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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


VIII. Ausländer

2. Asyl- und Flüchtlingsrecht

     35. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage beschäftigte sich die Bundesregierung mit der Einstufung der Bundesrepublik Deutschland als "kein sicheres Drittland" durch die Entscheidung des britischen Court of Appeal vom 23. Juli 199995 und mit der Frage der Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund.96 Zunächst wies die Bundesregierung darauf hin, daß es sich bei der Entscheidung des britischen Gerichts um eine noch nicht in Rechtskraft erwachsene zweitinstanzliche Entscheidung handele, die nicht die Rechtsauffassung der britischen Regierung wiedergebe; diese bereite eine Revision zum House of Lords vor. Und weiter:

     "Unabhängig von dem Ausgang dieses Verfahrens wird man sich auf europäischer Ebene bei der im Amsterdamer Vertrag vorgesehenen Harmonisierung des materiellen Asylrechts mit der Thematik auseinandersetzen, inwieweit nichtstaatliche Verfolgung zur Anerkennung als Flüchtling führen kann. Im gemeinsamen Standpunkt vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung des Begriffs 'Flüchtling' in Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention hat man sich noch nicht festgelegt. Der Aktionsplan des Rates vom 3. Dezember 1998 sieht jedoch vor, daß innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge angenommen werden sollen. Daher werden Unterschiede in der Auslegungspraxis der Genfer Flüchtlingskonvention durch die Mitgliedstaaten Gegenstand intensiver Beratung sein.
     Daß in Deutschland trotz der Nichtanerkennung nichtstaatlicher Verfolgung keine Schutzlücke besteht, ist in der Entscheidung des Court of Appeal nicht hinreichend beachtet worden. Den Asylbewerbern kann gemäß § 53 Abs. 6 des AuslG Abschiebungsschutz auch in Fällen nichtstaatlicher Verfolgung gewährt werden, wenn mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit verbunden wäre."97

     36. Die Bundesregierung äußerte sich auf die Kleine Anfrage der Fraktion der PDS zu dem Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland und in der EU98 mit Bezug auf die Verfahrensgarantien im Asylrecht. Sie stellte darin klar, daß in der Entschließung vom 20. Juni 1995 über Mindestgarantien für Asylverfahren der Rat Justiz und Inneres bestimmt habe, daß für den Fall eines ablehnenden Bescheids auf einen Asylantrag durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorzusehen sei, daß Rechtsmittel bei einem Gericht oder einer Überprüfungsinstanz, die in voller Unabhängigkeit alle Asylanträge einzeln, objektiv und unparteiisch prüft, eingelegt werden könne. Der Bundesregierung seien die verschiedenen Institutionen zur Einlegung von Rechtsmitteln in den EU-Mitgliedstaaten bekannt. Die Bundesregierung gewährleiste, daß die notwendigen Informationen über Rechtsmittel für Asylbewerber in Deutschland bereitgestellt werden. Sie sei jedoch für die amtliche Veröffentlichung über Rechtsmittel anderer Mitgliedstaaten nicht zuständig.

     37. Auf eine Kleine Anfrage äußerte sich die Bundesregierung auch zu dem Problem der Umsetzung der Altfallregelung für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt.99 Anlaß der Anfrage war der Beschluß auf der 159. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 18./19. November 1999 in Görlitz, in dem die Minister ein Bleiberecht für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt beschlossen haben. Nach Ansicht der die Anfrage einbringenden Fraktion der PDS folge diese Altfallregelung in erster Linie dem Leitgedanken der Rückführung und Abschiebung von Flüchtlingen und betone, daß es kein Bleiberecht für Bürgerkriegsflüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber gebe.

     Die Bundesregierung stellte zu diesem Beschluß fest, daß er auf Grundlage von § 32 des AuslG, also durch Anordnung der obersten Landesbehörden umgesetzt werde. Nach ihrer Einschätzung würden etwa 23.000 Personen von der Regelung begünstigt werden. Im Hinblick auf jugoslawische Staatsangehörige bestehe zwischen den Innenministern und -senatoren des Bundes und der Länder Einigkeit darüber, daß sie, wenn sie in Deutschland kein Bleiberecht haben, in ihre Heimat zurückkehren müssen.100

     Von den Angehörigen derjenigen Staaten, mit denen ein Rückübernahmeabkommen bestehe, seien die aus Bosnien und Herzegowina sowie der Bundesrepublik Jugoslawien von den Regelungen des Beschlusses ausgeschlossen. Grundsätzlich sehe die Regelung vor, daß der Lebensunterhalt der Familie oder der alleinstehenden Person, die die Altfallregelung in Anspruch nehmen wolle, am 19. November 1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert sein müsse. In besonderen Härtefällen könnten jedoch Ausnahmen bei Auszubildenden, Ausländerfamilien mit Kindern, Alleinerziehenden mit kleinen Kindern sowie erwerbsunfähigen Personen gemacht werden.101

     Unbegleitete Minderjährige würden von der verabschiedeten Altfallregelung, ebenso wie von der vorausgegangenen Altfallregelung aus dem Jahre 1996, nicht erfaßt. Dies sei so geregelt worden, um jeden Anreiz dafür auszuschließen, daß Eltern ihre Kinder mit dem Ziel nach Deutschland schicken, um die Voraussetzungen für den eigenen Zuzug zu schaffen. Unbegleitete Minderjährige erhielten daher keine Aufenthaltsbefugnis. Gegenüber Personen, die nach § 53 AuslG auch weiterhin nicht abgeschoben werden können, kämen die Bestimmungen des Ausländerrechts zur Anwendung.102

     38. Mehrere Kleine Anfragen im Berichtszeitraum hatten die Behandlung von Flüchtlingen aus der Bundesrepublik Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina zum Gegenstand.

     Zu der Frage von Härtefallregelungen für traumatisierte ehemalige Lagerhäftlinge aus Bosnien-Herzegowina führte die Bundesregierung aus,103 daß nach den Beschlüssen der Innenminister/-senatoren der Länder traumatisierte Personen, die deswegen seit dem 16. Dezember 1995 in andauernder medizinischer Behandlung stehen, zuletzt zurückgeführt werden sollen. Dieser Grundsatz werde von den Ländern übereinstimmend auch auf Personen angewendet, bei denen eine Traumatisierung erst nach dem Stichtag festgestellt wurde und deren Behandlung noch andauere.

     Die Bundesregierung halte diese Beschlüsse und die auf einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls beruhende Praxis der Länder für ausreichend, um die schutzwürdigen Belange der Betroffenen zu wahren.

     Auf die Frage, ob das Bundesamt für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge noch unmittelbar vor Beginn der NATO-Militärangriffe auf Jugoslawien Asylanträge albanischer Flüchtlinge abwies, stellte die Bundesregierung fest:

     "Entsprechung der Entwicklung der Lage im Kosovo vor dem Scheitern der Friedensbemühungen von Rambouillet ist das Bundesamt für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge in seiner Entscheidungspraxis sehr zurückhaltend verfahren. Entscheidungen ergingen danach nur nach sehr sorgfältiger Einzelprüfung. (...)
     Mit dem Rückzug der OSZE-Kräfte, dem Scheitern der Verhandlungen Richard Holbrooks über eine politische Lösung der Kosovo-Frage an der Haltung Serbiens und dem Beginn der NATO-Luftschläge, ist mit Wirkung vom 25. März 1999 morgens beim Bundesamt das zeitweise Ruhen der Verfahren - zeitweises Aussetzen der Entscheidungen - verfügt worden. Mit der Verfügung wurden alle Außenstellen des Bundesamtes angewiesen, 'alle Jugoslawien-Fälle (also Kosovo und restliches Jugoslawien) nicht zu entscheiden' und 'auch Zustellungen von Bescheiden ab sofort einzustellen'. (...)
    In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, daß aufgrund des Flugverbotes der jugoslawischen Fluglinien bereits seit Anfang September 1998 keine Rückführungen mehr nach Jugoslawien durchgeführt wurden."104

     In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage äußerte sich diese am 22. Juli 1999 zu der Zahl der Vertriebenen, die aus der Bundesrepublik Jugoslawien seit Jahresbeginn in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme gefunden haben.105 Im Rahmen von § 32 a AuslG seien insgesamt 14.641 Kosovo-Albaner aufgenommen worden. Außerdem hätten vom Bundesamt für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1999 insgesamt 17.834 Personen aus der Bundesrepublik Jugoslawien Asyl beantragt, darunter 14.839 Kosovo-Albaner.106

     In dieser Antwort stellte die Bundesregierung zudem fest, daß sie die frühzeitige freiwillige Rückkehr von Kosovo-Vertriebenen unterstütze. Bund und Länder seien sich einig, hierfür die bestehenden Förderprogramme REAG (Re-Integration and Emigration Program for Asylum Seekers in Germany) und GARP (Government Assisted Repatriation Program) zu nutzen. Die genannten Programme sähen die Übernahme der Transportkosten, die Auszahlung eines sogenannten Überbrückungsgeldes vor. Außerdem bereite die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration die ersten Rücktransporte auf dem Luftwege vor. Der erste Rücktransport sei am 8. Juli 1999 erfolgt.107

     Im übrigen teile die Bundesregierung die Einschätzung, daß auf der Grundlage der gemachten Erfahrungen im Zuge der Aufnahme von Kosovo-Albanern verbindliche Absprachen zwischen den EU-Mitgliedstaaten herbeigeführt werden müssen, damit in künftigen Fällen größerer Flüchtlingsströme von vornherein ein gemeinsames und solidarisches Handeln innerhalb der EU-Mitgliedstaaten erreicht werden kann.

     Nach Ansicht der Bundesregierung,

     "war (es) bedauerlich, daß die Verhandlungen in der EU über die Einrichtung eines Systems des vorübergehenden Schutzes und der Solidarität bei der Aufnahme und dem Aufenthalt von Vertriebenen bei Beginn der Krise nicht abgeschlossen waren. (...)
     Die Verhandlungen über die Einrichtung eines Systems des vorübergehenden Schutzes und Solidarität bei der Aufnahme und dem Aufenthalt von Flüchtlingen müssen mit Nachdruck vorangetrieben werden. Unter deutscher Präsidentschaft konnten auf dem Treffen der Justiz- und Innenminister am 12. Februar 1999 Fortschritte bei der EU-weiten Akzeptanz des Prinzips der Solidarität bei der Aufnahme und dem Aufenthalt der Vertriebenen erzielt werden."108

     39. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur ausländer- und asylpolitischen Zusammenarbeit mit Baltischen Staaten109 zählte die Bundesregierung auch ihre Hilfeleistung bei der Einrichtung von Institutionen zur Durchführung von Asylverfahren in den osteuropäischen Staaten auf. Nach der Antwort der Bundesregierung im Rahmen eines PHARE-Horizontal-Programms für Innere Angelegenheiten und Justiz Deutschland federführend in einem auf zwei Jahre angelegten Projekt beteiligt mit dem Ziel, die MOE-Staaten an den EU-Acquis im Asylbereich heranzuführen. Die Umsetzung erfolge gemeinsam mit Dänemark, Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweden und Spanien sowie mit dem UNHCR. Gerichtet sei das Projekt an die assoziierten Staaten Bulgarien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowenien, Slowakische Republik und Tschechische Republik.

     40. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage stellte die Bundesregierung zu dem Problem eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für Frauen und der Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe110 fest, daß eine Überarbeitung der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz erfolgt sei. Der Bundesrat habe mit Beschluß vom 9. Juli 1999111 dem Entwurf der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz mit der Maßgabe von Änderungen zugestimmt. Diese sehen u.a. vor, geschlechtsspezifische Rechtsgutverletzungen, wie z.B. systematische Vergewaltigungen oder andere schwerwiegende Formen sexueller Gewalt, bei der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 und 6 des AuslG zu berücksichtigen. Eine Änderung der §§ 51 und 53 AuslG sei jedoch nicht geplant, um geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe als Abschiebungshindernis aufzunehmen.112 Auch eine diesbezügliche Änderung des AsylverfG und der Art. 16 a GG seien nicht geplant.

     41. Im Berichtszeitraum nahm die Bundesregierung wiederholt Stellung zu Abschiebungen in die Türkei in ihren Antworten auf Kleine Anfragen der Fraktion der PDS.113

     In dem Fall eines kurdischen Asylbewerbers, der am 14. Juli 1998 in die Türkei abgeschoben wurde und der seit seiner Abschiebung dort inhaftiert ist, wies die Bundesregierung darauf hin,114 daß über Asylanträge des Bundesamtes für die Anerkennung Ausländischer Flüchtlinge durch weisungsunabhängige Einzelentscheidung im Rahmen der Prüfung des jeweils individuellen Einzelfalls entschieden werde. Diese Entscheidungen unterlägen der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung, die individuelle Verfolgungssituation sei vom genannten Bundesamt eingehend zu prüfen. Dabei seien alle verfügbaren Erkenntnisse, insbesondere auch die relevanten Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu berücksichtigen. Diese werden ständig aktualisiert.

     Im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft sei die Bundesregierung bestrebt, im Zuge der Annäherung der Türkei an die Europäische Union den Dialog mit der Türkei über die Probleme im Südosten der Türkei zu intensivieren. Die Bundesregierung mache dabei deutlich, daß Forderungen nach kultureller Eigenständigkeit nicht als Separation zu verstehen seien. Der Bundesregierung lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor, die auf rechtswidrige oder inhumane Haftbedingungen im Militärgefängnis von Izmir schließen lassen. Eine Möglichkeit zur konsularischen Betreuung bestehe aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit des Verhafteten nicht.115

     Nach den Protesten gegen die Entführung und Festnahme des Vorsitzenden der Kurdischen Arbeiterpartei PKK stellte die Bundesregierung im Hinblick auf einen geforderten Abschiebungsstop in die Türkei fest,116 daß ein entsprechender Stop von den Ländern, die gemäß Art. 83 GG das Ausländergesetz in eigener Verantwortung ausführen, angeordnet und die Zustimmung des Bundesministeriums des Innern zu einer entsprechenden Maßnahme beantragt werden müsse, dies aber bisher nicht geschehen sei. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Maßnahme werde zum gegenwärtigen Zeitpunkt von der Bundesregierung auch nicht gesehen:

     "Das Asylverfahren sieht, (...) eine Vielzahl von Rechtsmöglichkeiten zum Schutz der Asylbewerber vor. Nach abgeschlossenem Asylverfahren erfolgt eine Abschiebung nur dann, wenn kein Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG und keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG bestehen. Dies wird in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft."117

     Es gebe innerhalb der Bundesregierung keine konkreten Überlegungen zum Abschluß gesonderter bilateraler Vereinbarungen mit Drittstaaten zur Rückführung von Kurden. Im März 1999 wurden im Rahmen des deutsch-türkischen Briefwechsels aus dem Jahre 1995 bisher 34 Personen in die Türkei abgeschoben. Bei diesen Abschiebungen sei der Bundesregierung bisher kein Fall bekannt geworden, in dem die abgegebenen Garantien nicht eingehalten worden wären.118

     Die Bundesregierung gehe jedem Hinweis auf Mißhandlung im Einzelfall nach. Aufgrund von Angaben von Nichtregierungsorganisationen geht die Bundesregierung davon aus, daß Mißhandlung und Folter in der Türkei immer noch vorkommen: "Versprechen und Bemühungen der türkischen Regierung um Unterbindung dieser auch nach türkischem Recht strafbaren Praktiken haben bislang keinen durchgreifenden Erfolg gehabt." Der Bundesregierung sei bekannt, daß türkische Sicherheitskräfte landesweit gegen mutmaßliche Anhänger der PKK vorgehen.119

     Im übrigen stellte die Bundesregierung fest, daß die Abschiebungen in die Türkei im Januar 1999 538 Personen, im Februar 1999 468 Personen, im März 1999 601 Personen betrafen.120

     In einer weiteren Antwort auf eine Kleine Anfrage wies die Bundesregierung darauf hin, daß die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bei ihrer letzten Sitzung am 18./19. November 1999, eine Arbeitsgruppe mit dem Auftrag eingesetzt habe, Vorschläge für die zeitgerechte Rückführung ausreisepflichtiger Personen zu erarbeiten.121 Außerdem sei am 9. November 1999 erstmalig ein gemeinsamer Ausschuß hoher Beamter auf der Grundlage des deutsch-türkischen Briefwechsels vom 10. März 1995 zusammen getreten, um Verfahrensfragen zu klären. Dies sei notwendig geworden, nachdem die Verantwortung deutscher Anfragen durch die Türkei nur noch schleppend und zuletzt gar nicht mehr erfolgt sei.122

     Die Vereinbarung vom 10. März 1995 habe aber ihren Zweck, deutschen Ausländerbehörden die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Entscheidung über eine Abschiebung von Personen, die im Zusammenhang mit der PKK und anderen Terrororganisationen an Straftaten in der Bundesrepublik beteiligt waren, auf eine breitere Grundlage zu stellen, erfüllt. Die Bundesregierung beabsichtige daher, das mit dem deutsch-türkischen Briefwechsel verabredete Verfahren weiterzuführen.123

     Zu den vom Auswärtigen Amt erstellten Berichten über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in einer Reihe von Staaten im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG und den §§ 14 und 99 Verwaltungsgerichtsordnung bemerkte die Bundesregierung, daß bei ihrer Erstellung sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen herangezogen würden. Dies gelte insbesondere für Erkenntnisse lokaler Menschenrechtsgruppen. Darüber hinaus tausche das Auswärtige Amt bei Bedarf in vierteljährlichen Sitzungen mit Vertretern der großen Nichtregierungsorganisationen und dem UNHCR Informationen über die Lage in den einzelnen Herkunftsländern aus. Die Lageberichte seien nach wie vor als "Verschlußsache - nur für den Dienstgebrauch" eingestuft. Nur dieses restriktive Weitergabeverfahren stelle sicher, daß die Berichte ohne Rücksichtnahme auf außenpolitische Interessen formuliert werden können.124

     42. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage, die sich mit der Abschiebung hier aufgewachsener Migrantinnen und Migranten beschäftigt,125 legte die Bundesregierung dar, daß es nicht Aufgabe deutscher Behörden sei, dem Verbleib abgeschobener Personen in ihrem Heimatland routinemäßig nachzugehen. Würden jedoch nach einer Abschiebung konkrete Menschenrechtsverletzungen behauptet, gehe das Auswärtige Amt diesen Vorwürfen nach.

     43. Im Berichtszeitraum nahm die Bundesregierung wiederholt zum Tod eines abgelehnten sudanesischen Asylbewerbers bei der Abschiebung Stellung.126 Dieser, ein 30jähriger Sudanese, war am 28. Mai 1999 an Bord einer Lufthansa-Maschine auf dem Flug von Frankfurt/Main nach Kairo verstorben, als er aus Deutschland über Ägypten in den Sudan abgeschoben werden sollte. Nach Presseangaben soll sich der Asylbewerber heftig gegen seine Abschiebung gewehrt haben, weshalb ihm von Beamten des Bundesgrenzschutzes ein Motorradhelm aufgesetzt worden, er an Händen und Füßen gefesselt und beim Start der Maschine sein Kopf nach unten gedrückt worden sein soll.

     Die Bundesregierung bemerkte dazu, daß sie den Innenausschuß sowie den Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages ausführlich über den Tod des sudanesischen Staatsangehörigen unterrichtet habe. Sie werde aber keine Fragen beantworten, die Gegenstand laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen seien.127

     Zu dem Problem von Fesselungs- und Knebelungsmethoden bei Abschiebungen bemerkte die Bundesregierung, daß es keine Vorschrift gebe, die bestimmte Mittel und Methoden für bestimmte Situationen bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges vorsehe. Auch das "Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes" (UZwG) enthalte keine derartige Regelung. Eine solche Regelung sei auch nicht sinnvoll, da es den eingesetzten Polizeivollzugsbeamten nicht mehr möglich wäre, einzelfallbezogen, situations- und lageangemessen zu reagieren. Verboten sei jetzt aber, die Verwendung von Integralhelmen bei Rückführungen ausländischer Staatsangehöriger.128

     Die Beurteilung der Frage, ob bei einer Rückführung eine ärztliche Begleitung erforderlich sei, obliege grundsätzlich der zuständigen Ausländerbehörde. Unabhängig davon könne auch der Bundesgrenzschutz im Einzelfall einen Arzt hinzuziehen, wenn sich bei der Übernahme des/der Rückzuführenden Anhaltspunkte für seine/ihre Flugreiseuntauglichkeit ergeben. Je nach Ergebnis der ärztlichen Untersuchung werde die Maßnahme abgebrochen oder - gegebenenfalls mit ärztlicher Begleitung - vollzogen. Bei Sammelrückführung fände immer eine Begleitung durch ärztliches Personal statt.129

     Die Qualifizierung der Einsatzkräfte des Bundesgrenzschutzes, die an Rückführungen teilnehmen, erfolge durch einen fünftägigen Fortbildungslehrgang.130

     Zu den Konsequenzen, die sich aus dem Tod des sudanesischen Staatsangehörigen für Polizei und Bundesgrenzschutz ergäben, erklärte Bundesinnenminister Schily vor dem Innenausschuß, daß der Grundsatz "keine Abschiebung um jeden Preis" nicht als erneute Diskussion über das "Ob" einer Abschiebung mißverstanden werden dürfe. Es dürfe keinesfalls der Eindruck vermittelt werden, besonders gewalttätige und wehrhafte Personen könnten bei einer Abschiebung durch ihr Verhalten mit der Aussetzung oder Aufhebung des Abschiebeverfahrens belohnt werden. Die übergreifende Zustimmung zur Aussetzung des Abschiebeverfahrens nach dem Todesfall sei erfolgt, um eine ordentliche Klärung des Vorfalls zu erreichen, um notwendige Änderungen in der Abschiebepraxis zu gewährleisten und um die überwiegend jungen Beamten des Bundesgrenzschutzes bei ihrer Aufgabenwahrnehmung vom Druck des Ermittlungsverfahrens zu entlasten.131

     Der Minister betonte jedoch, daß es keine "Rückführung um jeden Preis" geben dürfe. Die freie Atmung abgeschobener Personen müsse unbedingt gewährleistet sein. Die Berücksichtigung einschlägiger Symptome von Atmungsproblemen werde künftig durch entsprechende Schulung und Fortbildung vermittelt werden. Im übrigen habe jede Person, die abgeschoben werde, gleichgültig ob sie sich zur Wehr setzte oder im Vorwurf krimineller Tätigkeit stehe, das Recht auf korrekte Behandlung und das Recht auf Unversehrtheit und Leben.132

     44. Im Zusammenhang mit der Abschiebepraxis durch den Bundesgrenzschutz standen auch zahlreiche Kleine Anfragen zu Abschiebungen auf dem Luftweg.133

     Auf die Frage, welcher Staat bei Flugzeugen, die im Besitz eines anderen Staates seien, die Rechtshoheit an Bord habe, antwortete die Bundesregierung, daß

     "(d)a Luftfahrzeuge nach dem Völkerrecht nicht Teil des Territoriums ihres Heimatstaates seien, sei für die Beantwortung der Frage, welches Recht zur Anwendung komme, der Aufenthaltsort eines Luftfahrzeugs von entscheidender Bedeutung. Der in Art. 1 des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt zum Ausdruck kommende Territorialitätsgrundsatz unterwerfe jedes Luftfahrzeug zuallererst dem jeweiligen Recht des Staates, in dessen Territorium es sich aufhalte. Daneben gelte gewohnheitsrechtlich jedoch auch das Recht des Heimatstaates des Luftfahrzeugs (sog. Flaggenrechtsprinzip)."134

     Für den Bereich des Strafrechts gelte ebenfalls grundsätzlich das nationale Recht des jeweiligen Staates, in dem sich das Luftfahrzeug aufhalte. Mit dem Tokyoter Abkommen von 1963 werde die Zuständigkeit des Eintragungsstaats des Luftfahrzeugs für die an Bord begangenen strafbaren oder anderen Handlungen anerkannt und dem Luftfahrzeugführer weitreichende Kompetenzen bei der Ausübung von Zwangsmaßnahmen eingeräumt. In § 29 Abs. 3 LuftverkehrsG sei die "Bordgewalt" des Luftfahrzeugführers geregelt. Rechtlich handele es sich um eine Beleihung des Luftfahrzeugführers mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Die Bordgewalt beginne mit dem Schließen der Außentüren des Luftfahrzeugs und ende mit deren Öffnung. Gemäß den genannten Regelungen des Tokyoter Abkommens sei die Bordgewalt nicht auf den deutschen Luftraum beschränkt.135

     Zudem unterlägen ihr alle an Bord befindlichen Personen, d.h. auch die an einer Rückführung beteiligten Polizeivollzugsbeamten. Die polizeilichen Befugnisse dieser Beamten endeten damit mit dem Schließen der Außentüren des Flugzeuges; die Beamten seien daher ab diesem Zeitpunkt im Hinblick auf ihre Rechte und Befugnisse den übrigen Passagieren gleichgestellt. Ihr Tätigwerden sei daher von einer Aufforderung oder Ermächtigung durch den Luftfahrzeugführer abhängig.136

     Im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis zum 30. September 1999 seien 3.951 ausländische Staatsangehörige mit ausländischen Fluggesellschaften rückgeführt worden.137 Im Zeitraum von Januar bis November 1999 seien insgesamt 27.025 Abschiebungen von deutschen Flughäfen aus durchgeführt worden. Abschiebungen mit Charterflügen seien nach Nigeria, Togo und Rumänien durchgeführt worden. Von Januar bis November 1999 seien 3.608 Abschiebungen in Begleitung des Bundesgrenzschutzes bzw. Begleitkräften der Länder durchgeführt worden; im selben Zeitraum seien 19.671 Personen unbegleitet abgeschoben worden.138

     45. Die finnische Vertreterin Liira äußerte sich im dritten Komitee bei der 54. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Namen der Europäischen Union am 12. November 1999 zu dem Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen.139 Sie führte aus:

     "This year we are still witnessing the figure of more than 21 million people of concern to the organisation, even though the number is gradually decreasing. Refugee flows are no longer solely the outcome of military conflicts. They are often the explicit goal of parties striving for ethnic uniformity or control of natural resources. Extensive refugee flows and other mass movements of people increase instability, also beyond the boarders of the country of departure. (...)
     In the area of protection and security, there is a need to build new types of partnership to guarantee the required protection of displaced persons and humanitarian assistance. The European Union firmly believes that the neutrality and independence of humanitarian actions have to be preserved in all circumstances. At the same time, the International Community should be ready to take necessary action to ensure safe conditions for organisations such as the UNHCR."

     Sie fuhr mit der Feststellung fort, daß

     "States have primary responsibility for the prevention of involuntary displacement and for creating conditions for the voluntary return of their citizens in safety and dignity. Return should also be supported by the improvement of human rights, monitoring both nationally and internationally.
     Those forced to flee their home country often first settle nearby. While recognising the need for international solidarity and burden-sharing, the European Union wishes to reiterate that the primary responsibility for the protection of refugees lies with the host country. International human rights obligations, including the principle of non-refoulement, should be respected in all circumstances. The European Union condemns the forced return and expulsion of refugees."



    95 Vgl. dazu NJW 32 (1999), XLV f.

    96 BT-Drs. 14/1679, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke und der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/1558.

    97 Ibid., 2.

    98 BT-Drs. 14/2477, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke und der Fraktion der PDS.

    99 BT-Drs. 14/2433, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke, Pau und der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/2322.

    100 Ibid., 2.

    101 Ibid., 3.

    102 Ibid., 4; vgl. zur Altfallregelung von Flüchtlingen auch die Antworten der Bundesregierung in BT-Drs. 14/1072 und BT-Drs. 14/1453.

    103 BT-Drs. 14/752, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke, Heidemarie Lüth, Petra Pau und der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/690. Zur Praxis der Abschiebung traumatisierter Personen nach Bosnien-Herzegowina im Jahr 1998, vgl. Raible (Anm. 1), Ziff. 39.

    104 BT-Drs. 14/1046, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke und der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/802.

    105 BT-Drs. 14/1445, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schlee, Erwin Maschewski, Wolfgang Zeitelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, BT-Drs. 14/1285.

    106 Ibid., 2.

    107 Ibid., 5.

    108 Ibid., 8 f.

    109 BT-Drs. 14/362, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pau, Jelpke und der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/362.

    110 BT-Drs. 14/2052, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke, Bläss und der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/1883.

    111 BR-Drs. 350/99.

    112 Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung vom 12.5.1999, BT-Drs. 14/1058.

    113 BT-Drs. 14/367; BT-Drs. 14/734; BT-Drs. 14/1098; BT-Drs. 14/2463.

    114 BT-Drs. 14/367.

    115 Vgl. zu diesem Fall bereits die Anfrage der Bundesregierung vom 1.10.1998, BT-Drs. 13/11456; vgl. dazu auch Raible (Anm. 1), Ziff. 46.

    116 BT-Drs. 14/734.

    117 Ibid., 1.

    118 Ibid., 5.

    119 Ibid., 6.

    120 BT-Drs. 14/1098, 2.

    121 BT-Drs. 14/2463.

    122 Ibid., 3.

    123 Ibid., 4.

    124 Ibid., 6.

    125 BT-Drs. 14/2221.

    126 Vgl. BT-Drs. 14/1477; BT-Drs. 14/1890.

    127 BT-Drs. 14/1477.

    128 Ibid., 2.

    129 Ibid., 4.

    130 Ibid., 5.

    131 Blickpunkt Bundestag 9/99, 51.

    132 Ibid.

    133 Vgl. BT-Drs. 14/1454; BT-Drs. 14/2408; BT-Drs. 14/2462.

    134 BT-Drs. 14/1454, 1.

    135 Ibid., 2.

    136 Ibid., 3.

    137 BT-Drs. 14/2408.

    138 BT-Drs. 14/2462.

    139 Permanent Mission of Finland to the United Nations (Anm. 3):http://www.un.int/finland/euspeechUNHCR.cfm.