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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2002

II. Forschungsvorhaben

G. Europarecht

4. Verwaltungskooperation am Beispiel administrativer Informationsverfahren im Europäischen Umweltrecht (Dissertation)

Die unter Betreuung von Prof. Dr. Dr. h.c. Schmidt-Assmann erstellte, im Berichtszeitraum in den Beiträgen zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht erschienene und mit dem Umweltpreis der Viktor und Sigrid Dulger-Stiftung 2002 ausgezeichnete Dissertation von Julia Sommer beschäftigt sich mit der rechtlichen Durchdringung und Systematisierung der Verwaltungskooperation im Bereich des Informationsaustauschs.

Den politischen Rahmen der Informationskooperation bilden die Bemühungen um einen effektiven und gleichzeitig effizienten Vollzug des Gemeinschaftsrechts, welcher gerade im Umweltrecht zu wünschen übrig läßt. In Ermangelung eines eigenen Behördenunterbaus schafft sich die Gemeinschaft durch vielfältige Verfahren der Informationskooperation subtile Steuerungsmittel und ersetzt so die ihr nicht zustehenden Rechts- und Fachaufsichtsbefugnisse. Selbst innerhalb von Weisungsstrukturen gleicht die Implementation von rechtlichen Vorgaben z.T. einem fortlaufenden Verhandlungs- und Kommunikationsprozeß zwischen den beteiligten Verwaltungsträgern, bei dem von den untersten Behörden deren Informationsvorsprung über die Lage vor Ort in die Waagschale geworfen wird. Die Herstellung eines gemeinsamen binneneuropäischen Verwaltungsraumes setzt notwendigerweise die Einbeziehung von Informationen aus einer Mehrzahl von Mitgliedstaaten voraus. Nicht nur die Gemeinschaft, auch die Mitgliedstaaten sind im Zuge transnational wirkender Verwaltungsakte auf Verfahren der Informationskooperation angewiesen. Der Grundsatz der Herkunftslandkontrolle erfordert zudem ein Klima gegenseitigen Vertrauens. Vertrauen wiederum setzt offene Kommunikationsbeziehungen voraus - Kommunikation ist sowohl Mindestinhalt jeder Kooperation und erhöht gleichzeitig die Bereitschaft hierzu. Entscheidend für das Funktionieren des Informationsaustauschs ist ein gemeinsamer Zeichenvorrat von Kommunikator und Rezipient. Ein solcher Zeichenvorrat wird durch vereinheitlichte Informationsrahmendaten geschaffen. Gemeinsame Regeln der Sachverhaltsermittlung und eine breite Informationsgrundlage mittels frei zugänglicher Datenbanken und personalisierter Informationsnetze dienen einer vereinheitlichten Wahrnehmung der Wirklichkeit.

In einem zweiten Schritt werden die bestehenden Informationsverfahren im Europäischen Umweltrecht systematisiert und die einzelnen Kategorien unter rechtliche Begrifflichkeiten gefaßt, die es erleichtern sollen, den Verpflichtungsgehalt der einzelnen in den Rechtsakten der Gemeinschaft vorkommenden Informationspflichten zu erfassen. Rechtlich bestimmte Begriffe, die den Auslösungstatbestand, die Initiativlast, den Zeitpunkt, den Umfang und das Informationsmedium benennen, dienen der Rechtssicherheit und fördern so den Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Sie stellen Eckpunkte für die Rechtmäßigkeitskontrolle dar, vereinfachen die Rechtsetzung und zeigen gleichzeitig Gestaltungsmöglichkeiten auf.>De lege ferenda böte sich ein einheitliches Typenmuster für Informationsverfahren im Sinne eines Baustein-Kataloges in der Rechtsform eines die Gemeinschaftsorgane selbst bindenden Beschlusses an, welcher gleichzeitig noch genügend Spielraum für die Erprobung neuer Verfahren lassen sollte.

Unter die gefundenen Kategorien fallen v.a. die einzelfallbezogenen, reaktiven, d.h. von einem vorangehenden Ersuchen abhängigen Auskunftspflichten; die aktiven, an einen bestimmten Auslösungstatbestand anknüpfenden Unterrichtungspflichten; die umfassenden, sich meist über einen längeren Zeitraum erstreckenden Berichtspflichten; die einen reziproken, ergebnisoffenen Informationsaustausch implizierenden Konsultationspflichten und zuletzt die passive Pflicht zur Gewährung eines Informationszugangs im Rahmen von Inspektionsrechten fremder Hoheitsträger. Die Dissertation analysiert die Voraussetzungen, Einsatzbereiche und die Grenzen der einzelnen Informationsverfahren. Horizontale Konsultationspflichten, z.B., scheinen auf der Gemeinschaftsebene zu Gunsten von unspezifischeren Informationsnetzen und einer verstärkten zentralen Regulierung im Rückgang zu sein. Als Lückenfüller kann bei nachbarrechtlichen Sachverhalten meist auf das Völkerrecht zurückgriffen werden. Dort sind sie ein fester Bestandteil eines jeden völkerrechtlichen Abkommens und zum Teil sogar konkreter ausgestaltet als im Gemeinschaftsrecht. Flächeninspektionen können z.T. durch die Satellitenfernerkundung ersetzt werden - soweit Daten durch Satellitenaufnahmen erhoben werden können, bedarf es keiner Augenscheinnahme durch einen Inspektor vor Ort. Gleichzeitig kann die Fernerkundung den Anfangsverdacht für das Vorliegen von Unregelmäßigkeiten und die Durchführung von weiteren Kontrollen liefern.

Neben diesen grundlegenden Informationspflichten werden Informationsbeschaffungspflichten, Mitteilungspflichten sowie bestimmte Formen der informellen> Informationskooperation> und der gemischt national-europäischen Verwaltungsverfahren> beschrieben und im Hinblick auf ihre Funktion und ihren rechtlichen Rahmen untersucht.

Nach der Systematisierung der Informationspflichten analysiert die Dissertation den rechtlichen Rahmen der informationellen Verwaltungskooperation, einschließlich der aus der Gemeinschaftstreuepflicht folgenden Pflichten und legt Kriterien für die Wahl der richtigen Rechtsgrundlage fest. Rechtlicher Ausgangspunkt ist die auch im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich die im Rahmen der territorialen Souveränität bestehende "Informationshoheit" der Mitgliedstaaten. Als Hausrecht der Staaten verbietet die territoriale Souveränität die unerlaubte Informationserhebung auf dem Gebiet eines Staates zu öffentlichen Zwecken anderer Hoheitsträger. Innerhalb der Gemeinschaft ist für die Festschreibung von Informationsverfahren demnach eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Die Auswahl der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage ist wegen der unterschiedlichen Rechtssetzungsverfahren und Ausnahmeklauseln von Bedeutung. Im Ergebnis dürfen und müssen materiell-rechtlich geprägte Informationsverfahren wie Anzeige-, Genehmigungs-, Identifikations- und Planungspflichten auf die entsprechenden sachgebietsbezogenen Rechtsgrundlagen gestützt werden, um so eine Umgehung der darin festgelegten Verfahrensanforderungen zu verhindern. Artikel 284 EGV stellt dagegen eine>lexgeneralis im Sinne einer Auffangvorschrift ohne Sperrwirkung gegenüber den sachgebietsbezogenen Ermächtigungsgrundlagen dar. Auf diesen ist v.a. beim Erlaß von übergreifenden, mehrere Sachbereiche gleichermaßen umfassenden Informationspflichten zurückzugreifen. Für den Hauptteil solcher Informationspflichten, die Statistiken, ist mit Artikel 285 EGV allerdings nun eine vorrangige>lexspecialis geschaffen worden. Auf keinen Fall darf Artikel 284 EGV zur Grundlage materiell-rechtlicher Regelungen gemacht werden. Dies würde eine Umgehung der - durchweg schärferen - Anforderungen der sachgebietsbezogenen Entscheidungsverfahren bedeuten.

Die Gemeinschaftstreuepflicht impliziert unselbständige Nebenpflichten, die die Qualität der Erfüllung von Informationspflichten regeln, aber auch selbständige Informationspflichten, letztere jedoch nur in begrenztem Umfang. Noch weniger als die Gemeinschaftstreuepflicht stellen die Grundsätze der Amtsermittlung und der Amtshilfe eine allgemeine Rechtsgrundlage administrativer Informationsverfahren dar - soweit sie denn überhaupt im Gemeinschaftsrecht existieren. Im horizontalen Verhältnis wird die Informationskooperation von der Dogmatik des freien Warenverkehrs geprägt. In diesem Rahmen hat der Gerichtshof Informationspflichten entwickelt, die der Einhaltung der Verhältnismäßigkeit von nationalen Warenverkehrsbeschränkungen dienen.

In einem nächsten Schritt beschäftigt sich die Dissertation mit dem Vollzug der Informationspflichten, hier v.a. den Anforderungen, die an die Umsetzung in nationales Recht zu stellen sind, und dem institutionellen Rahmen. Die förmliche Umsetzung> solcher Informationspflichten muß bei der auch nur mittelbaren Betroffenheit von Privatpersonen durch eine außenverbindliche Rechtsnorm erfolgen, die mindestens so konkret ist, wie die zugrundeliegende Richtlinie. Bei rein inneradministrativen Informationsvorschriften reicht dagegen - nach hiesiger und nicht unumstrittener Ansicht - eine inneradministrativ verbindliche Rechtsnorm, was auch eine Verwaltungsvorschrift sein kann. Die Notwendigkeit einer außenverbindlichen Rechtsnorm ergibt sich lediglich aus einer damit im Zusammenhang stehenden Klagemöglichkeit der Gemeinschaftsbürger. Letztere sind aber bei inneradministrativen Informationsverfahren weder nach der Rechtsprechung des EuGH noch nach dem nationalen Recht im Sinne eines>advocatus populus oder gar eines "Oberaufsehers" über die objektive Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns klagebefugt.

Bei der Betrachtung der auf der Gemeinschaftsebene beteiligten Institutionen sollte man zunächst denken, daß inzwischen die Europäische Umweltagentur den Hauptteil der Dissertation übernommen hat. Diese verfügt aber nur über sehr begrenzte Befugnisse im Rahmen der Informationsverwaltung. Ihr kommen weder Rechtsetzungs- noch Vollzugsbefugnisse zu. Ihrer Funktion nach ist sie daher eher als Dienstleistungsstelle für die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten denn als Verwaltungsorgan zu qualifizieren und dient als Brückenglied der Informationszusammenarbeit mit internationalen Gremien und Drittstaaten.

Hauptorgan der Informationsverwaltung ist immer noch die Kommission. Dies bestätigen auch die neueren Rechtsakte, die allesamt der Kommission die informationsverwaltenden Durchführungs- und Regelungskompetenzen zuschreiben und die EUA zum Teil nicht einmal beiläufig erwähnen. Aber selbst der Kommission kommt keine allgemeine diesbezügliche Regelungsbefugnis zu.

Die gemeinschaftsrechtliche Verwaltungskooperation steht in einem rechtlichen und funktionalen Zusammenhang mit den diesbezüglichen Regeln und Gremien des Völkerrechts. Diesen völkerrechtlichen Regelungszusammenhang untersucht die Dissertation im fünften Teil. Das Gemeinschaftsrecht ist unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben und in dessen Lichte auszulegen, so der Gerichtshof in den Urteilen Racke und Safety Hi-Tech. Völkerrecht kann insbesondere im horizontalen Verhältnis, d.h. zwischen den Mitgliedstaaten, als Lückenfüller dienen. Internationale Gremien stellen ein Forum für den Informationsaustausch dar und wirken an der Entstehung von sogenannten>epistemic communities - d.h. einer Wissens- und Überzeugungsgemeinschaft in Zeiten der Unsicherheit über gegenwärtige und zukünftige Umstände - mit. Völkerrechtliche Informationsverfahren und Institutionen für den Informationsaustausch sind zahlreich und meist älter als das diesbezügliche Gemeinschaftsrecht. Zwischenstaatliche Zusammenarbeit wird hier vornehmlich als Informationsaustausch verstanden. In vielen Fällen haben sich beide Regelungsebenen gegenseitig inspiriert. Das Gemeinschaftsrecht ist dabei nicht immer das Fortschrittlichere. Nicht selten dient es ausdrücklich der Umsetzung völkerrechtlicher Abkommen, und zwar selbst dann, wenn die Gemeinschaft nicht Vertragspartei ist.

Die Informationskooperation bewegt sich selbst beim Fehlen expliziter Vorgaben nicht im rechtsfreien Raum. Es sind v.a. die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehörenden Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des rechtlichen Gehörs, der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten und des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen u.a.m. zu beachten. Hiermit beschäftigt sich der letzte Teil der Dissertation. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann z.B. die Kosteneffizienz von Informationsverfahren berücksichtigt werden, jedoch nur bei einer offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit zwischen den Kosten und dem zu erwartenden Nutzen. Der hierfür zu erbringende Nachweis ist schwierig zu führen, da beide Positionen nur schwer finanziell quantifizierbar sind. Im Zweifel kann die Gemeinschaft durch eine entsprechende finanzielle Förderung der Datenerhebungs- und verarbeitungstechniken dem Einwand der unverhältnismäßigen Kostenbelastung entgehen. Finden sich zudem im Gemeinschaftsrecht einheitliche Vorgaben für die Sachverhaltsermittlung, kann von diesen nicht wegen des damit verbundenen Aufwandes abgewichen werden.

Zuletzt zeigt die Dissertation die unterschiedlichen Möglichkeiten der Sanktionierung einer Nichtbeachtung von Informationspflichten auf. Sich selbst implementierende Sanktionen wie die unmittelbare Anwendung des Gemeinschaftsrechts können nur dort ihre volle Wirkung entfalten, wenn Privatpersonen die Anwendung des Gemeinschaftsrechts einklagen können. Dies ist bei rein inneradministrativen Informationsverfahren mangels subjektiver Berechtigung i.d.R. nicht gegeben. Potentielles Sanktionsmittel für Unterrichtungspflichten über staatliche Maßnahmen ist deren Undurchführbarkeit oder Nichtigkeit bei fehlender Unterrichtung. Hierzu ist mit den Urteilen PCP, Enichem Base, Prodifarma und der in Folge des CIA Security Urteils ergangenen Rechtsprechung zur Stillhaltefrist der Normeninformationsrichtlinie mittlerweile eine umfangreiche Rechtsprechung vorhanden. Aus dem Antidumpingrecht und dem Beihilfenverfahren sind die Entscheidung nach Aktenlage, die Ausdehnung der Bearbeitungszeit und die Vereinfachung der Begründungsanforderungen als Sanktion einer fehlenden Informationszuarbeit bekannt. Sie sind Ausdruck des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens. Lediglich vereinzelt ist die Befugnis zur Festsetzung von Zwangsgeldern vorgesehen, wobei sich die Androhung von Zwangsgeldern gegenüber den Mitgliedstaaten nach Artikel 228 Absatz 2 EGV gerade im Umweltbereich als sehr wirksam erwiesen hat.