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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2002

II. Forschungsvorhaben

G. Europarecht

1. Europäisches Verfassungsrecht (Sammelband)

Im Berichtszeitraum ist ein von Prof. von Bogdandy herausgegebener 900-seitiger Sammelband mit dem Titel "Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge" erarbeitet worden, der im Frühjahr 2003 im Springer-Verlag erscheinen wird.

Die wissenschaftliche Durchdringung und rechtliche Verfestigung des Primärrechts der Europäischen Union sind an einem Punkt angelangt, der es erlaubt dieses Thema in der Tradition der Verfassungsrechtslehren darzustellen. Zwar wird kein Ereignis der europäischen Integration erinnert wie die amerikanische Erklärung der Unabhängigkeit vom 4. Juli 1776 oder der Schwur der Abgeordneten der französischen Nationalversammlung am 20. Juni 1789. Auch haben sich die Europäer bislang zu einer verfassunggebenden Versammlung nicht zusammengefunden, und die Politik spricht von einer europäischen Verfassung gemeinhin als Zukunftsprojekt.

Gleichwohl ist es erkenntnisstiftend, sich das geltende Primärrecht der Europäischen Union als Verfassungsrecht und Teilverfassung im europäischen Verfassungsraum vorzustellen. Es ist Verfassungsrecht denkbar ohne Staat, Nation und einen Akt, der sämtlichen Anforderungen des traditionellen Verfassungsbegriffs genügt. Immerhin begründet das Primärrecht Hoheitsgewalt, legitimiert Unionsakte, schafft eine Bürgerschaft, gewährt Grundrechte, regelt das Verhältnis von Rechtsordnungen, von Hoheitsgewalt und Wirtschaft, von Recht und Politik. Seine Rekonstruktion als Verfassungsrecht führt zu fruchtbaren Antworten auf viele theoretische und praktische Fragen. Sie entscheidet nicht über seine Bewertung: vielmehr werden Errungenschaften>und Defizite deutlich.

Die Beiträge im ersten Teil präsentieren systematisch die theoretischen und dogmatischen Grundzüge des europäischen Verfassungsrechts, reflektieren den Stand der Forschung, verdeutlichen methodische Zugänge, klären Wissenschaftsverständnisse und bezeichnen Forschungsdesiderata. Sie sind Frucht eines gemeinsamen Erkenntnisprozesses von über anderthalb Jahren, drei Tagungen und zahlreichen bilateralen Abstimmungen, was eine großzügige Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung ermöglichte. Die Gesamteinschätzungen im zweiten Teil sind das Werk von Persönlichkeiten, die als Wissenschaftler und Richter in höchsten Positionen den Gang der Integration selbst geprägt haben. Dieser Band führt Autoren unterschiedlicher methodischer und integrationspolitischer Verständnisse zusammen; sie eint das Anliegen, den im staatlichen Bereich verwirklichten Bestand an Verfassungskultur in der Union zu wahren, ja fortzuentwickeln.

Für 2003 ist eine Tagung zum Europäischen Verfassungsrecht am Institut geplant.