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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2001


II. Forschungsvorhaben

G. Einwanderungsrecht und Flüchtlingsrecht

1. Einwanderungsrecht - national und international

Das Institut hat ferner im Berichtszeitraum das im vergangen Jahr von der SPD-Bundestagsfraktion in Auftrag gegebene Gutachten zum Einwanderungsrecht ausgewählter Staaten und seinen internationalrechtlichen Vorgaben fertiggestellt und veröffentlicht. Der von Prof. Wolfrum und PD Dr. Giegerich herausgegebene, im Verlag Leske&Buderich unter dem Titel "Einwanderungsrecht - national und international" erschiene Band stellt die rechtliche Kriterien dar, anhand derer die Staaten die zur dauernden Niederlassung kommenden Ausländer auswählen und untersucht die rechtlichen Mechanismen, mit deren Hilfe diese Einwanderer integriert werden. Nach einer Darstellung des völker- und europarechtlichen Rahmens, der bei der Neugestaltung des deutschen Einwanderungsrechts einzuhalten ist, wird das Einwanderungsrecht der als Referenzmodelle ausgewählten europäischen (Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz, Spanien, Vereinigtes Königreich) und außereuropäischen (Australien, Kanada, Neuseeland, Südafrika, USA) Staaten näher analysiert. Die Untersuchung arbeitet damit sowohl die völker- und europarechtlichen Vorgaben als auch das rechtsvergleichende Umfeld heraus, in das sich ein künftiges deutsches Zuwanderungsgesetz einfügen wird.

Für die nationalen Modelle einer rechtlichen Steuerung der Immigration erweist sich als bedeutsam die Trennung von formellen "bekennenden" Einwanderungsländern und informellen faktischen Einwanderungsländern, die das Phänomen erfolglos zu negieren versuchen: Während die ersteren das Einwanderungsrecht als Instrument zur Steuerung des erwünschten Zuzugs von Ausländern aktiv einsetzen (Einwanderungsrechtsmodell), verstehen die letzteren das Ausländerrecht als Sonderpolizeirecht, um die Gefahren aus der atypischen, letztlich unerwünschten, aber pragmatisch hingenommenen Anwesenheit von Ausländern abzuwehren (Ausländerrechtsmodell). Dabei verfügen die bekennenden Einwanderungsländer i.d.R. über ein bewährtes Auswahlsystem, während die faktischen Einwanderungsländer auf Behelfslösungen und ad hoc-Entscheidungen zurückgreifen müssen, die in keine längerfristige Perspektive eingebunden sind. Nach den Erfahrungen der bekennenden Einwanderungsländer kann die geregelte Zulassung einer legalen die illegale Zuwanderung nicht verhindern, sondern nur vermindern. In einigen Staaten werden "Amnestien" durch Sondergesetze immer wieder als notwendig angesehen, um illegale Einwanderer zu legalisieren. Ein effektives internationales Regime zur Steuerung der Migrationsströme u.a. durch Bekämpfung von Fluchtursachen gibt es bisher nicht.

Die staatliche Entscheidung über die (Nicht-) Zulassung von Zuwanderern gilt in völkerrechtlicher Perspektive traditionell als Ausfluß staatlicher Souveränität, der die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes aber gewisse Grenzen gezogen hat. Für die Behandlung einmal zugelassener Einwanderer enthält das Völkerrecht strengere Vorgaben: Ihr freiheitsrechtlicher Status ist durch die internationalen Menschenrechtsabkommen demjenigen der Inländer angenähert. Das Europäische Gemeinschaftsrecht seinerseits legt die EU-Mitgliedstaaten auf eine Unterscheidung von EU-Ausländern und Drittausländern fest. EU-Ausländer genießen samt ihren Familienangehörigen, selbst wenn diese aus Nichtmitgliedstaaten stammen, in weitem Umfang Inländergleichbehandlung, auf der europäischen und der kommunalen Ebene sogar hinsichtlich der demokratischen Beteiligungsrechte. Dagegen haben die Angehörigen der meisten Drittstaaten kein Einreiserecht.

Wie die Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen zeigt, obliegt die Festlegung der Grundregeln der Einwanderungspolitik dem parlamentarischen Gesetzgeber, doch verfügt die Exekutive durchweg über Ermessensspielräume. Die Regelungsdichte der gesetzlichen Bestimmungen und folglich der exekutive Ausführungs- und Vollzugsspielraum ist aber sehr unterschiedlich. Teilweise gibt das Parlamentsgesetz nur einen Rahmen vor, der durch ausführendes Verordnungsrecht der Exekutive ausgefüllt wird; teilweise enthält es sehr detaillierte Regelungen. Auch die Weite des den Exekutiven eingeräumten Vollzugsspielraums weicht erheblich voneinander ab. Einige Staaten haben versucht, die Einwanderungsvoraussetzungen mit beinahe mathematischer Genauigkeit über ein Punktesystem festzulegen. Die meisten Länder folgen indessen einem flexibleren "System der ermessensleitenden Gesetzesbestimmungen": Sie stellen abstrakte normative Zulassungskriterien auf, deren wertende Anwendung auf den Einzelfall der Exekutive obliegt.

Hauptformen der Einwanderung sind in allen untersuchten Staaten die Familieneinwanderung im sozialen Interesse, die Erwerbseinwanderung im wirtschaftlichen Interesse und die Flüchtlingseinwanderung im humanitären Interesse. Die temporäre Zuwanderung ist vor allem bei Erwerbswilligen entweder rechtlich notwendiges oder faktisch regelmäßiges Durchgangsstadium für die Dauereinwanderung. Bedürftigkeit gilt regelmäßig als Grund für die Ablehnung von Einreisegesuchen; tritt sie nachträglich ein, kann der Aufenthaltsstatus verloren gehen, soweit dem nicht völkervertragliche Bindungen entgegenstehen. Der Familiennachzug wird in erheblichem Umfang zugelassen, obwohl eine entsprechende völkerrechtliche Verpflichtung nur in Ausnahmefällen übernommen wird. Mitunter müssen sie jedoch Bestimmungen ihrer Verfassung zum Schutz der Familie beachten. Die zur Einwanderung in Frage kommenden Familienangehörigen werden nach der Nähe ihrer verwandschaftlichen Beziehungen zu einem Inländer bzw. dauerhaft im Inland ansässigen Ausländer bestimmt. Familiennachzugsregelungen erfassen meist nur die Mitglieder der Kernfamilie (in erster Linie Ehegatten und Kinder). Die Einbeziehung nichtehelicher, insbesondere gleichgeschlechtlicher Lebenspartner ist unterschiedlich geregelt. Die Gewährung eines nur unselbständigen, abgeleiteten Aufenthaltsstatus kann Familienmitglieder in eine ausweglose Abhängigkeit vom primär Aufenthaltsberechtigten bringen; dies gilt vor allem für Ehefrauen nach dem Scheitern der Ehe.

Die Erwerbseinwanderung Unselbständiger und Selbständiger hängt von der Erfüllung regelmäßig genau festgelegter Voraussetzungen ab. Je größer die beruflichen Fähigkeiten, desto größer die Zulassungschance. Unselbständige Erwerbseinwanderer erhalten ein Einwanderungsvisum i.d.R. nur nach Erteilung einer Arbeitserlaubnis, die ein konkretes Stellenangebot voraussetzt. Zum Schutz des heimischen Arbeitsmarktes vor ausländischer Konkurrenz wird eine Arbeitserlaubnis nur erteilt, wenn das Angebot an bereits im Inland ansässigen Arbeitskräften nicht ausreicht. Zur Vermeidung "unlauteren Wettbewerbs" wird darauf geachtet, daß die Beschäftigungsbedingungen für Ausländer die für einheimische Arbeitnehmer üblichen Standards nicht unterschreiten. Die Einwanderung von Unternehmern dient als Mittel der Wirtschaftsförderung gerade auch zugunsten strukturschwacher Gebiete.

Die Familien- und Erwerbseinwanderung einerseits und die Flüchtlingseinwanderung andererseits werden zumeist getrennt geregelt, doch betreiben manche Staaten eine einheitliche Migrationspolitik. Es gibt keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Asylgewährung, sondern nur Verbote der Zurückweisung von Flüchtlingen in Verfolgerstaaten und der Abschiebung in Staaten, in denen unmenschliche Behandlung droht. Einen verfassungsrechtlichen Asylanspruch kennen die untersuchten Staaten nicht; sie versuchen, die Flüchtlingseinwanderung möglichst zu begrenzen. Man will insbesondere vermeiden, daß ein und dieselbe Person um Aufenthaltsgewährung gleichzeitig als Flüchtling und sonstiger Einwanderer nachsucht. Unerwünscht ist es auch, daß erfolglose Asylbewerber im Inland bleiben und von dort aus eine Einwanderungsbewilligung mit anderer Begründung beantragen. Wird zwar kein Asyl, aber ein längerfristiger Abschiebungsschutz gewährt, kann eine Ausreisepflicht als Voraussetzung der Statusanpassung eine große Härte bedeuten, die einige Staaten durch Härteregelungen aufzufangen versuchen. In manchen Staaten wird die durch sachliche Auswahlkriterien schon stark gefilterte Einwanderung durch jährliche Höchstzahlen (Quoten) weiter begrenzt. Der Sache nach legen Quoten ein Anliegen offen, das in anderen Staaten ins einwanderungsbehördliche Ermessen eingeht: die Rücksichtnahme auf Überfremdungsängste in Teilen der einheimischen Bevölkerung.

Die grundlegenden Freiheitsrechte der Verfassungen und der völkerrechtlichen Menschenrechtsverträge kommen als Menschenrechte regelmäßig Ausländern ebenso wie Inländern zugute. Politische Rechte, teilweise auch politisch relevante Freiheitsrechte (z.B. Vereinigungsfreiheit) werden Einwanderern vor ihrer Einbürgerung dagegen nur eingeschränkt gewährt. Besonders zurückhaltend sind die Staaten bei der Einräumung demokratischer Beteiligungsrechte (Wahlrecht) und beim Zugang zum öffentlichen Dienst. Das Europäische Gemeinschaftsrecht erlegt ihnen jedoch auch in dieser Hinsicht Verpflichtungen auf. Gewöhnlich verbieten es die Diskriminierungsverbote der Verfassungen der Staatsgewalt nicht ausdrücklich, Unterscheidungen an die Staatsangehörigkeit anzuknüpfen. Ob im Einzelfall aufgrund der Ausländereigenschaft Rechte vorenthalten oder besondere Pflichten auferlegt werden dürfen, hängt regelmäßig davon ab, ob die Staatsangehörigkeit einen hinreichend gewichtigen sachlichen Anknüpfungspunkt für die spezifische Unterscheidung bietet. Das Völkerrecht kennt kein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit - anders als für seinen Anwendungsbereich der EG-Vertrag nach Art. 12. Auch die internationalen Menschenrechtsabkommen untersagen Unterscheidungen bzw. Diskriminierungen zulasten von Ausländern als solche nicht ausdrücklich, sondern nur die Anknüpfung an die Rasse, Sprache, nationale Herkunft etc., freilich generalklauselartig auch an den "sonstigen Status", der durch die Staatsangehörigkeit mit bestimmt wird.

Zur Integration von Ausländern in die Wirtschaft und Gesellschaft des Aufnahmelandes muß gewährleistet sein, daß sie weder vor noch nach ihrer Einbürgerung Opfer von Diskriminierungen durch Privatpersonen werden. Dazu bedarf es effektiv durchsetzbarer privatwirksamer gesetzlicher Verbote der Diskriminierung aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft, Religion, Sprache und Staatsangehörigkeit, die ihrerseits freilich gebührende Rücksicht auf die Grundrechte der privaten Verbotsadressaten nehmen müssen. Um in einer kulturpluralistischen Einwanderungsgesellschaft den gesellschaftlichen Grundkonsens herzustellen, kann auf die allen untersuchten Staaten als unverzichtbar erscheinenden Grundwerte der europäisch-atlantischen Verfassungsstaatlichkeit zurückgegriffen werden: individuelle Freiheits- und Gleichheitsrechte, pluralistische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit. Einwanderern wird danach keine Assimilation, sondern nur - aber immerhin - ein im gesamtgesellschaftlichen Interesse unerläßliches Maß an Integration abverlangt. Die erfolgreiche Eingliederung der Immigranten in die Gesellschaft wird inzwischen zumeist als Aufgabe erkannt, die im Allgemeininteresse liegt und daher politischer Steuerung und finanzieller Unterstützung durch den Staat bedarf. Die Bemühungen um die Integration von Daueraufenthaltern sind in den letzten Jahren in vielen Staaten verstärkt worden.

Der Aufenthaltsstatus von ausländischen Einwanderern ist nie unantastbar; erst mit ihrer Einbürgerung erwerben sie ein - abgesehen von der nur ausnahmsweise zulässigen Wiederausbürgerung - unentziehbares Aufenthaltsrecht im Zielland. Die Staaten behalten sich immer vor, Ausländer etwa im Interesse ihres ordre public, aber auch aus anderen Gründen auszuweisen. Einige völkerrechtliche Verträge ziehen dem diesbezüglichen Ermessen der Staaten gewisse Grenzen. Obwohl sich weder aus dem Völkerrecht noch aus dem EG-Recht Einbürgerungsansprüche ableiten lassen, läuft die Dauereinwanderung regelmäßig auf eine Einbürgerungsoption zu. Sind die rechtlichen oder faktischen Hürden vor einer Einbürgerung hoch, ist der Anteil von Ausländern an der Wohnbevölkerung relativ groß: Politische Gesellschaft und Zivilgesellschaft klaffen dann deutlich auseinander, und im demokratischen System entsteht eine Legitimationslücke. Teilweise setzt die Einbürgerung eine Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit oder zumindest ein entsprechendes Bemühen voraus, teilweise wird die Mehrstaatigkeit akzeptiert. Für Ausländer der zweiten und folgenden Generationen, deren Eltern sich nicht haben einbürgern lassen, stellt sich die Frage, ob sie die Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes nach dem ius soli-Prinzip automatisch mit ihrer Geburt im Inland erwerben oder auch auf die Einbürgerungsoption verwiesen werden sollen.

Der Rechtsschutz von Einwanderern ist unterschiedlich ausgestaltet. Gegen die Ablehnung der Aufenthaltsbewilligung ist er regelmäßig sehr schwach, gegen die spätere Ausweisung jedenfalls dann besser, wenn der Aufenthalt legal war. In bezug auf sonstige, d.h. nicht statusrelevante, Rechtsstreitigkeiten sind jedenfalls legale Einwanderer den Inländern gleichgestellt.

Abschließend läßt sich festhalten, daß die reichen Länder des Nordens und Westens mit einem großen Wettbewerbsvorteil vor den armen Ländern des Südens und Ostens in den "global war for talent" eintreten. Um den dadurch veranlaßten "brain drain" in eine "brain circulation" zu verwandeln, bedarf es der Zusammenarbeit zwischen den Herkunfts- und den Zielländern der Einwanderer, für die es zwar Ansätze, bislang aber noch kein funktionierendes Modell gibt.