Rainer Grote
1. GATT und WTO
228. Am 1. Januar 1995 trat für die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) in Kraft. Die Bundesregierung betonte im Berichtszeitraum mehrfach503, daß sie das multilaterale Handelssystem der WTO "ohne jede Einschränkung"504 unterstütze und führte zu ihren Zielen im Rahmen der Welthandelsorganisation aus:
"Zentrales Ziel deutscher Außenhandelspolitik im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik der EU ist es, das offene multilaterale Handelssystem der neu geschaffenen Welthandelsorganisation (WTO) zu stärken und sein uneingeschränktes Funktionieren zu sichern. Zunächst ist in der Welthandelsorganisation darauf zu achten, daß die Ergebnisse der Verhandlungen in der 1994 abgeschlossenen Uruguay-Runde von allen WTO-Partnern vollständig umgesetzt und eingehalten werden. Zugleich ist darauf zu drängen, daß alle Teilnehmerländer der Uruguay-Runde auch der Welthandelsorganisation beitreten. Das Beitrittsverfahren einer Vielzahl von Ländern zum GATT/WTO, u.a. VR China, Russische Föderation, Ukraine, sind aufzunehmen oder fortzusetzen und abzuschließen. Die in der Uruguay-Runde nicht abschließend gelösten Fragen, insbesondere der Handel mit Dienstleistungen (Finanzdienstleistungen, Seetransport, Basis-Telekommunikationsdienste, Personenbewegungen), multilaterale Abkommen über Zivilflugzeuge und Stahl, müssen zum Teil innerhalb vorgesehener Fristen in der Welthandelsorganisation weiterverhandelt werden. Zugleich geht es darum, die Welthandelsorganisation als Verhandlungsforum für weitere Liberalisierungsschritte zu nutzen. Die erste Ministertagung der Welthandelsorganisation Ende 1996 sollte hierzu zu konkreten Schlußfolgerungen gelangen."505 |
229. Wiederholt506 nahm die Bundesregierung zu dem Verhältnis zwischen der multilateralen Liberalisierung des Welthandels im Rahmen von GATT und WTO und den sich in den letzten Jahren weltweit verstärkenden Bestrebungen zur Schaffung regionaler Freihandelszonen Stellung:
"Sie [die Bundesregierung] sieht den weltweiten Trend zur Errichtung von Freihandelszonen � auch durch den Begriff 'Regionalismus' geprägt � als ein Faktum an. Denn diese Entwicklung kann weder aufgehalten noch zurückgedreht werden. Die Gründe für die zunehmende Bedeutung von Freihandelszonen sind vielfältig. Der wichtigste ist das Ziel vieler Regierungen, rasch einen erweiterten Markt ohne Handelsschranken für die eigene Wirtschaft zu schaffen. Zwar sind regionale Freihandelszonen gegen den 'Königsweg' der globalen Handelsliberalisierung immer nur 'zweitbeste' Lösungen. Trotzdem können sie wegen ihrer handelsliberalisierenden Wirkung grundsätzlich begrüßt werden. Voraussetzung ist allerdings, daß sie nicht mit einer Abschottung an den Außengrenzen verbunden sind. Die von ihnen ausgehenden Impulse müssen handelserweiternd sein, der Markzugang zu den Regionen darf keinen neuen Beschränkungen unterworfen werden. Allerdings sind die Besonderheiten sensibler Bereiche angemessen zu berücksichtigen."507 |
"Was die Ideen zu einer Freihandelszone zwischen EU und Nordamerika (TAFTA) betrifft, so sieht die Bundesregierung hier die Notwendigkeit, einen breiten und langfristigen Ansatz zu verfolgen. Ziel muß es sein, einen Transatlantischen Sicherheits- und Wirtschaftsraum zu schaffen, der die langfristige Perspektive einer Transatlantischen Freihandelszone nicht ausschließt. Das Transatlantische Verhältnis könnte die treibende Kraft einer globalen Handelsliberalisierung im multilateralen WTO-Rahmen sein.
Diesen Zukunftsperspektiven von TAFTA stehen jedoch noch eine Reihe von Hindernissen entgegen (u.a. Buy-American-Vorschriften, Regelungen im Agrar- und Textilbereich, der Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen), deren Beseitigung durch eine mittelfristige Strategie angestrebt werden sollte. Die Europäische Kommission hat im Juli 1995 in einer Mitteilung an den Rat vorgeschlagen, die Bildung eines 'Transatlantischen Wirtschaftsraumes' anzustreben. Bausteine hierfür sollen konkrete Kooperationsfelder der Regierungen sein wie Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Anerkennung von technischen Normen und Zertifizierungen, Marktöffnung bei öffentlichen Aufträgen, Wettbewerbspolitik u.ä. Der neu geschaffene 'Transatlantic Business Dialogue' soll die wichtigsten Kooperationsfelder aus der Sicht der Praxis identifizieren. Die Bundesregierung begrüßt diesen breiten Ansatz für einen Ausbau der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen."509 |
230. Die Bundesregierung äußerte sich auch zu der Frage nach der Durchsetzung von sozialen Mindeststandards und Arbeitnehmerrechten im Rahmen von GATT/WTO:
"Die Mißachtung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten, wie ausbeuterische Kinder- und Gefangenenarbeit und Gewerkschaftsverbote, kann nicht hingenommen werden. Mögliche Verbindungen zwischen der Einhaltung von solchen Sozialnormen und dem Handel sind bisher weitgehend unerforscht geblieben. Erst nach weiterer vertiefter Analyse der komplexen Problematik wird die Frage nach möglichen Wechselbeziehungen zwischen Handels- und Sozialnormen zu beantworten sein. [...] Die in der Öffentlichkeit diskutierten Überlegungen, in der Welthandelsorganisation Sozialnormen zu verankern, stoßen bei einer Vielzahl von Handelspartnern auf Bedenken. Insbesondere die Entwicklungsländer argwöhnen, daß sich hinter der Forderung nach Sozialnormen protektionistische Zielsetzungen der Industrieländer verbergen, mit denen ihnen die gerade in der Uruguay-Runde gewährten Konzessionen, für die sie Gegenkonzessionen geleistet haben, zunichte gemacht werden sollen."510 |
"GATT/WTO sind in erster Linie handelspolitische Abkommen. Die Möglichkeiten, die wirtschaftlichen Beziehungen durch Bezugnahme auf besondere, außerhalb des unmittelbaren Handelsbereichs liegende Gründe einzuschränken, sind im GATT/WTO in den Ausnahmeregelungen von Artikel XX in einem sehr engen Rahmen gehalten.
Die Überwachung der Einhaltung von international vereinbarten Arbeits- und Sozialstandards fällt primär in den Aufgabenbereich der dafür zuständigen Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)."512 |
231. Das Verhältnis zwischen Umweltschutz und freiem Welthandel war im Berichtszeitraum Gegenstand mehrerer Parlamentarischer Anfragen.513 Die Bundesregierung erklärte, sie befürworte grundsätzlich die Einführung ökologischer Mindeststandards in entsprechenden multilateralen Konventionen, stellte aber mit Blick auf die WTO zugleich klar:
"Eine inhaltliche Festlegung von ökologischen Mindeststandards kann nach Auffassung der Bundesregierung nicht in der WTO erfolgen, da sie für die Gestaltung der internationalen Umweltzusammenarbeit weder über das Mandat noch über die entsprechende umweltspezifische Fachkompetenz verfügt."514 |
"Gemäß Artikel XX GATT sind Eingriffe in den Handel, so etwa Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen und Maßnahmen zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze, zulässig unter der Voraussetzung, daß die Maßnahmen nicht so angewendet werden, daß sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen die gleichen Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen konnte bisher Artikel XX GATT wirksam angewendet werden."515 |
"Bisher sind umweltpolitische Maßnahmen der Bundesregierung mit der Begründung, daß Artikel XX GATT nicht erfüllt sei, im GATT nicht angegriffen worden. Dennoch halten es Bundesregierung und EU-Kommission für erforderlich, für etwaige notwendige handelspolitische Maßnahmen zum Schutze der Umwelt eine Präzisierung von Artikel XX GATT zu erreichen. Dies wird auch weiterhin ein zentrales Thema in der Arbeit des WTO-Ausschusses für Handel und Umwelt sein."516 |
"Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die bisher abgeschlossenen internationalen Umweltabkommen, zumindest soweit sie von Deutschland unterzeichnet wurden, GATT-konform sind. Sofern in das Basler Übereinkommen ein Exportverbot für gefährliche Abfälle zur Verwertung aus OECD-Staaten in Nicht-OECD-Staaten aufgenommen werden sollte, das auch Nicht-OECD-Staaten betrifft, die nicht dem Basler Übereinkommen angehören, wird diese Frage neu zu prüfen sein. Die Bundesregierung strebt wie die EU-Kommission an, internationale Umweltabkommen, die bestimmten Kriterien hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft und Aushandlung genügen, von den Anforderungen des GATT auszunehmen, wie dies bereits jetzt für internationale Rohstoffabkommen gilt. In diesem Zusammenhang ist auch etwa an eine Änderung oder kollektive Auslegung von Artikel XX GATT zu denken."517 |