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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Hans-Konrad Ress


X. Europäische Gemeinschaften

8. Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 119 EG-Vertrag)

      104. Das OVG Schleswig entschied mit Beschluß vom 25.7.1994 (3 L 299/93 - ZBR 1995, 53), daß das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 119 EGV auch für Beamte gelte. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei das in Art. 119 enthaltene Diskriminierungsverbot nicht nur für die öffentlichen Behörden verbindlich, sondern erstrecke sich auch auf alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen96. Hieraus sei zu schließen, daß die Vorschrift auch auf Beamte Anwendung finde.

      Nachdem das OVG so zur Anwendbarkeit des Art. 119 EGV gekommen war, untersuchte es die Frage, ob die Hinausschiebung des allgemeinen Dienstalters um bestimmte Zeiten des Erziehungsurlaubs Frauen unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht (mittelbar) diskriminiere. Das Gericht sah keine Verletzung des Art. 119 EGV, da sich der Erziehungsurlaub lediglich auf das allgemeine Dienstalter, nicht jedoch auf das Besoldungsdienstalter nachteilig auswirke, da während der Zeit des Erziehungsurlaubes das Besoldungsdienstalter weiterlaufe. Die Auswirkung des allgemeinen Dienstalters als Auswahlkriterium bei Beförderungen im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. § 8 Abs. 1 BBG verletze Frauen nicht in ihrem Recht auf Gleichbehandlung, da die Vorschrift des Art. 119 EGV insoweit kein subjektives Recht auf Gleichbehandlung im "Vorfeld" einer Beförderungsentscheidung gewähre. Das allgemeine Dienstalter wirke sich nur indirekt auf das mit der Beförderung zusammenhängende höhere Endgrundgehalt aus.

      Das OVG kam zu dem Ergebnis, daß die Hinausschiebung des allgemeinen Dienstalters auch mit der Gleichbehandlungs-Richtlinie Nr. 76/207 des Rates97 vereinbar sei. Zwar sei eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Umstandes nicht auszuschließen, daß deutlich mehr Frauen als Männer Erziehungsurlaub in Anspruch nähmen und daher Frauen aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Rolle häufiger als Männer von der in Rede stehenden Festsetzung des allgemeinen Dienstalters betroffen seien. Diese unterschiedlichen Auswirkungen stellten jedoch keine Diskriminierung im Sinne der Richtlinie dar, da die Ungleichbehandlung durch objektive Kriterien wie Anciennität und Berufserfahrung gerechtfertigt sei.

      105. Die Frage der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der tarifrechtlichen Auswirkungen des Erziehungsurlaubs von Frauen war auch Gegenstand eines Urteils des BAG vom 28.9.1994 (10 AZR 697/93 - BB 1995, 97 = NZA 1995, 176). Der Arbeitgeber hatte der Klägerin eine nach Tarifvertrag zustehende Sonderzahlung anteilig um die Zeiten des Erziehungsurlaubs gekürzt. Das BAG hielt an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und verneinte einen Verstoß gegen Art. 119 EG-Vertrag. Auch wenn es zutreffe, daß aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Rolle Frauen weitaus häufiger Erziehungsurlaub in Anspruch nähmen als Männer, so sei die Ungleichbehandlung durch ein wirkliches Bedürfnis gerechtfertigt. Sei der Arbeitgeber von der Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgeltes befreit, weil das Arbeitsverhältnis ruhe, dann stehe Art. 119 EGV einer vertraglichen oder tariflichen Bestimmung nicht entgegen, die dem Arbeitgeber erlaube, auch zusätzliche Entgeltleistungen für diese Zeiten "ruhen" zu lassen. Der Unterschied zwischen einem ruhenden und einem nichtruhenden Arbeitsverhältnis sei so gewichtig, daß eine unterschiedliche Behandlung nicht nur beim eigentlichen Arbeitsentgelt, sondern auch bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen zum Arbeitsentgelt gerechtfertigt sei.

      In diesem Zusammenhang ist auch hinzuweisen auf die Entscheidung des BAG vom 25.10.1994 (3 AZR 149/94 - NZA 1995, 730).



      96 EuGH Rs. 43/75, Slg. 1976, 455.
      97 Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 9.2.1976, ABl. L 39/40.