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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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Roland Bank


IX. Menschenrechte und Minderheiten

2. Praxis im Rahmen der VN-Organe

     67. Wie die Bundesregierung in ihrem 4. Bericht über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen betont, mißt sie einer aktiven Mitarbeit in den Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen eine herausgehobene Bedeutung bei. Dabei komme der Mitgliedschaft Deutschlands im VN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) sowie in der Menschenrechtskommission (MRK) als funktionalem Ausschuß des Wirtschafts- und Sozialrates eine Schlüsselstellung zu. Die kontinuierliche deutsche Mitgliedschaft in der MRK seit 1975 (mit einjähriger Unterbrechung im Jahre 1978) habe sichergestellt, daß Deutschland an allen wichtigen Entscheidungen und Beschlüssen im Menschenrechtsbereich aktiv mitwirken konnte. Im Rahmen des sogenannten gruppenübergreifenden Dialogs bemüht sich der Leiter der deutschen Delegation in der MRK, Bundesminister a.D. Baum, zwischen den Tagungen mit Unterstützung durch den Arbeitsstab Menschenrechte und die ständigen Vertretungen in Genf und New York, Delegationen aus anderen Regionalgruppen für die Förderung wichtiger Menschenrechtsvorhaben zu gewinnen. Die Rückkehr zum Konsens bei der Behandlung des Rechts auf Entwicklung und eine tendenzielle Versachlichung der Diskussion einer Reihe sehr schwieriger Themen (z.B. Erklärung zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger, MRK-Grundsatzdiskussion zum Prinzip Einstimmigkeit versus Mehrheitsentscheidung) und Fortschritte bei der Einrichtung von Menschenrechtsfeldoperationen bestätigten nach Einschätzung der Bundesregierung die Richtigkeit des Ansatzes. Seit der 53. Sitzung der MRK 1997 hat Deutschland den Vorsitz in der westlichen Gruppe ("Western Human Rights Group") übernommen, was zu einer weiteren Stärkung des Profils der Bundesrepublik im multilateralen Menschenrechtsbereich beigetragen habe.

     In der Kommission für die Rechtstellung der Frau ist Deutschland seit 1997 für vier Jahre erneut Mitglied (bereits Mitglied von 1976 bis 1990) geworden. In diesem Rahmen wirkt die Bundesregierung nach eigenen Angaben aktiv an der Umsetzung der Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz mit.126

     68. Die deutsche Delegation auf der 53. Sitzung der VN-Menschenrechtskommission 1997 unter der Leitung von Bundesminister a.D. Baum setzte sich mit Nachdruck dafür ein, daß die Arbeiten an dem neuen Deklarationsentwurf zu den Menschenrechtsverteidigern zügig weitergeführt werden, wobei eine Verabschiedung der Erklärung möglichst bis Dezember 1998 von der Bundesregierung angestrebt wurde. Wie die Bundesregierung in ihrem 4. Bericht über die Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen erläutert, sei es in über 10jährigen Verhandlungen nicht gelungen, Einigung über den Entwurf zu erzielen. Dies sei bis 1996 vor allem darauf zurückzuführen gewesen, daß gerade die für die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger wesentlichen Rechte nicht konsensfähig waren. Während vor allem die westlichen Länder den Status und die Rechte der Menschenrechtsverteidiger möglichst weit ausgestalten wollten, ging es einigen anderen Staaten (u.a. Kuba, China) darum, möglichst enge Voraussetzungen für deren Tätigwerden festzulegen und die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland zu kontrollieren. Anfang 1997 sei auf Initiative der westlichen Länder mit einem überarbeiteten, in höherem Maße konsensfähigen Deklarationstext über die Rechte von Menschenrechtsaktivisten der ins Stocken geratene Verhandlungsprozeß wieder in Schwung gebracht worden.127

     69. Die Erarbeitung eines Zusatzprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984, das den präventiven Schutz vor Folter noch wirksamer gestalten soll, wird von der Bundesregierung den Angaben im Menschenrechtsbericht zufolge aktiv unterstützt. Ergänzend zu den materiellen Bestimmungen des Übereinkommens sehe der derzeit diskutierte Entwurf die Schaffung eines Unterausschusses des bestehenden Anti-Folterausschusses vor, der durch Besuche von Orten, an denen Menschen durch eine öffentliche Behörde die Freiheit entzogen ist (Gefängnisse, psychiatrische Anstalten usw.), präventiven Schutz vor Folter gewährleisten soll.128

     70. Der Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen zur Umsetzung der Deklaration über die Abschaffung aller Formen religiöser Intoleranz und auf Religion und Glauben beruhender Diskriminierung, Prof. Dr. Amor (Tunesien) hat Deutschland auf Einladung der Bundesregierung vom 17. bis 28. September 1997 besucht. Hintergrund des Besuches war das Anliegen des Sonderberichterstatters, sich einen Überblick über den Stand der Verwirklichung des Menschenrechts auf Freiheit der Religion, des Glaubens und des Gewissens in Deutschland zu verschaffen. Während seines Besuches hatte der Sonderberichterstatter Gelegenheit, sich im Rahmen eines umfangreichen Programmes über die Situation in Deutschland in bezug auf die Gewährleistung des Menschenrechtes auf Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses zu informieren. In über 50 Gesprächsterminen traf Prof. Amor u.a. mit Vertretern des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung, von Landesregierungen, der christlichen Kirchen und einer Vielzahl weiterer Religionsgemeinschaften, sowie Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, der Wissenschaft und mit persönlich Betroffenen zusammen. Der Bericht wurde der Menschenrechtskommission am 22. Dezember 1997 vorgelegt.129 Untersucht wurden vom Sonderberichterstatter die Gesetzeslage bezüglich der Toleranz und Nichtdiskriminierung im Bereich von Religion und Glauben, insbesondere im Hinblick auf allgemeine verfassungsrechtliche Garantien der Religions- und Glaubensfreiheit, zum Verhältnis von Staat, Religion und Glauben sowie von verfassungsrechtlichen Garantien, die sich auf Sekten und Kulte beziehen. Weiterhin wurde die tatsächliche Situation bei der Umsetzung dieser Garantien untersucht sowie die Situation von religiösen Minderheiten beleuchtet. Ein eigenes Kapitel ist der "Church of Scientology" gewidmet.

     Während die verfassungsmäßige Rechtslage zum Schutz von Religions- und Glaubensfreiheit sowie die ausgewogene Balance zwischen Religion und Politik vom Sonderberichterstatter gelobt werden, schlägt er im Hinblick auf die praktische Umsetzung kritischere Töne an. Im Hinblick auf die Situation nicht-christlicher Glaubensgemeinschaften, insbesondere muslimischen Glaubens, in Deutschland wird insbesondere kritisiert, daß ihnen die Rechtspersönlichkeit und Stellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verweigert werde:

"In conformity with article 140 of the Constitution and with German case law, the Muslim community satisfies the criteria regarding its statute, the size of its membership, the guarantee of permanence and respect for the legal order of the State. In view of the pragmatic approach to this issue shown by German officials during the Special Rapporteur's visit, and as it is not possible to treat Islam in the same way as a Christian Church or for it to be represented by an authority, the Special Rapporteur believes that it would be useful to hold broad consultations with Muslim organizations with a view to granting the status of legal person in public law to those that agree to cooperate with the State."130

     Neben der Ausweitung der rechtlichen Anerkennung von Glaubensgemeinschaften hält der Sonderberichterstatter die Einführung von Gesetzen für wertvoll, "which makes punishable any writings or statements fomenting hatred, particularly in the press".131

     71. Der luxemburgische Vertreter im 2. Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen begrüßte im Namen der Europäischen Union den Bericht des VN-Generalsekretärs zur Umsetzung des Aktionsplans, wie er auf der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung beschlossen worden war. Es sei ermutigend festzustellen, daß zahlreiche Länder ihre Gesundheitsversorgung reorganisiert hätten, indem sie Aktivitäten im Bereich Familienplanung zusammen mit anderen Aktivitäten im Hinblick auf die reproduktive Gesundheit zusammengeführt hätten. Es sei zentral, in diesem Bereich Bildungsmaßnahmen zu verfolgen, um die Müttersterblichkeit zu reduzieren, Teenager-Schwangerschaften zu minimieren und sexuell übertragbare Krankheiten zu verhindern. Die Europäische Union sei der vom Generalsekretär vorgebrachten Idee einer Überprüfung und Würdigung der Umsetzung des Aktionsplans gegenüber positiv eingestellt. Hierfür wird ein hochrangiges Treffen von zwei Tagen vorgeschlagen, das im Rahmen der Generalversammlung abgehalten werden könnte und weitere Beteiligung durch Nichtregierungsorganisationen und parlamentarische Gruppen einschließen sollte.132

     72. Nachdrücklich setzte sich der Vertreter der Europäischen Union im 2. Ausschuß der Generalversammlung für eine Intensivierung der Bemühungen zur Förderung der Gleichheit der Geschlechter sowie auch Zugang von Frauen zu Produktionsressourcen ein. Er unterstrich, daß die Gleichstellung der Frau einen zentralen Faktor im Kampf gegen die Armut darstelle. In diesem Zusammenhang wurde der Vorschlag des Wirtschafts- und Sozialrates, die Gleichberechtigungsaspekte in allen Programmen der Vereinten Nationen zu einem Hauptanliegen zu machen, begrüßt. Nach Ansicht der Europäischen Union müsse der Grundschulerziehung sowie der grundlegenden Gesundheitsversorgung die größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es sei bedauerlich zu sehen, daß Frauen zwei Drittel aller Analphabeten in der Welt ausmachten.133

     73. In ihrer Antwort auf eine Große Parlamentarische Anfrage hat die Bundesregierung die Beschneidung der weiblichen Genitalien, wie sie in verschiedenen afrikanischen und einigen asiatischen Staaten (wie auch in ausländischen Bevölkerungsgruppen in Europa, Kanada, Australien und in den USA) vorgenommen werde, nachdrücklich als schwere Menschenrechtsverletzung verurteilt und sich verpflichtet, Anstrengungen zur Bekämpfung derartiger Praktiken zu unterstützen. Während für die Bekämpfung von derartigen Praktiken in der Bundesrepublik Deutschland auf das deutsche Strafrecht verwiesen wird, befürwortet die Bundesregierung in asiatischen und afrikanischen Ländern Aufklärungsarbeit als die richtige Strategie.

"Die Faktoren, die in den entsprechenden Ländern zum Fortbestand des Brauches beitragen, sind sehr vielfältig und tief in der jeweiligen Gesellschaft verwurzelt. Versuche, durch Einfluß von außen das Beschneidungsritual in Frage zu stellen, werden oftmals als Einmischung in die Tradition und als Diktat westlicher Lebensweisen und Anschauungen abgelehnt - gerade auch von den einheimischen Frauen. Dies muß bei der Bekämpfung der Beschneidung von Mädchen und Frauen in afrikanischen und asiatischen Ländern berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt muß daher die Unterstützung einheimischer Gruppen und Organisationen stehen, die in den betroffenen Ländern durch Aufklärungsarbeit ein entsprechendes Bewußtsein und eine Verhaltensänderung in der Bevölkerung fördern. Daneben sind Aufklärungsaktionen internationaler Organisationen, wie z.B. der WHO und UNICEF, wichtig und erfolgversprechend."134

     74. Zu Fragen der Bekämpfung von Rassismus äußerte sich der luxemburgische Vertreter für die Europäische Union im 3. Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Im Hinblick auf die Vorbereitung einer Weltkonferenz zur Bekämpfung des Rassismus, die von der Europäischen Union befürwortet werde, fordert der Vertreter Luxemburgs einen Ansatz der auf eine praktische Problemlösung orientiert ist. Weiterhin fordert er alle Regierungen auf, Rassismus entschieden entgegenzutreten:

"It was incumbent upon every government to take a firm stand against any manifestation of racism or xenophobia in its territory. All states must hear the warning of the Secretary-General in his report on the work of the organization against identity politics, which could lead to the vilification of `the other'. Human rights education was essential in that regard, since racism and xenophobia were born of fear. The police and the judicial system should be central to efforts to combat those phenomena."135

     75. Die Vertreterin Luxemburgs begrüßte im 3. Ausschuß der Generalversammlung im Namen der Europäischen Union die Entscheidung, dem Ausschuß zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau eine zweite Jahressitzung zu genehmigen. Dies werde helfen, den Verfahrensstau in diesem Ausschuß zu reduzieren. Weiterhin begrüßte die Vertreterin Luxemburgs die wachsende Zahl von Beitritten zur Konvention, bemängelte jedoch, daß die von einigen Vertragsparteien erklärten Vorbehalte gegen den Geist der Konvention verstießen.136

     76. Auch im Hinblick auf die Konvention über die Rechte des Kindes rügte die Vertreterin Luxemburgs im Namen der Europäischen Union die Vorbehalte einiger Mitgliedstaaten, die gegen deren Ziele und Prinzipien verstießen und einen Willen zur Umsetzung der Konvention zweifelhaft erscheinen ließen. Sie forderte jene Mitgliedstaaten auf, ihre Vorbehalte zurückzuziehen. Weiterhin brachte sie die Unterstützung der Europäischen Union für die Fertigstellung eines Fakultativprotokolls zur Bekämpfung des Verkaufs von Kindern, der Kinderprostitution und Kinderpornographie zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang forderte sie Nichtregierungsorganisationen auf, auf Regierungen Druck auszuüben, die existierenden Instrumente anzuwenden. Um die Kinderarbeit wirksamer zu bekämpfen, forderte die Vertreterin die Einführung einer Schulpflicht in der Primärerziehung, die kostenlosen und allgemeinen Zugang gewährleistet. Außerdem mahnte sie eine größere politische Bereitschaft zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten an. Insgesamt räumte sie ein, daß das gewachsene Interesse an den Rechten der Kinder wenig spürbare Auswirkungen auf das tägliche Leben der meisten Kinder in der Welt habe. Insofern sei es nicht genug, entsprechende Gesetze zu schaffen, vielmehr müßten Bedingungen geschaffen werden, die einen Genuß dieser Rechte erlaubten.137

     77. Gegenüber Forderungen nach Einführung einer Rechenschaftspflicht von internationalen Finanzinstitutionen vor Menschenrechtsgremien der VN äußert sich die Bundesregierung ablehnend:

"Die Forderung, daß die internationalen Finanzinstitutionen einer Berichts- und Rechenschaftspflicht gegenüber den VN-Menschenrechtsgremien unterstellt werden müßten, wird traditionell von den Entwicklungsländern und deutschen Nichtregierungsorganisationen erhoben. Zu den wesentlichen Voraussetzungen für die effiziente Arbeit des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank gehört deren Unabhängigkeit von politischen Zielsetzungen. Mit diesem Grundsatz ist eine Berichtspflicht von IWF und Weltbank gegenüber VN-Gremien nicht vereinbar. Gegen eine stärkere Einbindung spricht beim IWF schon die im übrigen auch von den Empfängerländern aus guten Gründen geforderte Vertraulichkeit der Verhandlungen und Vereinbarungen. Die Programme des IWF werden im Exekutivdirektorium ausführlich diskutiert. Hier sind Industrie und Entwicklungsländer gleichermaßen vertreten, was den Entwicklungsländern die Möglichkeit gibt, ihre Vorstellungen über die IWF-Politik zur Diskussion zu stellen. Eine Verlagerung dieser Diskussion aus dem IWF hinaus in fachfremde Foren birgt die Gefahr in sich, aus wohlgemeinten (sozial-)politischen Gesichtspunkten unumgängliche Anpassungsprozesse zu verzögern. Damit wird die Anpassung jedoch teurer und der Verteilungsspielraum geringer."138



    126 Ibid., 12 f.
    127 Ibid., 25 f.
    128 Ibid., 20.
    129 UN Doc. E/CN.4/1998/6/Add.2.
    130 UN Doc. E/CN.4/1998/6/Add.2, Rn. 90.
    131 Ibid., Rn. 104.
    132 UN Doc. A/C.2/52/SR.23, 17-21.
    133 UN Doc. A/C.2/52/SR.27, 13-15.
    134 BT-Drs. 13/8281 vom 23.7.1997, 2.
    135 UN Doc. A/C.3/52/SR.27, 19-21.
    136 UN Doc. A/C.3/52/SR.7, 15.
    137 UN Doc. A/C.3/52/SR.19, 30-38.
    138 Ibid., 6.