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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2002

I. Forschungsvorhaben

D. Vereinte Nationen

2. Kommentar zur Charta der Vereinten Nationen

Im Berichtszeitraum sind die Kommentierungen von Prof. Frowein und Dr. Krisch der Art. 39 und 43 sowie des Art. 2 (5) und von Prof. Wolfrum der Präambel, der Art. 1, 18, 55 (a) und (h) sowie des 56 in dem von Bruno Simma herausgegebenen Kommentar zur UN-Charta erschienen. Die Kommentierung der Art. 39 bis 43 sowie des Art. 2 (5) wurde bereits im letzten Tätigkeitsbericht des Instituts dargestellt.

Bei der Kommentierung von Art. 55 und 56 stehen die Entwicklungen in der Praxis der Vereinten Nationen bezüglich der Zusammenarbeit der Staaten in wirtschaftlichen und sozialen Fragen im Vordergrund. Es bestehen aber auch enge Bezüge zu der Präambel und Art. 1 UN-Charta.

Es wird in der täglichen Berichterstattung über die Vereinten Nationen nicht immer voll gewürdigt, daß nach der Charta der Vereinten Nationen die internationale Zusammenarbeit außerhalb der Friedenssicherung durch den Einsatz von Friedenstruppen und Sanktionen, insbesondere durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in den Staaten und durch Ausgleich von Entwicklungsunterschieden eine wesentliche Grundlage der von der Charta angestrebten Friedensordnung darstellt (s. Präambel und Art. 1). Ein Mittel zur Erreichung einer Anhebung des wirtschaftlichen und sozialen Standards in den Mitgliedsstaaten ist eine Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten und den Vereinten Nationen und zwischen den Mitgliedsstaaten selbst. Art. 55 definiert die von den Vereinten Nationen in diesem Bereich verfolgten Ziele und Art. 56 die damit korrespondierenden Pflichten der Mitglieder der Vereinten Nationen.

Die Idee, daß eine Friedenssicherung im engeren Sinne durch eine Kooperation in den Bereichen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ergänzt werden müsse, geht bereits auf die Atlantik Charta zurück. Dieser Ansatz wurde auf der Konferenz von San Francisco unterstützt, wohingegen die Dumbarton Oaks-Vorschläge in diesem Bereich die Erwartungen der Staatengemeinschaft nicht erfüllten. Art. 55 (a) und (b) UN-Charta stehen vordergründig in einem Spannungsverhältnis zu Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta, denn nur Art. 55 (b) spricht eine genuine internationale Problematik an, während Fragen des Lebensstandards, der Vollbeschäftigung und verwandte Probleme der nationalen Kompetenz der Staaten zuzuordnen sind. Die Internationalität auch dieser Problemkomplexe ergibt sich aber daraus, daß eine innerstaatliche wirtschaftliche und soziale Destabilisierung - wie Entwicklungen in der Vergangenheit belegen - auch zu einer Gefährdung des Weltfriedens führen kann. Insofern sind Art. 1, 55 (a) (b) sowie 56 UN-Charta Musterbeispiele für eine Interdependenz von Völkerrecht und nationalem Recht, deren Analyse ein zentrales Forschungsanliegen des Instituts ist.

Die Vereinten Nationen haben versucht, den Auftrag des Art. 55 (a) (b) der UN-Charta in unterschiedlicher Weise zu erfüllen: durch die Gründung verschiedener Institutionen bzw. die Modifikation von Kompetenzen existierender Institutionen; durch die Erarbeitung von Prinzipien oder Programmen und durch gezielte Fördermaßnahmen.

Zentral bestimmend für die Arbeit der Vereinten Nationen war die wirtschaftliche Entwicklung der Staaten, wie sie Art. 55 (a) UN-Charta fordert. Wesentlich wurde dabei die Politik der Vereinten Nationen in den Erklärungen oder programmatischen Äußerungen zu den Entwicklungsdekaden formuliert. Hier ist über die Jahre eine deutliche Entwicklung zu sehen. Die Vereinten Nationen zielten zunächst auf eine globale Umstrukturierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten zugunsten der Entwicklungsländer. Besondere Bedeutung hatten in dieser Hinsicht die Instrumente zur Entwicklung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung. Mit der 18. Sondergeneralversammlung und der Verabschiedung der>Declaration on International Economic Co-operation wurde dieser Ansatz allerdings aufgegeben. An die Stelle eines globalen trat ein sektoraler Ansatz. Eine weitere Modifikation dieses Ansatzes erfolgte mit der Übernahme von Prinzipien, die die Konferenz von Rio de Janeiro über Umwelt und Entwicklung formuliert hatte, insbesondere das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung. Vor allem dieser Ansatz hat einen wesentlichen Einfluß auf die programmatischen Äußerungen der Vereinten Nationen. Seit 1998 beschäftigt sich die Generalversammlung auch mit den Konsequenzen der Globalisierung.

Trotz intensiver Anstrengungen der Vereinten Nationen in diesem Bereich bleiben die Resultate in vielen Regionen der Erde unbefriedigend. Zwar ist einzelnen Staaten>de facto der Sprung vom Entwicklungsland zu einem Industriestaat gelungen. Insgesamt haben sich aber die Unterschiede zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern weiter verschärft. Vor allem in Afrika hat die individuelle Armut deutlich zugenommen, weswegen die Vereinten Nationen - ausgehend von dem Weltsozialgipfel - ein neues Programm zur Bekämpfung der Armut aufgelegt haben. Desgleichen haben die Vereinten Nationen ihre Anstrengungen zur Verbesserung der Gesundheitsfürsorge verstärkt.

So kritisch die Anstrengungen der Vereinten Nationen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation in den Staaten in der Realität auch gesehen werden mögen, bleibt doch festzuhalten, daß Art. 55 (a) (b) UN-Charta insoweit eine zwischenstaatliche Solidarität einfordern. Insofern sind diese Normen ein wesentlicher Bestandteil der Werteordnung der Staatengemeinschaft. Die Beschäftigung mit dieser ist - unter dem Stichwort Konstitutionalisierung - ein wesentliches Forschungsanliegen des Instituts.