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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1999


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Ludger Radermacher


VII. Asylrecht

2. Anderweitiger Verfolgungsschutz, Drittstaaten-Regelung

       19. Das VG Regensburg unterstrich in seinem Beschluß vom 20.10.1999 (RN 4 S 99.31287 - InfAuslR 2000, 143 f.), daß die Überstellungsfrist gemäß Art. 11 Abs. 5 des Dubliner Übereinkommens36 (DÜ) dann keine Ausschlußfrist ist, wenn ihr Überschreiten auf Gründen beruht, die in die Sphäre des Asylbewerbers fallen. Sei der Antragsteller ein Kind, so werde er bezüglich des Wunsches nach einer Übernahme des Asylantrages bei an sich nicht gegebener Zuständigkeit (Art. 9 DÜ) von seinen Eltern vertreten. Für die am 13.1.1999 in Deutschland geborene Antragstellerin wurde durch ihre Eltern - jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo - am 8.2.1999 ein Asylantrag gestellt. Die Eltern hatten nach Verlassen des Kosovo in Italien befristete Aufenthaltserlaubnisse erhalten und stellten danach in Deutschland Asylanträge. Auf ein entsprechendes Übernahmeersuchen erklärte sich Italien zur Übernahme der Eltern nach Art. 6 DÜ und zur Übernahme der Antragstellerin nach Art. 9 DÜ bereit. Daraufhin wurde der Asylantrag der Antragstellerin als unbeachtlich abgelehnt, sie zur Ausreise binnen Wochenfrist aufgefordert und gleichzeitig die Abschiebung angedroht. Der hiergegen im Eilverfahren vorgebrachte Antrag blieb ohne Erfolg. Das VG führte aus, daß nach § 29 Abs. 3 S. 1 AsylVfG ein Asylantrag dann unbeachtlich ist, wenn aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages ein anderer sicherer Drittstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist oder die Zuständigkeit übernimmt. Hier habe Italien - auch für die Antragstellerin - die Zuständigkeit nach Art. 9 DÜ übernommen. Das DÜ enthalte keine asylrechtlichen Vorschriften materieller Art, sondern lediglich Kriterien zur Bestimmung der Zuständigkeit. Die in Art. 4 bis 8 DÜ aufgeführten Kriterien seien gemäß Art. 3 Abs. 2 DÜ in der aufgezählten Reihenfolge anzuwenden. Subsidiär ermögliche Art. 9 DÜ die Übernahme eines Asylantrages aus humanitären Gründen bei an sich nicht gegebener Zuständigkeit, wenn dies dem Wunsch des Asylbewerbers entspreche. Italien habe sich auf Ersuchen Deutschlands mittels transfer acceptance zu Recht zur Prüfung des Asylantrags nach Art. 9 DÜ bereiterklärt. Die humanitären Gründe lägen darin, daß mit Italien nur ein einziger Vertragsstaat mit der Prüfung der Asylanträge der Familie befaßt sei und so die Familieneinheit erhalten werden solle. Die Zuständigkeit Italiens für die Asylanträge der Eltern sei trotz Ablaufs der Monatsfrist nach Art. 11 Abs. 5 DÜ, innerhalb derer die Überstellung der Eltern nach Italien hätte erfolgen müssen, gegeben. Dies sei damit zu begründen, daß von der Überstellung bislang nur mit Rücksicht auf das Verfahren der Antragstellerin abgesehen worden sei und somit die Gründe für die Fristüberschreitung in der Sphäre des Asylbewerbers lägen. Die Übernahme durch Italien entspreche auch dem mutmaßlichen Wunsch der Antragstellerin. Da die Vertretungsmacht der die Personensorge ausübenden Eltern zum Wohl des Kindes auszuüben sei (vgl. § 1627 BGB), könne nicht auf den Wunsch der Eltern abgestellt werden. Der Wunsch der 9 Monate alten Antragstellerin könne vielmehr nur darauf gerichtet sein, bei ihren Eltern als wichtigsten und die Primärbedürfnisse erfüllenden Bezugspersonen zu bleiben.




      36 Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages vom 15.6.1990, BGBl. 1994 II 792.