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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


610. DEUTSCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.87/1

Mit der Entlassung eines Bürgers aus der DDR-Staatsbürgerschaft durch DDR-Organe tritt nach dem Grundgesetz kein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ein.

If the German Democratic Republic denationalizes a citizen from GDR citizenship, under the Basic Law he or she will not lose his or her German citizenship.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 13.7.1987 (1 S 771/87), ESVGH 37, 285 (ZaöRV 48 [1988], 727)

Einleitung:

      Der Kläger wurde 1982 antragsgemäß aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik beantragte er daraufhin einen Reiseausweis für Staatenlose. Dieser wurde ihm verweigert, da er die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Seine Klage und Berufung dagegen blieben erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm allein beantragte Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose gemäß Art.28 des Übereinkommens vom 28.9.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen ... [BGBl. 1976 II S.473]; denn er ist nicht Staatenloser, sondern er besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, die er weder durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik und durch die Entlassung aus dieser Staatsbürgerschaft noch durch Entlassung gemäß §18 RuStAG und durch Verzicht gemäß §26 RuStAG verloren hat. Dies folgt zunächst aus der durch den Zusammenbruch des Deutschen Reiches und die deutsche Spaltung entstandenen besonderen Rechtslage Deutschlands, die das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 31.7.1973 (BVerfGE 36, 1 ff.) zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik mit Bindungswirkung (§31 BVerfGG) wie folgt festgestellt hat:
      Die Bundesrepublik Deutschland ist als Staat mit dem noch immer existierenden, wenn auch handlungsunfähigen Deutschen Reich identisch, in bezug auf die räumliche Ausdehnung und die Hoheitsgewalt jedoch auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes beschränkt. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu "Deutschland" (Deutsches Reich) und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden. Dementsprechend geht das Grundgesetz in Art.16 Abs.1 und Art.116 Abs.1 vom Weiterbestehen der im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz geregelten einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit aus, die zugleich die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist. Deshalb ist deutscher Staatsangehöriger in diesem Sinne nicht nur der Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Für die Bundesrepublik verliert ein Deutscher diese Staatsangehörigkeit nicht dadurch, daß ein anderer Staat sie aberkennt.
      Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich diese Rechtslage durch den Grundlagenvertrag, in dem die Bundesrepublik Deutschland der Deutschen Demokratischen Republik u.a. den Charakter eines souveränen Staates mit Unabhängigkeit und Selbständigkeit in inneren und äußeren Angelegenheiten zugesteht, nicht geändert. Denn die Vertragspartner haben in der Präambel nicht nur auf die unterschiedlichen Auffassungen "zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage" hingewiesen, sondern auch im Zusammenhang mit dem Vertrag zwei Erklärungen zu Protokoll abgegeben; darin bringt die Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck, daß Staatsangehörigkeitsfragen durch den Vertrag nicht geregelt worden sind, während die Deutsche Demokratische Republik davon ausgeht, daß der Vertrag eine Regelung der Staatsangehörigkeitsfragen erleichtern wird ... Der Grundlagenvertrag hat keine Auswirkungen auf die deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes. Nach der verbindlichen verfassungskonformen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O., S.31) hat - unbeschadet jeder Regelung des Staatsangehörigkeitsrechts der Deutschen Demokratischen Republik - die Bundesrepublik Deutschland jeden Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, der in den Schutzbereich der Bundesrepublik und ihrer Verfassung gerät, gemäß Art.116 Abs.1 und Art.16 Abs.1 GG als Deutschen wie jeden Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu behandeln. Diese Aussage bezieht sich nach dem Sinnzusammenhang auf Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind (... BVerwGE 66, 277, 280), was auf Bürger der Deutschen Demokratischen Republik im Hinblick auf das geltende Abstammungsprinzip (§3 Nr.1 i.V.m. §4 RuStAG) in aller Regel zutrifft ... Die staatliche Hoheitsgewalt der Deutschen Demokratischen Republik über ihre Bewohner wird demnach von der Bundesrepublik Deutschland nach dem Grundlagenvertrag nur insoweit respektiert, als sie nicht das Fortbestehen der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Rechtswirkungen für die DDR-Bürger in Frage stellt ...
      Der Kläger, der nach den zutreffenden Feststellungen der Beklagten die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt besitzt, hat diese entgegen seiner dargelegten Rechtsauffassung auch nicht durch den Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik oder durch die Entlassung aus dieser Staatsbürgerschaft verloren. Zwar hat sich die Deutsche Demokratische Republik in Konsequenz ihrer These vom Untergang des Deutschen Reiches mit Erlaß des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1967 von der deutschen Staatsangehörigkeit gelöst und in §19 Abs.2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz außer Kraft gesetzt sowie eine eigene DDR-Staatsbürgerschaft für ihre Bürger geschaffen. Nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts kann aber ein dritter Staat eine durch ihn nicht vermittelte Staatsangehörigkeit nicht beenden; hierzu wäre nur die Bundesrepbulik Deutschland als der die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelnde Staat befugt ... Der Erwerb der DDR-Staatsbürgerschaft konnte auch nach §25 RuStAG schon deshalb keinen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit begründen, da als ausländische Staatsangehörigkeit im Sinne dieser Vorschrift nur eine solche angesehen werden kann, die gerade nicht von der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit umfaßt wird, sondern an eine Beziehung zu einem fremden, nicht aus dem Deutschen Reich hervorgegangenen Staat anknüpft ...
      Zu Unrecht wendet der Kläger ein, die Bundesrepublik Deutschland mische sich unter Verstoß gegen das Völkerrecht in die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik ein, wenn sie deren Staatsbürger oder die aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassenen Bürger als deutsche Staatsangehörige ansehe. Zwar ist nach allgemeinem Völkerrecht die Inanspruchnahme der Staatsangehörigen eines fremden Staates ohne vernünftige Anküpfungspunkte unzulässig, die Besonderheiten der deutschen Rechtsbeziehungen rechtfertigen aber die Beibehaltung des Status der Zugehörigkeit aller Deutschen zum gesamten deutschen Staatsvolk ... Solange die Teilung Deutschlands nicht als dauernde akzeptiert wird, liegt ein völkerrechtlicher Zwang zur Anerkennung einer exklusiven Staatsangehörigkeit der Deutschen Demokratischen Republik nicht vor, und es darf daher an der Gemeinschaft der Staatsangehörigen festgehalten werden; denn das Völkerrecht gebietet es zwangsweise geteilten Staaten nicht, die Teilung alsbald staatsangehörigkeitsrechtlich zu sanktionieren ... Eine völkerrechtswidrige Einmischung liegt auch deshalb nicht vor, weil die Bundesrepublik Deutschland die Gebietshoheit der Deutschen Demokratischen Republik respektiert und mit ihrem Festhalten an der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik nicht antastet, ohne daß damit eine rechtliche Anerkennung der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik verbunden wäre. Vielmehr wird die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit regelmäßig erst mit dem Betreten der Bundesrepublik Deutschland oder der Unterstellung unter den Schutz deutscher Behörden praktisch wirksam ... Weiterer Vertiefung bedarf diese Frage hier nicht, da nach der Entlassung des Klägers aus der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik völkerrechtliche Konflikte, wie sie bei doppelter Staatsangehörigkeit auftreten können, ausgeschlossen sind. Im übrigen bestehen wie hier mit der Wohnsitznahme und dem ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet die Rechte und Pflichten aus der deutschen Staatsangehörigkeit unabhängig vom Willen des Betroffenen; auf den entgegenstehenden Willen, weder deutscher Staatsangehöriger zu sein oder es werden zu wollen, kommt es nicht an.
      Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht auf andere Weise verloren. Seine Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit nach §18 RuStAG hat er nicht beantragt; zudem liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor, weil er weder den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit beantragt hat noch eine entsprechende Verleihung zugesagt ist. Er hat auf die deutsche Staatsangehörigkeit schließlich auch nicht wirksam verzichtet. Denn dies setzt nach §26 Abs.1 RuStAG u.a. den Besitz mehrerer Staatsangehörigkeiten voraus, wobei die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik nicht in Betracht kommt ...