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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2003


I. Einleitende Darstellung des Instituts

B. Forschungskonzeption des Instituts

Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht verbindet seit seiner Gründung die Grundlagenforschung zum Völkerrecht (einschließlich des Rechts der Europäischen Union) mit der Rechtsvergleichung im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, um die organisatorischen Grundlagen und die Ausübung der öffentlichen Funktionen des Staates und transnationaler Organisationen in allen ihren Erscheinungsformen zu erfassen.

Die Gewinnung von Synergien aus den unterschiedlichen Forschungsbereichen des Instituts ist durch verschiedene institutionelle Einrichtungen gesichert. Dies ist umso wesentlicher, als sich die Forschungsschwerpunkte der beiden Direktoren inhaltlich weniger stark überschneiden als dies bislang der Fall war. Jeden Montag treffen sich alle Wissenschaftler im Haus (d.h. einschließlich der Gäste) zu einer zweistündigen Veranstaltung auf der neue Rechtsentwicklungen (einschließlich ausgewählter wissenschaftlicher Publikationen) in den einschlägigen Rechtsgebieten präsentiert, analysiert und diskutiert werden. Daneben haben die wissenschaftlichen Mitarbeiter eine Reihe von Arbeitskreisen eingerichtet, die spezifische Themenkomplexe diskutieren wie internationale Sicherheit, Konstitutionalisierung, internationales Wirtschaftsrecht, Menschenrechte, Europäische Union und Ethik und Recht. Diese von den wissenschaftlichen Mitarbeitern getragenen Arbeitskreise stehen auch Gästen aus dem Haus offen. Um den wissenschaftlichen Austausch im Institut über das bisherige Maß (Referentenbesprechung und Arbeitskreise) hinaus zu vertiefen, bieten die beiden Direktoren im Wintersemester 2003/4 gemeinsam eine Vorlesung zum Thema "Internationales Umwelt- und Wirtschaftsrecht" an, in der Grundprinzipien aus diesen beiden Rechtsgebieten einander gegenüber gestellt und Entwicklungslinien verglichen werden. Diese Vorlesung wird sowohl von Studenten und Gästen als auch von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Instituts gut besucht.

Die Forschungsarbeit des Instituts beruht auf der Einsicht, daß sich das Völkerrecht und das nationale öffentliche Recht in immer stärkerem Maße gegenseitig durchdringen und daher eine intensive Beschäftigung mit beiden Rechtsmaterien und ihren wechselseitigen Beziehungen notwendig ist, um die Ausübung von Hoheitsgewalt im 21. Jahrhundert analysieren und anleiten zu können. Die Analyse von Hoheitsgewalt auf den verschiedenen Ebenen (universell, national und regional) hat die weitreichenden Änderungen in den internationalen Beziehungen zu berücksichtigen (Vergrößerung der Zahl der Akteure, zunehmende Integration bzw. Verzahnung von Ordnungssystemen, Entstehung und Verfestigung einer wertbestimmenden Völkerrechtsordnung).

Auf der internationalen Ebene sind seit dem Zweiten Weltkrieg und verstärkt im letzten Jahrzehnt Regelwerke und Institutionen geschaffen worden, die über den Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit weit hinausgehen und die Frage aufwerfen, inwieweit auch im Bereich des Völkerrechts von Konstitutionalisierungsprozessen gesprochen werden kann. Den Anfang machten die (west-) europäischen Staaten mit der Schaffung eines regionalen Menschenrechtsschutzsystems auf der Grundlage der EMRK und der Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Auch auf internationaler Ebene hat die Bedeutung des Menschenrechtsschutzes als Faktor der internationalen Beziehungen zugenommen. Dies und die Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit rechtfertigen es, von der Entwicklung eines völkerrechtlichen Wertesystems zu sprechen. Fragen eines völkerrechtlichen Wertesystems widmen sich unter anderem die Veröffentlichungen und Veranstaltungen unter II. B. (Internationaler und europäischer Menschenrechtsschutz). Mit der Tagung "Towards an International Ban on Human Cloning" hat das Institut eine aktuelle Frage aufgegriffen, in der es letztlich darum geht, inwieweit das Völkerrecht einen Damm gegen moderne biomedizinische Entwicklungen aufbauen kann und soll und ob das in den verschiedenen Kulturen vertretene Menschenbild überhaupt entsprechende universelle Standards nahelegt. Wertfragen bzw. Wertkonkurrenzen sowohl im Völkerrecht als auch im nationalen Recht sind Gegenstand der Veröffentlichung der Beiträge zu dem Symposium "Terrorism as a Challenge for National and International Law". Mit Grundfragen der völkerrechtlichen Rechtsfortbildung und deren Konsequenzen im nationalen Recht beschäftigt sich das Symposium "Development of International Law: Alternatives to Treaty-making?".

Mit dem Ende des Kalten Krieges, der Ausdehnung der EMRK auf die Staaten Osteuropas sowie der Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union hat die europäische Integration eine neue Qualität angenommen, die die Vorstellung eines gemeinsamen europäischen Verfassungsraumes nicht länger als utopische Vision erscheinen läßt. Hierzu sei auf die vier Veröffentlichungen unter II. G. verwiesen. Diese Entwicklung ruft nach der begleitenden Ausbildung einer europäischen Wissenschaft vom öffentlichen Recht, welche die bislang stark national parzellierten Wissenschaften in einem transnationalen Wissenschaftsraum so verbindet, daß sie ihre konstruktiven wie kritischen Aufgaben auch im neuen Rechtsraum erbingen. Parallel dazu hat die weltweite Verflechtung zwischen den Staaten weiter zugenommen. Grundsätzlich befaßt sich hiermit ein Beitrag von Prof. von Bogdandy "Demokratisches Prinzip, Globalisierung und Völkerrecht" (s. unter II. H.). Ihm geht es um eine Klärung der wesentlichen Standpunkte und Demokratieverständisse, die um die weitere Entwicklung des Völkerrechts ringen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die wichtigsten konzeptionellen Herausforderungen der demokratischen Theorie auf der transnationalen Ebene zu suchen sind.

Das UN-System ist mit dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung des Kalten Krieges zumindest teilweise von den Fesseln befreit worden, die eine effektive Wahrnehmung seiner friedenssichernden und friedensschaffenden Funktionen bis dahin unmöglich gemacht hatten. Beiträge in der Festschrift für Tono Eitel, Beiträge in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und ein Beitrag von Prof. Wolfrum im Max Planck Yearbook of United Nations Law sind der Frage gewidmet, welches die Aufgabe der Vereinten Nationen in einer verfaßten Staatengemeinschaft sein kann, die zwar nicht mehr von einer Bipolarität, aber nunmehr von der Hegemonie der USA geprägt ist. Im Vordergrund der Debatte steht zur Zeit die Kompetenzverteilung in Bezug auf die Friedenssicherung, wo die USA für sich eine Sonderrolle reklamieren. Dahinter steht aber auch ein Konflikt über die für die internationale Gemeinschaft bestimmende Werteordnung. Das Institut wird sich diesen Fragen in der Zukunft weiter zu widmen haben. Ein Beitrag hierzu soll mit dem eintägigen Workshop unmittelbar vor der Sitzung des Fachbeirats geleistet werden.

Neue Kodifikationen im Bereich des internationalen Wirtschafts- und Umweltrechts spiegeln das Bedürfnis der Staaten nach einer immer engeren Kooperation zur Regelung globaler Probleme wider. Das Völkerrecht bemüht sich um die Schaffung neuer Mechanismen, die eine wirksame Einhaltung und Durchsetzung der vereinbarten bzw. allgemein anerkannten Normen in der Praxis sicherstellen. Hierzu sei auf die Veröffentlichungen unter II E. verwiesen. Die Einsetzung internationaler Strafgerichtstribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda durch die Vereinten Nationen sowie das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes sind hierfür ebenso ein Beleg, wie der Ausbau der Streitbeilegungsmechanismen im Umwelt- und Wirtschaftsvölkerrecht durch die Einrichtung des Internationalen Seegerichtshofes und die Etablierung des WTO-Streitbeilegungssystems. Hinter dieser institutionellen Entwicklung steht auch die Verbreiterung und vor allem Verfestigung der bereits angesprochenen gemeinsamen Werteordnung der Staaten, die insoweit als Wertegemeinschaft zu verstehen sind.

Außerdem beschäftigt sich das Institut intensiv sowohl mit dem ausländischen öffentlichen Recht, seinen Beziehungen zum Völkerrecht und ihren wechselseitigen Beziehungen, um die Voraussetzungen und die Struktur moderner Staatlichkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts analysieren und verstehen zu können. Die Staatlichkeit ist in vielfacher Hinsicht Wandlungen und Einschränkungen unterworfen bzw. die staatliche Ordnung wird durch Völkerrecht und insbesondere das Europarecht determiniert.

Unter dem neuen Direktor des Instituts, Prof. von Bogdandy, soll die Befassung mit dem entstehenden europäischen Verfassungsraum in der Perspektive einer gemeineuropäischen Wissenschaft vom öffentlichen Recht verstärkt werden. Zu diesem Zweck hat bereits im Februar 2003 eine internationale Tagung stattgefunden, auf der die Ergebnisse eines deutschen Forschungsprojektes zum europäischen Verfassungsrecht (s. unter II. G. 1.) mit ausländischen Kollegen diskutiert wurden. Auf dieser Tagung wurden Aufschlüsse über Brücken und Hindernisse eines gemeineuropäschen fachwissenschaftlichen Diskurses zu diesem Thema gegeben.

Einen wichtigen Schwerpunkt der vergangenen Jahre bildete außerdem die wissenschaftliche Begleitung und Analyse des verfassungsrechtlichen Reformprozesses insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Staaten, aber auch in den Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas. In diesem Prozeß ist es zur Übernahme rechtsstaatlicher und demokratischer Verfassungskonzeptionen in vielen Teilen dieser Erde gekommen, was die Frage aufwirft, inwieweit von einer "Globalisierung" des zuerst in Nordamerika und Westeuropa verwirklichten Modells des freiheitlichen Verfassungsstaats gesprochen werden kann. Besondere Bedeutung kam im Berichtszeitraum dem unter der Leitung von Prof. Wolfrum stehenden Sudan Peace Project zu (s. unter X. A.). Ziel des Projektes ist die beratende rechtliche Unterstützung beider Bürgerkriegsparteien, der Regierung in Khartoum und der südsudanesischen Befreiungsorganisation Sudanese People Liberation Movement (SPLM) auf ihrem Weg zu einem Friedensabkommen und zu einem föderalen oder konföderalen Staat oder - nach einer gewissen Übergangszeit und einem Referendum über Selbstbestimmung - zu zwei unabhängigen staatlichen Einheiten.

Das Institut kooperiert eng mit ausländischen Institutionen bzw. arbeitet an internationalen Projekten mit. Der Europarat in Straßburg hat mehrfach auf Mitglieder des Instituts zurückgegriffen, um Projekte im Rahmen der Zuständigkeit des Europarates zu bearbeiten. Nachdem Prof. Frowein bereits 1997 einen eingehenden Bericht über das Problem von Meinungs- und Pressefreiheit, insbesondere in den neuen Mitgliedsstaaten des Europarates, erstellt hat, ist in 2002 unter seiner Leitung ein Bericht über die Meinungs- und Medienfreiheit in 36 Ländern des Europarats entstanden. Intensive Arbeitsbeziehungen des Instituts bestehen ebenfalls mit den Diensten der Europäischen Union, inklusive Europol. Mehrfach sind große Gutachten für Dienststellen der Kommission erstellt worden. 2002 wurde Prof. Frowein vom Europäischen Parlament gebeten, ein Rechtsgutachten zu der Frage vorzulegen, ob die sog. Benes-Dekrete ein Hindernis für den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union darstellen.

Kooperationsbeziehungen bestehen ebenfalls mit juristischen Fakultäten ausländischer Universitäten. Dies gilt etwa für die Juristische Fakultät der Universität Tel Aviv. Israelische Studenten werden in regelmäßigen Abständen für eine kurze Einführung in das deutsche öffentliche Recht und das Völkerrecht in Heidelberg unterrichtet. Mitarbeiter des Instituts nehmen an Tagungen in Israel teil. Durch die Gründung des Minerva Center for Human Rights an der Universität Tel Aviv und an der Hebrew University in Jerusalem sind diese Beziehungen noch verstärkt worden. Prof. Frowein ist Vorsitzender des Advisory Board des Minerva Center, Prof. Wolfrum Geschäftsführer der Minerva Stiftung. Mehrfach haben Mitglieder des Instituts Vorträge in Belgrad gehalten. Seit der Veränderung der Lage in Europa haben Mitglieder des Instituts in großem Umfang an Vortragsreisen in die Staaten Mittel- und Osteuropas sowie Zentralasiens teilgenommen. Zu dem Lehrstuhl für Völkerrecht an der Universität Krakau (Prof. Lankosz) bestehen seit langer Zeit intensive Beziehungen. Sie werden durch die Beteiligung von Prof. Frowein an dem deutsch-polnischen Graduiertenkolleg der Universitäten Heidelberg und Krakau verstärkt. Im Berichtszeitraum erschienen sind die Ergebnisse eines Deutsch-Polnischen Seminars in Krakau über das werdende Verfassungsrecht der Europäischen Union mit deutschen und polnischen Nachwuchsjuristen (s. unter II. G. 2.). Dieser Austauch, der vor allem der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses dient, soll fortgesetzt werden. Seit Jahren wirkt das Institut durch Prof. Wolfrum an den Lehrveranstaltungen der Rhodes Academy for Ocean Law and Policy mit. Sie beruht auf einer Zusammenarbeit mit amerikanischen, griechischen und niederländischen Kollegen.

Die Planungen für Veranstaltungen im Jahr 2004 sind noch nicht völlig abgeschlossen. Es besteht unter anderem aber die Absicht, ein Symposium zum Europäischen Verfassungsrecht im März 2004 und eines zum Thema "Rechtsförmige Stiftung kollektiver Identität?" im November 2004 zu veranstalten.