72 auf die in der Mehrheit der Mitgliedstaaten des Europarats bestehende gesteigerte Toleranz gegenüber homosexuellem Verhalten hingewiesen.

      Das somit aus Art. 8 Abs. 1 EMRK fließende Verbot, homosexuelle Handlungen generell unter Strafe zu stellen, bewirke ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG, da die Konvention auch die Teilnahme an solchen Handlungen durch Abschiebung in den betroffenen Staat verbiete.

      84. Das OLG Celle hatte sich schließlich mit der Frage zu befassen, ob der Ausschluß eines gemeinsamen Sorgerechts für ein nichteheliches Kind einen Verstoß gegen Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK darstellt (Beschluß vom 31.3.1994 - 18 W 33/93 - FamRZ 1994, 1057). Das Amtsgericht hatte entgegen dem Antrag der Mutter und des Vaters das Sorgerecht für das gemeinsame nichteheliche Kind alleine der Mutter übertragen. Das OLG Celle bejahte zwar die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK, verneinte jedoch einen Verstoß gegen die Menschenrechte des Vaters und seines nichtehelichen Kindes, da die Vorenthaltung des Sorgerechts keine nach Art. 14 EMRK verbotene Diskriminierung darstelle. Der volle Schutz der Beziehungen zwischen einem Mann und einer Frau ebenso wie das Verhältnis zu ihren Kindern erfordere eine rechtmäßige Ehe73. Für die generelle Zuteilung des Sorgerechts an die Kindesmutter spreche eine erste starke familiäre Beziehung zwischen Mutter und Kind, die schon durch die bloße Tatsache der Geburt als solche begründet und üblicherweise auch von der unverheirateten Mutter aufrechterhalten werde. Selbst im Falle des Zusammenlebens von Vater und Mutter und nichtehelichem Kind sei die tatsächlich vorliegende Ungleichbehandlung im Verhältnis zum verheirateten Vater aber dadurch gerechtfertigt, daß eine nichteheliche Lebensgemeinschaft jederzeit und ohne eine zumindest vorläufige Möglichkeit der Aufrechterhaltung aus Gründen des Kindeswohles beendet werden könne.



      67 Urteil vom 21.6.1988 - 3/1987/126/177 - InfAuslR 1994, 84.
      68 Beschluß vom 13.8.1990 - 9 B 100.90.
      69 Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.6.1992 - InfAuslR 1992, 305.
      70 Urteil vom 18.2.1991 - InfAuslR 1991, 149.
      71 EKMR, EuGRZ 1992, 447; EGMR, EuGRZ 1993, 490.
      72 EuGRZ 1983, 493.
      73 So auch Bundesverfassungsgericht, NJW 1981, 1201.