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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2003


II. Abgeschlossene Forschungsvorhaben

G. Europarecht

3. Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft (Dissertation)

Die im Jahr 2003 in den Beiträgen zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht erschienene Dissertation von Kathrin Osteneck beschäftigt sich mit den völker- und europarechtlichen Rahmenbedingungen für ein Tätigwerden der Europäischen Gemeinschaft im Bereich von UN-Wirtschaftssanktionsregimen. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch den UN-Sicherheitsrat auf der Grundlage von Kap. VII SVN ist zentraler Bestandteil des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen; beginnend mit dem gegen den Irak als Reaktion auf den Überfall auf Kuwait im August 1990 verhängten Sanktionsregime, hat sich der UN-Sicherheitsrat in den vergangenen Jahren zur Bewältigung internationaler Krisen vielfach des Instruments der Wirtschaftssanktion in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen bedient. Während traditionell die UN-Mitglieder zur Umsetzung der Sicherheitsratsresolutionen in die nationale Rechtsordnung berechtigt und verpflichtet sind, erfolgt die Implementierung im Bereich der Europäischen Gemeinschaft zunehmend einheitlich durch EG-Verordnung. Das Auftreten der EG als internationaler Akteur bei der Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionsregimen wirft vielfältige völker- und europarechtliche Probleme auf, die in der Arbeit näher beleuchtet werden.

Nach der Darstellung der völkerrechtlichen Grundlagen für Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch den UN-Sicherheitsrat ist ein erster Schwerpunkt der Arbeit den völkerrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen einer Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft gewidmet. Wie gezeigt wird, ist die EG gegenüber den Vereinten Nationen berechtigt, für ihre Mitgliedstaaten UN-Wirtschaftssanktionen auf Gemeinschaftsebene zu implementieren, und kann sich gegenüber dem Sanktionsadressaten auf die Legalisierungswirkung bindender UN-Resolutionen berufen. Gehen die von der Gemeinschaft ergriffenen Maßnahmen allerdings im Einzelfall über das zugrunde liegende UN-Wirtschaftssanktionsregime substantiell hinaus, bemißt sich die Völkerrechtskonformität dieser - einseitigen - Zwangsmaßnahmen nach allgemeinem Völkerrecht.

Anschließend beschäftigt sich die Arbeit mit Inhalt und Reichweite der im Bereich wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen einschlägigen europarechtlichen Kompetenznormen und Verfahrensregelungen. Während die Gemeinschaft anfänglich nur über begrenzte Kompetenzen im Bereich wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen verfügte, hat sie seit Einführung der Art. 228a, 73g EGV [a.F.] durch den Vertrag von Maastricht die ausschließliche Kompetenz, die vom UN-Sicherheitrat gegenüber EG-Drittstaaten beschlossenen Wirtschaftssanktionen in ihrer Gesamtheit auf Gemeinschaftsebene umzusetzen. Die Ausübung dieser Kompetenz hängt allerdings zwingend vom Erlaß eines entsprechenden GASP-Beschlusses ab. Gleichzeitig verpflichtet ein derartiger Beschluß die Gemeinschaftsorgane grundsätzlich zu einer Implementierung dort vorgesehener Maßnahmen in die Gemeinschaftsrechtsordnung. Sind die Voraussetzungen des Art. 103 EGV nicht erfüllt, sind Art. 133, 71, 308 EGV als Rechtsgrundlagen für die Verhängung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen weiterhin anwendbar.

Im nächsten Teil der Arbeit steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die Europäische Gemeinschaft gegenüber den UN-Organen verpflichtet ist, die Gemeinschaftsrechtsordnung in Übereinstimmung mit UN-Wirtschaftssanktionsregimen zu gestalten. Eine derartige Verpflichtung läßt sich, wie dargestellt wird, nicht allein mit der Übertragung der für die Verhängung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen erforderlichen Kompetenzen auf die Gemeinschaft erklären. Auch bei Zugrundelegung der vom EuGH in der sog. "GATT-Rechtsprechung" entwickelten Kriterien für eine faktische Mitgliedschaft der Gemeinschaft in internationalen Organisationen besteht keine Verpflichtung der EG zur Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen. Da nämlich die EG-Mitglieder auch im Zusammenhang mit UN-Sanktionsregimen nach wie vor neben der Gemeinschaft in den UN-Organen tätig sind und ihre mitgliedschaftliche Stellung dort aktiv wahrnehmen, fehlt es gegenwärtig an ihrer Substitution durch die Europäische Gemeinschaft. Eine Bindung der Gemeinschaft an die UN-Rechtsordnung ergibt sich jedoch aus dem besonderen Rang der UN-Charta im Völkerrecht: Zwar stellt die UN-Charta weder in ihrer Gesamtheit ius cogens dar, noch ist sie eine gegenüber allen Völkerrechtssubjekten Geltung entfaltende "Weltverfassung". Die UN-Mitglieder haben mit der UN-Charta aber ein einer "Verfassung" ähnliches Vertragsdokument geschaffen, das nach ihrem Willen gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen vorgeht und daher von ihnen nicht wirksam inter se derogiert werden kann. Ausdruck dieser Höherrangigkeit ist die in Art. 103 SVN verankerte Vorrangregel. Für Gründungsverträge internationaler Organisationen statuiert Art. 103 SVN die Verpflichtung der UN-Mitglieder, dem neu geschaffenen Völkerrechtssubjekt Kompetenzen nur in dem durch die UN-Rechtsordnung geschaffenen Rahmen zu übertragen. Da der EG-Vertrag zwischen Staaten abgeschlossen wurde, die der UN-Charta formell bzw. - im Falle der Bundesrepublik Deutschland - faktisch unterworfen waren, folgt aus Art. 103 SVN eine Bindung der Gemeinschaft selbst an primäres und sekundäres UN-Recht.

Der letzte Teil der Arbeit enthält eine detaillierte Darstellung der vom UN-Sicherheitsrat auf der Grundlage von Kap. VII SVN erlassenen Wirtschaftssanktionen und der zu ihrer Umsetzung ergangenen EG-Rechtsakte und analysiert, inwieweit die von der Gemeinschaft erlassenen Rechtsakte den in der Arbeit entwickelten völker- und europarechtlichen Vorgaben entsprechen. Wie die Untersuchung zeigt, beschloß die EWG auf der Grundlage des Art. 113 EWGV vor allem Warenembargos, vereinzelt aber auch - unter Mißachtung der Grenzen des Art. 113 EWGV - eigenständige Verkehrs- und Dienstleistungsembargos, und implementierte, gestützt auf Art. 235 EWGV, Regelungen zur Sanktionierung embargowidriger Verträge. Seit dem Inkrafttreten von Art. 228a, 73 g EGV [a.F.] verhängte die Gemeinschaft zwar wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen, überließ jedoch wiederholt die Verhängung auch solcher Maßnahmen, die in ihren Kompetenzbereich gefallen wären (z.B. Waffenembargos, einige Verkehrsembargos), mitgliedstaatlicher Regelung. Die vom UN-Sicherheitsrat gezogenen Grenzen wurden von der Gemeinschaft regelmäßig beachtet; soweit sie darüber hinausging, ließen sich die zusätzlichen Zwangsmaßnahmen nach allgemeinem Völkerrecht rechtfertigen.