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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.10. AUFENTHALTSGESETZ/EWG

§1 Abs.1

Nr.89/2

[a] Die Erwerbsunzucht ist nicht Gegenstand der im EWG-Vertrag geregelten Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit und begründet daher kein Recht auf Freizügigkeit gemäß §1 Abs.1 Nr.2 AufenthaltsG/EWG.

[b] Prostituierte aus anderen EG-Mitgliedstaaten dürfen auch dann zum Schutz der öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden, wenn gegen deutsche Prostituierte nicht in vergleichbarer Weise durchgegriffen wird.

[a] The prostitution for the purpose of earning a livelihood is not covered by the EEC Treaty provisions on the free movement of workers or the freedom of establishment. Hence, it cannot give rise to a right to free movement according to §1 (1) No.2 of the Act on the Residence of EC nationals.

[b] Prostitutes from other EC member states may be expelled for public policy reasons even though no similar action is taken against German prostitutes.

Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluß vom 11.7.1989 (Bs V 14/89), NVwZ 1990, 286 (ZaöRV 51 [1991], 221)

Einleitung:

      Mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung wurde die Antragstellerin, eine französische Staatsangehörige, wegen Erwerbsunzucht ausgewiesen. Ihr Versuch, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs zu erreichen, blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Der Widerspruch der Antragstellerin wird ... aller Vorausicht nach ohne Erfolg bleiben ...
      Die Widerspruchsbehörde wird sich ohne Rechtsfehler auch die in der Ausweisungsverfügung angestellten Ermessenserwägungen, aufgrund derer die Ausweisung sowohl im Interesse der öffentlichen Ordnung als auch aus generalpräventiven Gründen von der Antragsgegnerin für geboten gehalten wird, zu eigen machen können. Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn die Antragstellerin in den Schutzbereich des Aufenthaltsgesetzes der EWG fiele mit der Folge, daß die - u.a. - eine Ausweisung beschränkende Vorschrift des §12 dieses Gesetzes auf sie Anwendung fände. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Erwerbsunzucht ist keine selbständige Erwerbstätigkeit i.S. des §1 Abs.1 Nr.2 AufenthaltsG/EWG, die als begünstigter Aufenthaltszweck hier allein in Betracht kommt. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an (vgl. BVerwGE 60, 284 ...), nach der es sich bei der Erwerbsunzucht zwar nicht um eine verbotene oder strafbare, wohl aber um eine sittenwidrige und in verschiedener Hinsicht sozialwidrige Tätigkeit handelt, die nicht Gegenstand der im EWG-Vertrag geregelten Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit ist. Diese Auslegung steht entgegen der Ansicht des VGH Kassel [1842.10.(89/1)] ... nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, insbesondere zu dessen Urteil vom 18.5.1982 ... Der EuGH hat sich darin nur mit der Auslegung des in den Art.48 und 56 EWGV enthaltenen und die dort gewährten Freizügigkeitsrechte einschränkenden Vorbehalts der öffentlichen Ordnung (vgl. §12 Abs.1 AufenthaltsG/EWG) befaßt und in diesem Zusammenhang ausgeführt, eine darauf gestützte Ausweisung sei gegenüber dem Angehörigen eines EG-Mitgliedstaates nur dann mit Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn gegen eigene Staatsangehörige in gleicher Weise vorgegangen werde. Die vorrangige Frage, inwieweit Prostituierte überhaupt in den Schutzbereich des EWG-Vertrages fallen, stellte sich in jenem Verfahren gar nicht, weil die Betroffene (offenbar neben ihrer Tätigkeit als Prostituierte) als Arbeitnehmerin beschäftigt war und als solche unmittelbar unter die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Vertrages nach Art.48 fiel ... Auch wenn der EuGH den Begriff der wirtschaftlichen Betätigung und des Wirtschaftslebens, zu dessen Entwicklung und Ausweitung die EWG gegründet worden ist, weit auslegt und darunter grundsätzlich jede Tätigkeit versteht, die gegen Entgelt erbracht wird ..., so wird man davon mit dem Bundesverwaltungsgericht diejenigen Tätigkeiten ausscheiden können, die - wie die Prostitution - zwar weitgehend toleriert, aber allgemein doch nicht als "gewöhnliche" wirtschaftliche Betätigungen angesehen werden, welche nach den Grundsätzen der Handlungs- und Berufsfreiheit sowie der Chancengleichheit jedermann im Bereich der EWG offenstehen sollen ...