Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


Inhalt | Zurück | Vor

Volker Röben


V. Wirkungen und Grenzen staatlicher Souveränität

1. Grenzen der Ausübung eigener Staatsgewalt

       20. Nachdem sich bereits 1994 das FG Baden-Württemberg mit dem Verlauf der Staatsgrenze im Bodensee befaßt hatte,1 hatte sich im Berichtszeitraum der VGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 7.7.1995 (5 S 3071/94 - UPR 1996, 193) zu dieser Frage zu äußern. Streitig war die Notwendigkeit einer Baugenehmigung für die Verankerung eines sog. Tanz-Schiffes auf der Wasserfläche des Bodensees im Konstanzer Hafen. Der VGH entschied, die Verankerung stelle kein Vorhaben i.S.d. § 29 Satz 1 BauGB dar, da es an der planungsrechtlichen Relevanz der Anlage fehle. Gegenstand der gemeindlichen Bauleitplanung sei nämlich nur das Gemeindegebiet. Zum Gemeindegebiet der beigeladenen Stadt Konstanz gehöre aber nicht der Bodensee, auch nicht mit seiner Wasserfläche im Hafen von Konstanz. Dabei brauche nicht entschieden zu werden, wo die Staatsgrenze der drei Anrainerstaaten Deutschland, Österreich und Schweiz verlaufe: Nach der Theorie der Realteilung hätten diese Anrainerstaaten je ihre genau bestimmten Anteile am Bodensee samt dem Luftraum darüber und darunter; demgegenüber sei der Bodensee nach der wohl herrschenden eingeschränkten Kondominiumstheorie ungeteiltes gemeinsames Eigentum der drei Anrainerstaaten, wobei jedoch nicht das gesamte Gewässergebiet Kondominium sei, sondern - wie von alters her unstreitig gehandhabt - der Uferstreifen ausgeschieden und der ausschließlichen Hoheit des Anrainerstaates unterworfen sei. Auch wenn dann in jedem Falle der hier in Rede stehende Teil des Bodensees (Konstanzer Hafen) zum Gebiet des Landes Baden-Württemberg gehöre, folge daraus noch keineswegs die Zugehörigkeit zum Gebiet einer Gemeinde. Diese Entscheidung falle nicht nach völkerrechtlichen Grundsätzen und Überlegungen, sondern nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts.

       21. Mit Beschluß vom 12.9.1995 (2 BvR 1906/95 u.a. - BVerfGE 93, 248=EuGRZ 1995, 645) lehnte das Bundesverfassungsgericht die Anträge von sieben Beschwerdeführern, sudanesischen Staatsangehörigen, auf einstweilige Anordnungen zur Einreisegestattung ab. Die späteren Beschwerdeführer landeten im Verlauf des Juli 1995 auf dem Flughafen Frankfurt/Main und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte.2 Da die Beschwerdeführer nicht im Besitz von gültigen Pässen waren, wurden die Asylverfahren vor der Entscheidung über ihre Einreise in die Bundesrepublik durchgeführt.3 Nachdem das Bundesamt die Anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt hatte, verweigerte das zuständige Grenzschutzamt die Einreise in die Bundesrepublik.4 Das VG lehnte mit Beschlüssen vom 11. und 14.8.1995 die Eilrechtsschutzanträge ab. Die zwangsweise Verbringung der Beschwerdeführer zurück in den Sudan als Vollziehung der Einreiseverweigerung war für den 15.8.1995 nachmittags vorgesehen. Am Vormittag desselben Tages gingen beim Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerden gegen die Beschlüsse des VG ein, verbunden mit Anträgen auf Erlaß einstweiliger Anordnungen. Auf telefonischem Wege konnte ein Aufschub der Vollziehung erreicht werden, um dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit zur Prüfung zu geben. Durch Beschluß vom 24.8.19955 untersagte die Kammer dem Grenzschutzamt Frankfurt/Main zunächst bis zum 8.9.1995, die Einreiseverweigerung zu vollziehen; eine weitere Entscheidung über die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung blieb vorbehalten. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurde dem Bundesverfassungsgericht eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 1.9.1995 vorgelegt. Danach hatte der Staatssekretär im sudanesischen Außenministerium dem deutschen Geschäftsträger im Sudan zugesichert, daß die Beschwerdeführer nach der Rückkehr keine staatliche Verfolgung oder menschenrechtswidrige Behandlung zu befürchten hätten. Auf eine entsprechende Bitte des Bundesverfassungsgerichts hin äußerte sich das Auswärtige Amt mit Bericht vom 11.9.1995 dahin, die Zusage des sudanesischen Staatssekretärs sei tatsächlich auf höchster Ebene erörtert und gebilligt worden. Dies rechtfertige die Annahme, daß die effektive Staatsgewalt für die Einhaltung der Zusage auch ggf. gegenüber den sudanesischen Innen- und Sicherheitsbehörden sorgen werde. Ferner wurde dem Bundesverfassungsgericht eine Verbalnote des sudanesischen Außenministeriums ebenfalls vom 11.9.1995 übersandt.6 Seinen ablehnenden Beschluß begründete der beschließende 2. Senat nunmehr wie folgt: Ein weiterer Aufschub der Vollziehung der gemäß § 18a Abs. 3 AsylVfG ausgesprochenen Einreiseverweigerungen sei nicht erforderlich, um einen schweren Nachteil i.S.d. § 32 Abs. 1 BVerfGG von den Beschwerdeführern abzuwenden. Auch aus anderen Gründen sei eine vorläufige Regelung zur Sicherung der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden nicht dringend geboten. Auf der Grundlage der Einschätzungen durch das Auswärtige Amt und die Deutsche Botschaft in Khartoum sowie der Verbalnote des sudanesischen Außenministers sei ausreichend gewährleistet, daß den Beschwerdeführern infolge ihrer Rückführung in den Sudan staatliche Verfolgung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit drohe. Die Verbalnote stelle eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung und Zusicherung an die Bundesrepublik Deutschland dar. Die Einschätzung der Bundesregierung (des Auswärtigen Amtes) gehe dahin, daß die sudanesische Staatsgewalt für die Einhaltung der gegebenen Zusagen effektiv sorgen werde. Diese Einschätzung falle in den Kompetenzbereich der Bundesregierung im Rahmen der auswärtigen Gewalt. Sie verfüge über die notwendigen Kenntnisse vor Ort und trage für ihre Entscheidung die politische Verantwortung. Das Bundesverfassungsgericht könne dieser Einschätzung und Beurteilung nur entgegentreten, wenn greifbare Anhaltspunkte dies rechtfertigten.7 Dies sei derzeit nicht der Fall. In seiner abweichenden Meinung führt Bundesverfassungsrichter Sommer aus, bei den auf Bitten des Bundesverfassungsgerichts vorgelegten Stellungnahmen und Einschätzungen des Auswärtigen Amtes sowie der Verbalnote des sudanesischen Außenministeriums handele es sich um Sachverhaltsfeststellungen und Beweiserhebungen durch das BVerfG.8 Das Gericht habe sich dabei den besonderen Sachverstand des Auswärtigen Amtes zunutze gemacht, um zu einer tragfähigen Beurteilung der tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlaß einstweiliger Anordnungen zu gelangen. Als Akt der Ausübung auswärtiger Gewalt ließen sich die Stellungnahmen nicht qualifizieren. Deshalb greife auch der auf die Einhaltung äußerer Grenzen beschränkte Maßstab verfassungsgerichtlicher Kontrolle, den das Bundesverfassungsgericht zugrunde lege, wenn Maßnahmen der auswärtigen Gewalt Gegenstand der Prüfung seien,9 hier nicht ein. Vielmehr habe das Bundesverfassungsgericht gemäß § 30 Abs. 1 BVerfGG das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Beweiserhebung - nach Gewährung rechtlichen Gehörs für die Verfahrensbeteiligten - umfassend zu würdigen. Dabei sei freilich die besondere Sachkunde und Sachnähe des Auswärtigen Amtes angemessen zu berücksichtigen. Auch die politische Verantwortlichkeit der Bundesregierung für die Einschätzung der Verläßlichkeit eingeholter Zusicherungen im völkerrechtlichen Verkehr könne eine Rolle spielen. Letztlich müsse es aber bei einer vom Bundesverfassungsgericht zu verantwortenden Würdigung und Entscheidung bleiben. Die vom Senat zur Grundlage seiner Entscheidung gemachten Zusicherungen sudanesischer Behörden könnten die erforderliche Überzeugungsbildung nicht stützen. Erforderlich sei eine breitere tatsächliche Grundlage etwa durch Einholen von Stellungnahmen anderer Stellen und Organisationen, an erster Stelle des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen10. Zur völkerrechtlichen Qualifizierung der Verbalnote durch den Senat nahm Richter Sommer keine Stellung.

       22. Im Kammerbeschluß vom 27.10.1995 (DVBl. 1996, 196) befaßte sich das Bundesverfassungsgericht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aufklärungspflicht der Fachgerichte bei der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 43 EMRK. Der Beschwerdeführerin, einer iranischen Staatsangehörigen, war die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung versagt worden; gleichzeitig wurde sie unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert. Sie beantragte gegen die Abschiebung eine einstweilige Anordnung beim VG. Nach Ergehen der ablehnenden Entscheidung des VG beantragte sie eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts gem. § 31 BVerfGG. Sie machte geltend, daß sie ein nichteheliches Kind zur Welt gebracht habe, vorehelicher Geschlechtsverkehr im Iran aber strafrechtlich verfolgt werde. Die Kammer gab dem Antrag statt. Das Auswärtige Amt hatte dem VG auf Anfrage mitgeteilt, daß es in der Praxis zu keiner Strafverfolgung komme, da es nach aus dem Koran abgeleitetem Recht auch Zeitehen gebe und es genüge, wenn die Angeklagten behaupteten, zur Zeit des Geschlechtsverkehrs verheiratet gewesen zu sein. Die Kammer führte aus, das VG könne sich auf Auskünfte des Auswärtigen Amts nur für den Bereich dessen Sachkunde stützen; dazu gehöre die Auslegung iranischen Rechts aber nicht.

       23. Die Frage der Rechtswirkungen im Ausland zugestellter deutscher Urteile war Gegenstand des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 22.11.1995 (XII ZB 163/95 - FamRZ 1996, 347). Der Bundesgerichtshof entschied, daß bei der Zustellung ins Ausland durch Aufgabe zur Post das zuzustellende Urteil nicht in die Sprache des Empfängers übersetzt zu werden brauche. Bei einer hierauf beruhenden Fristversäumung komme dann allerdings eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Sobald eine Übersetzung jedenfalls der wichtigen Passagen vorliegt, beginnt nach dem Bundesgerichtshof die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 24 ZPO zu laufen. Die ausländische Partei, der ein Urteil in deutscher Sprache zugehe, müsse sich unverzüglich über die Möglichkeiten der Anfechtung und einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erkundigen.

       24. Das OLG München hatte sich in seinem Urteil vom 8.3.1995 (7 U 55460/94 - RIW 1996, 854) mit den Auswirkungen einer Schiedsvertragsklausel mit Auslandsbezug auf die deutsche Gerichtsbarkeit zu befassen. Es entschied, daß die Einrede des Schiedsvertrags der Beklagten mit Sitz in der Bundesrepublik gegen die Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen deutschen Gerichts in dem vorliegenden Fall unbegründet sei. Die Beklagte habe die Voraussetzungen einer wirksamen Schiedsvereinbarung nicht bewiesen. Nach Art. 2 des UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) sei die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung von der Wahrung der in Absatz 2 normierten Formerfordernisse abhängig. Die bloße Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, die eine Schiedsklausel enthielten, genüge nicht dem Schriftformerfordernis von Art. 2 Abs. 2 UNÜ.



      1 Ress (Anm. 1), 483.

      2 S. hierzu T. Roeser, Stattgebende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf Asyl im Jahre 1995, EuGRZ 1996, 132-144, 141.

      3 Vgl. § 18a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG.

      4 Vgl. § 18a Abs. 3 Satz 1 AsylVfG.

      5 NVwZ 1995 Beilage 9, 65.

      6 Darin heißt es u.a.: "In response to the request of H.E. Ambassdor Mende, the Ministry wishes to convey that there is no objection to the return of the seven Sudanese citizens scheduled to arrive at Khartoum airport soon. Furthermore, the Ministry states that they shall not face any prosecution, detention or penal action because of their conduct in Germany and their application for political asylum."

      7 S. auch Bundesverfassungsgericht (Kammer des 2. Senats), Beschluß vom 9.2.1995 (2 BvQ 7/95 - EuGRZ 1995, 99=NVwZ 199 Beilage 7, 49), in dem die Kammer dem vom türkischen Botschafter an den Bayerischen Staatsminister des Inneren übergebenen Schreiben über die ihm von den türkischen Stellen erteilten Informationen zur Nichtverfolgung des Beschwerdeführers als einem angeblichen PKK-Mitglied entnimmt, daß dem Beschwerdeführer keine Verfolgung in der Türkei drohe.

      8 Vgl. § 26 Abs. 1 BVerfGG.

      9 S. BVerfGE 55, 349 (365 ff.)

      10 Vgl. § 9 AsylVfG, Art. 35 Genfer Flüchtlingskonvention.