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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


950. ASYLRECHT UND ASYLGRUNDRECHT

Nr.87/1

Zum Zusammenhang zwischen Art.16 Abs.2 S.2 GG und dem völkerrechtlichen Institut des Asylrechts sowie der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II S.559).

On the relation of Art.16 (2) clause 2 of the Basic Law to the public international law institution of the right of asylum as well as the Geneva Convention relating to the Status of Refugees of 28 July 1951.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 1.7.1987 (2 BvR 478, 962/86), BVerfGE 76, 143 (ZaöRV 48 [1988], 734 f.)

Einleitung:

      Die Beschwerdeführer verfolgen einen Asylanspruch, den sie darauf stützen, daß sie in Pakistan Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft zu gewärtigen hätten. Das Bundesverfassungsgericht erstreckt Art.16 Abs.2 S.2 GG auch auf religiöse oder religiös motivierte Verfolgung, soweit staatliche Maßnahmen in den von der Menschenwürde geforderten Mindeststandard der Religionsfreiheit eingreifen. In diesem Zusammenhang macht das Gericht folgende Ausführungen zu den Beziehungen zwischen Art.16 Abs.2 S.2 GG und dem völkerrechtlichen Asylrecht sowie der Genfer Flüchtlingskonvention.

Entscheidungsauszüge:

      B. ... I. ... 1. Das Grundgesetz hat den Begriff des politisch Verfolgten nicht näher abgegrenzt. Diese Abgrenzung kann auch nicht allein dem lapidaren Wortlaut des Grundrechts entnommen werden. Der Verfassungsgeber knüpfte mit der Vorschrift des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG inhaltlich an das völkerrechtliche Institut des Asylrechts an. Mit ihr sollte dasjenige als individuelles subjektives Grundrecht ausgestaltet werden, was zur damaligen Zeit als Asyl und Asylgewährung begriffen wurde; hierin spiegelte sich das unmittelbare Erlebnis ungezählter Verfolgungs- und Vertreibungsschicksale vor allem auch während der NS-Zeit und nach 1945 wider ... Als Grundgedanke des Asylrechts war allgemein anerkannt, daß es - wie im Parlamentarischen Rat gesagt wurde - "dem Ausländer gewährt wird, der in seinem eigenen Land nicht mehr leben kann, weil er durch das politische System seiner Freiheit, seines Lebens oder seiner Güter beraubt wird" ... Diesem Grundgedanken gemäß hat die Rechtspraxis und insbesondere die Rechtsprechung - auch in der Erkenntnis, daß das Adjektiv "politisch" nicht einen abgegrenzten Gegenstandsbereich von Politik, sondern eher eine Eigenschaft bezeichnen soll, die alle Sachbereiche unter bestimmten Umständen jederzeit annehmen können ... - die nähere inhaltliche Bestimmung und Abgrenzung des Begriffs politisch Verfolgter wiederholt in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S.559) vorgenommen. Dieser knüpft seinerseits an geschichtlich erfahrene politische Verfolgungen und Verfolgungsschicksale an, die zu dem Flüchtlingsproblem in Europa geführt hatten, das die Konvention lösen helfen sollte; indem er sich auf die begründete Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung bezieht, benennt er jene menschlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die nach geschichtlicher Erfahrung die häufigsten und entscheidenden Anknüpfungs- und Bezugspunkte für die Unterdrückung und Verfolgung Andersartiger und Andersdenkender bildeten und auch weiterhin noch bilden.
      Diesem Aufsuchen der "politischen" Verfolgungsgründe liegt die von der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung zugrunde, daß kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner politischen Überzeugung oder religiösen Grundentscheidung oder in unverfügbaren, jedem Menschen von Geburt an anhaftenden Merkmalen liegen ... Diese Rechtsüberzeugung hat die Schaffung des grundgesetzlichen Asylrechts maßgeblich mit hervorgebracht und prägt auch seinen Inhalt.
      2. Auch religiöse oder religiös motivierte Verfolgung kann politische Verfolgung im Sinne des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG sein ...
      a) Sie ist dies allerdings nicht schon dann, wenn die Religionsfreiheit, gemessen an der umfassenden Gewährleistung, wie sie Art.4 Abs.1 und 2 GG enthält ..., Eingriffen und Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Vielmehr müssen die Eingriffe und Beeinträchtigungen eine Schwere und Intensität aufweisen, die die Menschenwürde verletzt ... : Sie müssen ein solches Gewicht haben, daß sie in den elementaren Bereich der sittlichen Person eingreifen, in dem für ein menschenwürdiges Dasein die Selbstbestimmung möglich bleiben muß, sollen nicht die metaphysischen Grundlagen menschlicher Existenz zerstört werden ...