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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


VIII. Ausländer

2. Asyl- und Flüchtlingsrecht

     42. Im Berichtszeitraum wurden Einschnitte bei den Leistungen für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge vorgenommen. Aufgrund einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge nunmehr für drei Jahre statt bislang für nur ein Jahr um etwa 20% geringere Sozialhilfeleistungen als Deutsche. Im Gegenzug sollen die Länder, in denen auf die Verabschiedung des Gesetzes folgenden fünf Jahren 750 Mio. DM in einen Fonds einzahlen, aus dem der Bau und die Renovierung von Wohnungen in Bosnien-Herzegowina finanziert wird.79

     43. Weitere Einschnitte in die soziale Situation von Asylbewerbern wurden in arbeitsrechtlicher Hinsicht vorgenommen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat mit Schnellbrief vom 6. Juni 1997 angeordnet, die Arbeitserlaubnis für die erstmalige Beschäftigung von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern, die nach dem 15. Mai 1997 eingereist sind, grundsätzlich abzulehnen. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, daß angesichts der Massenflucht von Albanern zu befürchten sei, daß ein nicht unerheblicher Teil dieser Bürgerkriegsflüchtlinge versuchen werde, nach Deutschland zu gelangen. Die viel zu hohe Arbeitslosigkeit mache es unerläßlich, die vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten solchen Ausländern zur Verfügung zu stellen, die bereits dem inländischen Arbeitsmarkt angehörten oder aber - wie Arbeitnehmer aus den EU-Staaten - ein gesichertes Zugangsrecht hätten. Dagegen seien darüber hinausgehende Zugänge von Ausländern, insbesondere von solchen, deren Aufenthalt rechtlich nicht auf Dauer angelegt sei, nicht mehr zu verkraften. Deshalb sei es bei der Entscheidung über die Arbeitserlaubnis für albanische Bürgerkriegsflüchtlinge angesichts der extrem hohen Arbeitslosigkeit vertretbar, ohne Prüfung des Einzelfalls generell davon auszugehen, daß bevorrechtigte Arbeitssuchende für eine Vermittlung zur Verfügung stehen. Zur Vermeidung unterschiedlicher Behandlung vergleichbarer Gruppen solle bei der arbeitsmarktabhängigen Arbeitserlaubnis für die eingangs bezeichneten Ausländer bis auf weiteres ebenso verfahren werden.80

     Obwohl es nicht zu der erwarteten Massenflucht aus Albanien in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, wurde die Anweisung der Bundesanstalt für Arbeit nicht zurückgenommen oder geändert. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage weiter darlegt, sei der Anlaß für die Weisung die "anhaltend unbefriedigende Arbeitsmarktlage". Sie habe die Kritik zahlreicher Verbände, Einzelpersonen und der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer zur Kenntnis genommen und werde in Abhängigkeit von der Entwicklung der Arbeitsmarktlage "laufend überprüfen", inwieweit die Weisung vom Juni 1997 weiter aufrechterhalten bleiben müsse. Den Angaben zufolge haben von Januar bis August 1997 767 Personen aus Albanien in der Bundesrepublik Asyl beantragt.81

     44. Die Bundesregierung setzt sich nach eigenen Angaben in einer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage zu dem auf Ebene der EU diskutierten Gemeinsamen Standpunkt betreffend die Bedingungen für unbegleitete minderjährige Asylsuchende "mit Nachdruck" dafür ein, daß die betroffenen Personen den im Hinblick auf ihr Alter erforderlichen Schutz erhalten. Wie weiter aus der Antwort hervorgeht, ist die Regierung der Auffassung, unbegleiteten Minderjährigen dürfe nicht allein aufgrund der Tatsache, daß diese Asyl suchten, die Freiheit entzogen werden. Außerdem müßten solche Personen im Rahmen der Prüfung ihres Asylantrages von mit der Befragung Minderjähriger erfahrenen Einzelentscheidern angehört werden. Dies bedinge eine angemessene Schulung des Personals82.

     Weiterhin ging die Bundesregierung auf die Kritik des nach der VN-Kinderkonvention eingerichteten Ausschusses für die Rechte des Kindes ein, der in der Diskussion zum Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland festgestellt hatte, die Verfahren für asylsuchende Kinder, besonders in Bezug auf die Familienzusammenführung, die Ausweisung von Kindern in sichere Drittländer und die Flughafenregelung, gäben Anlaß zur Besorgnis und verletzten verschiedene in Übereinkommen verankerte Garantien. Dieser Kritik begegnet die Bundesregierung wie folgt:

"Die vom Ausschuß zum Ausdruck gebrachte Besorgnis ist nicht begründet. Im übrigen ist sie auch schwer nachvollziehbar, da sie nicht näher erläutert worden ist.

Der Ausschuß geht bei seinen Überlegungen offenkundig von dem nicht zutreffenden Sachverhalt aus, daß das Flughafenverfahren (§ 18a AsylVG) generell auf unbegleitete minderjährige Asylsuchende angewandt wird und diese Personen in nicht kindgerechten Räumlichkeiten untergebracht sind. Tatsächlich wird derzeit das Flughafenverfahren nicht auf unbegleitete minderjährige Asylsuchende unter 16 Jahren angewandt, da die für eine kindgerechte Unterbringung erforderlichen Räumlichkeiten auf Flughäfen bislang noch nicht geschaffen worden sind. Die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, in den bereits bestehenden Räumlichkeiten entspricht den Vorgaben der VN-Kinderkonvention. Hinsichtlich der Intensität des Schutzes dieser Altersgruppe ist bei der Auslegung der VN-Kinderkonvention zu berücksichtigen, daß die Konvention den Kriegsdienst von Kindern über 15 Jahre ausdrücklich zuläßt (Art. 38 der VN-Kinderkonvention)".83

     Zu ihrer Auslegung von Art. 22 der VN-Kinderkonvention, der die Mitgliedstaaten zu Schutz und humanitärer Hilfe für Kinder verpflichtet, die die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehren, erklärt die Bundesregierung:

"Zu den aus Art. 22 der VN-Kinderkonvention sich ergebenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten gehört es nicht, Kindern, die unbegleitet einreisen wollen, um dort die Rechtsstellung eines Flüchtlings zu begehren, die Einreise zu erleichtern oder zu ermöglichen, da das Übereinkommen die innerstaatlichen Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern unberührt läßt und somit insbesondere auch nicht der Geltung eines Sichtvermerkszwangs für Kinder entgegensteht. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in einer von ihr abgegebenen Erklärung eine diesbezügliche Klarstellung hinsichtlich der Auslegung des Übereinkommens vorgenommen84 ... Sie wollte hiermit u.a. bekräftigen, daß eine widerrechtliche Einreise oder ein widerrechtlicher Aufenthalt von ausländischen Minderjährigen nicht als erlaubt angesehen werden kann. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die seinerzeit abgegebene Erklärung zurückzunehmen."85

     45. In ihrer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage zur Situation im asylrechtlichen "Flughafenverfahren" betont die Bundesregierung, daß es sich bei der Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens nach § 18a AsylVG auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich des Flughafens nicht um eine Freiheitsentziehung handele. Im Hinblick auf die gelegentliche Überschreitung der zulässigen Höchstdauer eines Zurückhaltens von Personen im Transitbereich des Flughafens - auf dem Flughafen Frankfurt/Main haben sich 1996 199 Personen länger als 23 Tage sowie 225 Personen länger als 19 Tage im Transitbereich des Flughafens aufgehalten - verweist die Bundesregierung auf das Verhalten der Betroffenen:

"Die Verzögerungen beim Vollzug der Zurückweisung und der damit in Zusammenhang stehende längere Aufenthalt der Ausländer beruhen in der Regel auf dem Verhalten der Betroffenen selbst, die durch Paßvernichtung, mangelnde Mitwirkung bei der Paßbeschaffung bzw. willkürlicher Herbeiführung der Fluguntauglichkeit eine schnelle Rückführung verhindern."86

     Weiterhin weist die Bundesregierung darauf hin, daß die betroffenen Personen im eigenen Interesse freiwillig im Transitbereich verbleiben können:

"Den ausländischen Staatsangehörigen werden weder Vordrucke noch sonstige Schriftstücke vorgelegt, in denen sie die Bereitschaft zum freiwilligen Verbleib im Transitbereich erklären können. Um ihrer persönliche Interessenlage jedoch entgegenzukommen, wird selbstverfaßten schriftlichen Bitten dieser Art entsprochen."87

     46. In ihrer Antwort auf eine Große Parlamentarische Anfrage nahm die Bundesregierung Stellung zu Asylrelevanz von weiblichen Beschneidungen:

"In der Bundesrepublik Deutschland genießt Asylrecht gemäß Art. 16a Abs. 1 GG, wer politisch verfolgt wird. Die Bundesregierung hat bereits mehrfach die Forderung zurückgewiesen, daß Asylrecht generell auf 'geschlechtsspezifische Verfolgung', der die weibliche Beschneidung unterfällt, auszudehnen ... . Bereits nach der geltenden Rechtslage führen Menschenrechtsverletzungen an Frauen zur Asylberechtigung, wenn sie Ausdruck politischer Verfolgung sind. Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Dies bedeutet, daß die Verfolgungshandlungen zumindest dem Staat zurechenbar sein müssen. Gewalt gegen Frauen kann daher nur dann als Asylgrund in Betracht kommen, wenn sie vom Staat oder von Dritten, gegen die der Staat die ihm an sich verfügbaren Mittel nicht einsetzt, als Mittel politischer Verfolgung ausgeübt wird. ...

Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß schwere Verletzungen der Menschenwürde im Rahmen des Asylverfahrens keine Berücksichtigung finden. Liegen die Voraussetzungen einer politischen Verfolgung (Art. 16a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG) nicht vor, so ist Menschenrechtsverletzungen an Frauen im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG Rechnung zu tragen."88

     47. In mehreren Antworten auf parlamentarische Anfragen nahm die Bundesregierung Stellung zu Fragen des Abschiebungsschutzes für Personen, die in bestimmte Ländern mit einer besonders prekären Sicherheitssituation abgeschoben werden sollen.

     48. Hinsichtlich der Gefährdung von Personen ruandischer Abstammung (insbesondere Tutsi), die nach Zaire zurückkehren, weist die Bundesregierung darauf hin, daß in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in Zaire vom 12. November 1996 eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben festgestellt werde. Diese Lageberichte würden dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, den Innenministern und -senatoren der Länder sowie den mit Asylsachen und Auslieferungsverfahren befaßten Gerichten übermittelt und flössen somit in die Entscheidungen der zuständigen Behörden ein. Weiter führt die Bundesregierung aus:

"Für die Anordnung genereller Abschiebestops sind nach § 54 des Ausländergesetzes die Obersten Landesbehörden zuständig. Solche Anordnungen bedürfen zum Zweck der Wahrung der Bundeseinheitlichkeit des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, wenn die Abschiebungen für länger als sechs Monate ausgesetzt werden sollen.

Allerdings haben Bund und Länder vereinbart, daß die Sechsmonatsregelung des § 54 Satz 1 des Ausländergesetzes nur als Ausnahmetatbestand für kurze Zeit und nach vorheriger Konsultation mit dem Bundesministerium des Innern und den Innenministerien der anderen Länder angewandt wird.

Schleswig-Holstein hat dieses Konsultationsverfahren bezüglich einer Aussetzung der Abschiebung von Personen ruandischer Abstammung, vor allem Tutsi, nach Zaire eingeleitet."89

     49. Nach Auffassung der Bundesregierung gibt es aus menschenrechtspolitischen Gesichtspunkten grundsätzlich keine Bedenken, in Deutschland abgelehnte Asylbewerber in den Libanon abzuschieben.

"Der Bürgerkrieg im Libanon ist seit über sieben Jahren vorbei. Die Lebensumstände insbesondere in den Flüchtlingslagern sind schwierig, doch vermag dieser Umstand allein nach allgemeiner Ansicht weder einen Flüchtlingsstatus noch einen Daueraufenthalt in Deutschland zu begründen. Allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen kann ausnahmsweise ein Bleiberecht aufgrund ausländerrechtlich relevanter humanitärer Gesichtspunkte in Betracht kommen."90

     50. Die Regierung sieht auch keine Notwendigkeit bei einem generellen Abschiebestop von Asylbewerbern nach Algerien:

"Der Bundesregierung ist bekannt, daß der UNHCR eine Aussetzung der Abschiebung algerischer Staatsangehöriger fordert, insbesondere wenn sie bestimmten Personengruppen angehören, die in besonderem Maße durch Aktionen fundamental-islamistischer Gruppierungen in Algerien bedroht seien, wie z.B. politisch engagierte Frauen oder Gewerkschaftler. Der Bundesregierung ist des weiteren bekannt, daß durch den Terror fundamental-islamistischer Gruppierungen Teile der algerischen Bevölkerung in besonderem Maße betroffen sind. Soweit in Deutschland aufhältigen Personen dieser Gruppen bei der Rückkehr in ihr Heimatland eine individuell-konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, kann aus humanitären Gründen von einer Abschiebung abgesehen werden. Neben den weiteren allgemeinen ausländer- und asylrechtlichen Bestimmungen, die betroffene Ausländer umfassend und ausreichend vor einer Abschiebung schützen, sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit für einen generellen Abschiebestop, wie er vom UNHCR gefordert wird."91

     51. Auf eine parlamentarische Anfrage hin nahm die Bundesregierung Stellung zur Praxis von Abschiebungen in die Türkei im Rahmen der deutsch-türkischen Absprache vom 10. März 1995 über die Abschiebung von türkischen Staatsangehörigen in die Türkei, die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der PKK und anderen verbotenen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben. Auf eine Frage nach möglicher Mißhandlung von in die Türkei abgeschobenen türkischen Staatsangehörigen führt die Bundesregierung aus, ihr lägen bestätigte Hinweise vor, daß ein aus Deutschland in die Türkei Abgeschobener in Polizeigewahrsam mißhandelt worden sei. In zwei weiteren Fällen lägen Hinweise vor, denen die Bundesregierung nachgehe. Weiter weist die Bundesregierung darauf hin, daß sie nicht an der Zusicherung der türkischen Behörden zweifle, die im Rahmen der deutsch-türkischen Absprache abgegeben worden sei und mit der zugesichert werde, daß keiner der Abgeschobenen nach einer Befragung am Flughafen in eine Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus verbracht worden sei sowie, daß keiner der im Rahmen der Absprache abgeschobenen Personen eine Strafverfolgung drohe.

"Die deutsch-türkische Absprache verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland dazu, türkische Staatsangehörige in die Türkei abzuschieben. Türkische Staatsangehörige werden jedoch im Rahmen der deutsch-türkischen Absprache abgeschoben, soweit sie ausreisepflichtig sind und ihnen weder ein Anspruch auf Asyl gemäß Art. 16a GG noch Abschiebungsschutz nach den §§ 51, 53 AuslG zusteht. Darüber hinaus hält die türkische Regierung nach den der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen die in der Absprache abgegebenen Verfahrensgarantien ein."92

     52. Mehrfach nahm die Bundesregierung Stellung zur Frage eines Schutzes von desertierten Militärangehörigen der ehemaligen sowjetischen bzw. russischen Westgruppe. Zur Frage nach den Gründen für das Festhalten an einer Einzelfallprüfung anstelle einer Gruppenregelung nach § 32 bzw. nach § 54 AuslG führt die Bundesregierung aus:

"Das im Beschluß der Innenministerkonferenz vom 17. April 1997 niedergelegte Verfahren war nach Auffassung der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder das geeignete Vorgehen, um individuell den betroffenen Deserteuren der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte auch nach rechtskräftiger Ablehnung ihres Asylantrages Schutz vor einer Abschiebung in ihren Heimatstaat zu gewähren, soweit ihnen dort unangemessene Haftstrafen wegen ihrer Fahnenflucht und des durch die Befragung durch westliche Geheimdienste entstandenen Verdachts auf Geheimnisverrat drohen könnten. Den entsprechenden Weg hatten zuvor schon in einer Reihe von Einzelfällen die Gerichte beschritten. Aufgrund der beabsichtigten Entscheidungsanweisung durch das Bundesministerium des Innern wird sichergestellt, daß die Betroffenen vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 oder 6 AuslG zuerkannt bekommen, soweit sie zum Kreis der Begünstigten zählen.

Eine Gruppenregelung nach § 32 AuslG oder ein pauschaler Abschiebungsstop nach § 54 AuslG, der anschließend immer wieder hätte verlängert werden müssen, erschien deshalb zur Problemlösung ungeeignet."93

     Nach Auffassung der Bundesregierung solle sich die beabsichtigte Regelung auf Deserteure der ehemaligen Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte erstrecken, die entweder inzwischen staatenlos sind oder die Staatsangehörigkeit eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der drei baltischen Staaten besäßen. Im Hinblick auf die letzteren bestünden nach Angaben des Auswärtigen Amtes keinerlei Gefährdungen.94 Es treffe jedoch nicht zu, daß diejenigen Deserteure geringe Chancen auf einen weiteren Aufenthalt hätten, die sich dem Bundesnachrichtendienst nicht offenbart hätten. Bei der Einschätzung einer Gefährdung der Deserteure in ihren Herkunftsländern komme es entscheidend auf die Wahrnehmung der dortigen Behörden an, ob eine Person zu westlichen Geheimdiensten Kontakt gehabt habe, und weniger darauf, ob oder wie intensiv die betreffende Person sich tatsächlich offenbart habe.95

     53. Im Berichtszeitraum äußerte sich die Bundesregierung mehrfach zu verschiedenen Aspekten der Rückführung bosnischer Flüchtlinge.

     Die Bundesregierung hat im Juni 1997 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage Auskunft über die Rückkehrbedingungen für bosnische Flüchtlinge gegeben. Sie betont, daß angesichts einer Zahl von insgesamt ca. 270 bis dahin erfolgten Abschiebungen nach Bosnien und Herzegowina von Massenabschiebungen keine Rede sein könne. Die Bundesregierung gehe davon aus, daß die Länder das Instrument der Abschiebung auch künftig mit Augenmaß einsetzen würden. Zum Problem der Rückführung von Personen, die aus ethnisch gesäuberten Gebieten stammen, führt die Bundesregierung aus:

"Die Rahmenbedingungen für ethnische Minderheiten in Bosnien und Herzegowina sind weiterhin schwierig; es gibt jedoch regional große Unterschiede. Angesichts der besonderen Situation von aus der Republica Srpska stammenden Nicht-Serben begrüßt die Bundesregierung die Feststellung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, daß die Rückführung der aus der Republica Srpska stammenden Flüchtlingen bosnischer und kroatischer Volkszugehörigkeit besondere Sensibilität erfordert und derzeit Abschiebungen dieser Personen im Grundsatz als nachrangig anzusehen sind. Konkrete und individuelle Gefahren für einzelne Flüchtlinge werden bei der jeweiligen Abschiebungsentscheidung durch die zuständigen Ausländerbehörden berücksichtigt, deren Entscheidungen der verwaltungsgerichtlichen Prüfung unterliegen."96

     Die Bundesregierung hält die Verweigerung der Rückkehr an den Herkunftsort, soweit sie gewünscht wird, für einen Verstoß gegen das Dayton-Abkommen. Die besondere Situation für Angehörige gemischt-ethnischer Ehen in allen Teilen Bosnien-Herzegowinas beurteilt die Bundesregierung wie folgt:

"Eine generelle Aussage über die Situation gemischt-ethnischer Ehen in Bosnien und Herzegowina ist nicht möglich. Auch generelle Rückschlüsse zur Rückführung dieses Personenkreises sind daher nicht möglich. Die Möglichkeit zur Rückkehr und die damit verbundene Reintegration hängt vielfach von der sozialen Struktur und dem sozialen Umfeld der einzelnen Familie ab. Für das Gebiet der Föderation gilt, daß eine Rückkehr in städtische Gebiete grundsätzlich möglich erscheint, ohne Übergriffe oder Verfolgung befürchten zu müssen.

In ländlichen oder 'ethnisch-gesäuberten' Gebieten können Probleme bei der Reintegration auftreten. Für die Republica Srpska gilt, daß Angehörige einer gemischt-ethnischen Ehe bzw. Familie mit starken Diskriminierungen rechnen müssen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lebt die überwiegende Mehrheit von gemischt-ethnischen Ehepaaren außerhalb der serbischen Entität."97

     Zu dem Wiederaufbauhilfeprogramm der EU-Kommission führt die Bundesregierung aus, die Hilfen kämen sowohl Rückkehrern als auch intern Vertriebenen und in der Heimatregion Verbliebenen zugute. Die flüchtlingsbezogenen EU-Programme würden gegenwärtig im wesentlichen über Nichtregierungsorganisationen abgewickelt. Sie konzentrierten sich auf Eigentümer und Wohnberechtigte. Dies sei sinnvoll, weil der größte Teil des Wohnraums in Bosnien und Herzegowina vor dem Krieg entweder im Eigentum der jeweiligen Bewohner gestanden habe oder mit einem dauerhaften Wohnrecht belegt gewesen sei.

     Angesichts der Vielzahl der in den Bereichen Wiederaufbau/Flüchtlingsrückkehr tätigen Akteure sei eine ständige Abstimmung, insbesondere im Hinblick auf die reibungslose Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, unabdingbar. Um die Abstimmung zwischen deutschen und internationalen Anstrengungen weiter zu verbessern, hält die Bundesregierung es ferner für sinnvoll, einen deutschen Beauftragten für die Flüchtlingsrückkehr zu berufen, der in Sarajewo tätig sein wird.

     Besonderen Wert legt die Bundesregierung auf die schnelle Entwicklung von Aufbauprojekten im Präsenzbereich der deutsch-französischen Brigade und deren Verbindung mit der Rückkehr von Flüchtlingen aus Deutschland. Hierfür solle beim deutschen SFOR Kontingent eine Stelle für die zivil-militärische Zusammenarbeit geschaffen werden.

     Insgesamt betont die Bundesregierung, daß die Verantwortung für die vollständige Umsetzung des Vertrages von Dayton ausschließlich bei den politischen Führern der ehemaligen Konfliktparteien liege. Bei dem Ministertreffen des Lenkungsausschusses des Friedensimplementierungsrates habe Einigkeit bestanden, daß die Abkommenstreue aller Parteien in Bosnien und Herzegowina - wenn auch in unterschiedlichem Maße - unbefriedigend sei. Der Lenkungsausschuß hat die Verantwortlichen aufgefordert, die Implementierung der Friedensvereinbarung von Dayton zu beschleunigen. Infolge der bislang mangelhaften Zusammenarbeit könne nicht erwartet werden, daß die internationale Gemeinschaft fortgesetzte Obstruktion durch Wiederaufbauhilfe honoriere. Dies habe der Bundesaußenminister Kinkel bei den Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina bereits wiederholt deutlich gemacht. Für die Bundesregierung gelte das Prinzip der Konditionierung der Hilfe zum Wiederaufbau, wie es in den Schlußfolgerungen der Londoner PIC-Konferenz im Dezember 1996 bekräftigt wurde.98

     Auf die Frage nach besonderer Berücksichtigung traumatisierter Personen für eine Rückstellung der Rückführung führt die Bundesregierung aus:

"Traumatisierte Personen, die deswegen mindestens seit dem 16. Dezember 1995 in ständiger (fach)ärztlicher Behandlung stehen, sind nach den einschlägigen Beschlüssen der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder von der ersten Rückführungsphase ausgenommen und sollen erst am Ende der - zeitlich offenen - zweiten Phase zurückgeführt werden, soweit die Behandlung noch nicht abgeschlossen ist. Voraussetzung ist insoweit also der Nachweis über die fortdauernde ärztliche Behandlung."99

     Im übrigen betont die Bundesregierung, daß die bosnischen Behörden ihre Verpflichtungen aus dem am 14. Januar in Kraft getretenen Rücknahmeabkommen zur Aufnahme, Verteilung und Weiterleitung von rückgeführten Personen nicht immer in befriedigender Weise wahrnehmen.100

     Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine weitere Kleine Anfrage ausführt, haben die Ausländerbehörden die Volks- und Religionszugehörigkeit der bosnischen Kriegsflüchtlinge nur zum Teil erfaßt. Ebenso sei der letzte Wohnort im Heimatland nicht durchgängig in Akten festgehalten worden. Dennoch ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die konkreten Herkunftsgebiete im Rückführungsprozeß Berücksichtigung finden könnten. So soll nach dem Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 19. September 1996 im Rahmen der ersten Rückführungsphase in einem ersten Schritt die Rückführung zunächst jedenfalls die Kriegsflüchtlinge erfassen, die aus den für eine Rückkehr geeigneten Gebieten stammen. Angehörige gemischt-ethnischer Ehen seien in den Beschlüssen der Innenministerkonferenz nicht von der Rückführung ausgenommen worden. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes lebten im Föderationsgebiet in den großen Ballungszentren zahlreiche gemischt-ethnische Ehepaare, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle keine Diskriminierungen befürchten müßten, die als Verfolgungsmaßnahmen einzustufen seien.101

     Auf eine schriftliche Anfrage wies die Bundesregierung darauf hin, daß einzelne besonders gelagerte Fallgruppen bis auf weiteres von der Rückführung ausgenommen seien. Dazu gehörten Personen, die als Zeugen vor dem Internationalen Jugoslawien-Gerichtshof in Den Haag im Rahmen eines Kriegsverbrecherprozesses geladen werden und bereit sind, dort auszusagen.102

     Zu Berichten über das Einfordern von erheblichen Gebühren seitens der bosnischen Botschaft in Bonn von rückkehrwilligen Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina nahm die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine schriftliche Anfrage Stellung:

"Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Botschaft der Republik Bosnien-Herzegowina in Bonn hohe Paßgebühren von ihren sich in Deutschland aufhaltenden Staatsangehörigen verlangt. Bereits seit geraumer Zeit drängt sie die Botschaft, bei der Kostenerhebung die soziale und wirtschaftliche Lage der Antragsteller zu berücksichtigen und die Gebühren für Sozialhilfeempfänger deutlich zu reduzieren. Es ist nicht akzeptabel, daß für die Ausstellung von Pässen an bosnische Flüchtlinge, die Empfänger deutscher öffentlicher Sozialleistungen sind, hohe Gebühren verlangt werden, für die letztlich der Steuerzahler in Deutschland aufkommen muß.

Eine zufriedenstellende Lösung konnte bisher nicht erreicht werden. Die Botschaft verweist zur Rechtfertigung der Gebühren auf den hohen Aufwand für die erforderliche Überprüfung der Identität und Staatsbürgerschaft der aus dem früheren Jugoslawien geflüchteten Antragsteller. Davon seien alle Personen betroffen, die zum ersten Mal einen bosnischen Nationalpaß beantragen und bislang lediglich im Besitz eines alten jugoslawischen Nationalpasses, eines kroatischen Nationalpasses oder eines alten Personalausweises sind. Die Gebühr für Sozialhilfeempfänger wurde bereits ermäßigt, allerdings noch nicht in gewünschtem Umfang. So betragen die Gebühren für die Erstausstellung eines Passes 326 DM (für Sozialhilfeempfänger 236 DM), für eine Verlängerung oder Ausstellung eines zweiten Passes nach Verlust 210 DM (für Sozialhilfeempfänger 150). Dabei wird nicht zwischen Antragstellern mit Bleiberecht in Deutschland und Rückkehrern unterschieden."103

     Spezielle Maßnahmen zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der bosnisch-herzegowinischen Behörden für die Aufnahme von rückkehrenden Kriegsflüchtlingen aus Deutschland hält die Bundesregierung nicht für erforderlich, wie sie in der Anwort auf eine weitere schriftliche parlamentarische Anfrage erklärt:

"Bei den bisherigen Rückführungen ... hat es auch nach Aussage der bosnisch-herzegowinischen Behörden keine größeren Probleme hinsichtlich der Aufnahme der Zurückgeführten gegeben.

Hinsichtlich der freiwilligen Rückkehr ist festzuhalten, daß diese ganz überwiegend durch die Rückkehrer so vorbereitet wird, daß eine Aufnahme/Unterbringung am Zielort gewährleistet ist. Auch UNHCR hat festgestellt, daß es bei über 101 000 Rückkehrern aus dem Ausland (davon ca. 85 000 aus Deutschland) nur eine verschwindend geringe Anzahl von Nachfragen nach unmittelbarer Nothilfe bei den UNHCR Büros in Bosnien und Herzegowina gegeben hat."104



    79 BGBl. 1997 I, 1130.
    80 ZAR aktuell Nr. 4 vom 10.9.1997, 3.
    81 BT-Drs. 13/8611 vom 25.9.1997, 2 f.
    82 BT-Drs. 13/7222 vom 13.3.1997, 4.
    83 Ibid., 6.
    84 Vgl. BGBl 1992 II, 990, Nr. IV.
    85 BT-Drs. 13/7222 vom 13.3.1997, 6 f.
    86 BT-Drs. 13/8386 vom 11.8.1997, 2 f.
    87 Ibid., 4.
    88 BT-Drs. 13/8281 vom 23.7.1997, 12.
    89 BT-Drs. 13/6665 vom 3.1.1997, 8 f.
    90 BT-Drs. 13/8470 vom 5.9.1997, 12.
    91 Ibid., 8.
    92 BT-Drs. 13/7398 vom 10.4.1997, 9.
    93 BT-Drs. 13/8018 vom 24.6.1997, 2.
    94 Ibid., 3.
    95 WIB 12/97, 10.
    96 BT-Drs. 13/7994 vom 18.6.1997, 2.
    97 Ibid., 2 f.
    98 Ibid., 7.
    99 Ibid., 10.
    100 Ibid., 11.
    101 BT-Drs. 13/7111 vom 27.2.1997, 3.
    102 BT-Drs. 13/7582 vom 2.5.1997, 7.
    103 BT-Drs. 13/7149 vom 7.3.1997, 1 f.
    104 BT-Drs. 13/9118 vom 21.11.1997, 7.