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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2002

II. Forschungsvorhaben

G. Europarecht

3. Handlungsformen im Unionsrecht (Studie)

Die Strukturen des öffentlichen Rechts der kontinentaleuropäischen Staaten beruhen maßgeblich auf der wissenschaftlichen Systematisierung und Disziplinierung der Formen hoheitlichen Handelns, sei es in rechtsstaatlicher, sei es in demokratischer Absicht. Im europäischen Recht hingegen wird den Handlungsformen nach einer frühen Blüte nur geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Vielleicht auch deshalb entwickelte sich ein Zustand, der allgemein als derart unbefriedigend empfunden wird, daß bereits die Erklärung Nr. 16 zum Vertrag von Maastricht zu einer Reform aufruft. War diesem Aufruf kein Erfolg beschieden, so ist vielleicht im Zuge der Post-Nizza-Debatte die Stunde der Reform gekommen. Als Beitrag zur Reformdiskussion, welche die Sinngehalte der gegenwärtigen Verfassungslage und Rechtsetzungspraxis nicht immer vollständig zu erfassen scheint, haben Prof. von Bogdandy, Jürgen Bast und Felix Arndt die Ergebnisse der von ihnen im Rahmen des DFG-Forschungsschwerpunkts "Regieren in der Europäischen Union" erarbeiteten Studie zu den Handlungsformen im Unionsrecht in der ZaöRV vorgestellt.

Sie kommen in ihrer Studie, die auf der Grundlage einer statistischen Erhebung der tatsächlichen Strukturen des abgeleiteten Unionsrechts die Rechtsregime der diversen Handlungsformen entwickelt, zum Ergebnis, daß es eine Reihe von Möglichkeiten der Verbesserungen im Detail gibt, eine genaue Analyse jedoch insgesamt keine gravierenden Systemschwächen zeigt. Das geltende Recht und die Rechtspraxis erweisen sich mit wenigen Ausnahmen bei näherer Analyse als problemadäquate Ausdifferenzierung und nicht als prinzipienlose Proliferation. Auch der rechtspraktische Zugang zum geltenden Recht, wenngleich bisweilen mühsam, erscheint insbesondere dank elektronischer Medien hinreichend gesichert. Der gewichtigste Punkt, an dem sich dringlicher Reformbedarf originär aus der Handlungsformenperspektive stellt, ist die Überwindung des defizitären Zustands der mit Art. 34 des EU-Vertrags geschaffenen Rechtslage. Auch die Rechtslage im Bereich der GASP ist unbefriedigend, jedoch fehlt es unter der gegenwärtigen politischen Verfassung an klaren Alternativen, die aus der Perspektive der Handlungsformen den Rationalitätsgehalt der Maßnahmen nach Titel V des EU-Vertrags steigern könnten.

Die Verfasser ziehen aus ihrer Studie den Schluß, daß über die Zukunftsfähigkeit der Union die Reform der Handlungsformen ebenso wenig wie eine Reform der vertikalen Kompetenzordnung entscheidet, sie vielmehr an der Reform der europäischen Organe hängt. Entscheidend für die Überwindung der Akzeptanzkrise, für Demokratisierung wie Effektivierung ist eine Gestaltung der horizontalen Organkompetenzen im Sinne klarer und funktionaler Gewaltengliederung. Der Verfassungsgeber sollte den Europäischen Rat deutlich in das unionale Gefüge rechtlicher und politischer Verantwortlichkeit einbinden und in seiner politikdeterminierenden Rolle zurückdrängen, das Mitentscheidungsverfahren zum Standard der Rechtsetzung ausweiten, die Diffusität der Fachräte überwinden und die implementierende Rechtsetzung weit stärker als die Aufgabe der Kommission formulieren, gegebenenfalls unter mitgliedstaatlicher Beteiligung. Die großen Entscheidungen hinsichtlich der Handlungsformen wie die Einführung des Gesetzes sollten als Konsequenzen der Reform der horizontalen Gewaltengliederung behandelt werden. Das bislang in seiner Rationalität nur unvollständig erkannte Recht der Handlungsformen bietet eine im Grundsatz brauchbare Stufung und kann mit einem überschaubaren Maß präzis ansetzender Reformen zu einem überzeugenden System ausgebaut werden. Evolution, nicht Systembruch und Neubeginn sollte die Losung lauten.