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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


II. Forschungsvorhaben

F. Europarecht

4. Die Maßnahmen der XIV EU-Mitgliedstaaten gegen Österreich. Möglichkeiten und Grenzen einer "streitbaren Demokratie" auf europäischer Ebene (Monographie)

Der Regierungswechsel in Österreich wurde im Januar 2000 zu einem weltweit beachteten Ereignis. Die "gemeinsame Reaktion" von 14 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) stürzte die Beziehungen des Landes zu den anderen EU-Mitgliedstaaten in eine schwere diplomatische Krise, die das politische Geschehen in der EU bis zum September 2000 maßgeblich bestimmte.

Aus der Perspektive der Rechtswissenschaft ist dieser "Fall Österreich" vor allem deshalb ein interessantes Studienobjekt, weil eine nach nationalem Verfassungsrecht durchgeführte, auf einer demokratischen Entscheidung des Souveräns beruhende Regierungsbildung in einem EU-Mitgliedstaat erstmals offen in Frage gestellt wurde. Darüber hinaus ist der Fall an den Schnittstellen des Staats-, Europa- und Völkerrechts angesiedelt, die eine ergiebige Quelle für Problemstellungen einer noch wenig ausgebildeten Dogmatik des Europarechts sind.

Die von Dr. Frank Schorkopf verfaßte Fallstudie, die in der Institutsreihe der Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht erscheint, behandelt den Ablauf und die Strukturen der Maßnahmen gegen Österreich. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen zunächst die einschlägigen Rechtsfragen aus staats-, europa- und völkerrechtlicher Perspektive sowie die Folgen der Maßnahmen. Zu letzteren gehört insbesondere die Reform der Art. 7 und 46 EU-Vertrag durch den Vertrag von Nizza.

Darüber hinaus argumentiert der Autor, Art. 7 EUV als Bestandteil eines umfangreicheren Konzepts der "streitbaren Demokratie" auf europäischer Ebene zu verstehen. Zu den Elementen einer solchen "streitbaren Demokratie" würden insbesondere nationale Rechtsgrundlagen für Parteiverbote gehören. Dieser Ansatz soll Antworten auf die Frage ermöglichen, wie sich die Demokratie auf europäischer Ebene gegen nicht demokratische Kräfte schützen kann oder - anders ausgedrückt - wie die EU die Voraussetzungen garantieren kann, von denen sie lebt. Das Konzept der "streitbaren Demokratie" steht für den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu unantastbaren Grundwerten einer Verbandsordnung. Die politische Toleranz in einem Gemeinwesen wird dahingehend begrenzt, daß die Mehrheit den Grundkonsens, wie er sich in der demokratischen Ordnung, der Rechtsstaatlichkeit und dem Menschenrechtsschutz materialisiert, nicht in Frage stellen kann.

Nach der Unterzeichnung des Vertrages von Nizza hat eine breit angelegte Debatte über die künftige Entwicklung der EU begonnen, die durch die Politik eine Reihe viel beachteter Anstöße erhalten hat ("Post-Nizza-Prozeß"). In der Studie wird der Vorschlag unterbreitet, den Gedanken der "streitbaren Demokratie" in diesem Prozeß aufzunehmen und Empfehlungen für dessen Implementierung in den mitgliedstaatlichen Rechts- und Verfassungs-ordnungen auszusprechen.