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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1881. VORABENTSCHEIDUNGSVERFAHREN

Nr.89/1

Ein Oberlandesgericht kann bei der Auslegung von EG-Recht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen, ohne die Sache dem Bundesgerichtshof nach §121 Abs.2 GVG vorzulegen. Nur eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt in Betracht (Art.177 Abs.2 EWG-Vertrag).

A state superior court may, when interpreting EC law, deviate from the decision of another state superior court without refering the matter to the Federal Supreme Court pursuant to §121 (2) of the Judicature Act. Only a reference to the European Court of Justice will be possible (Art.177 (2) of the EEC Treaty).

Bundesgerichtshof, Beschluß vom 31.1.1989 (4 StR 304/88), NJW 1989, 1437 (ZaöRV 51 [1991], 225)

Einleitung:

      In einem Ordnungswidrigkeitenverfahren geht es um die Frage, ob der Betroffene kraft sekundären Gemeinschaftsrechts von der Verpflichtung freigestellt war, einen Fahrtenschreiber in seiner Zugmaschine zu betreiben. Das Bayerische Oberste Landesgericht möchte diese Frage verneinen und die Verurteilung des Betroffenen zu einer Geldbuße bestätigen. Daran sieht es sich jedoch durch einen Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf gehindert, das eine entsprechende Freistellung angenommen hatte. Nach §121 Abs.2 GVG hat das Bayerische Oberste Landesgericht die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Entscheidungsauszüge:

      II. Die Sache ist dem Bayerischen Obersten Landesgericht zurückzugeben. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung über die vorgelegte Rechtsfrage nicht berufen ...
      1. Die Vorschriften der §15a und §57a StVZO gelten neben den EWG-Verordnungen nur subsidiär ... Ihre Anwendbarkeit auf Fahrzeuge der vorliegenden Art hängt deshalb davon ab, ob die hier einschlägigen EWG-Verordnungen eine abschließende Regelung enthalten mit der Folge, daß die dort aufgeführten Fahrzeuge endgültig und auch für den nationalen Gesetzgeber bindend von der Pflicht zum Einbau und Betrieb eines EWG-Kontrollgerätes befreit sind (so das OLG Düsseldorf), oder ob der sachliche Geltungsbereich der Verordnungen so eingeschränkt ist, daß diese den nationalen Gesetzgeber nicht hindern, die in den Verordnungen ausgenommenen Fahrzeuge einer eigenen Regelung zu unterwerfen (so das Bayerische Oberste Landesgericht). ...
      2. Die verbindliche Auslegung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften steht dem EuGH zu (Art.177 EWGV). Jedes nationale Gericht kann, wenn es um die Auslegung solchen Rechts geht, die Entscheidung des Gerichtshofs einholen; unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 der Vorschrift ist es hierzu sogar verpflichtet.
      Es ist hier nicht darüber zu befinden, ob das Bayerische Oberste Landesgericht, wenn es - wie im vorliegenden Fall - als Rechtsbeschwerdegericht im Verfahren über Ordnungswidrigkeiten tätig wird, unter die Gerichte zu zählen ist, die gem. Art.177 Abs.3 EWGV zur Vorlegung verpflichtet sind ... Jedenfalls kann es nach Art.177 Abs.2 EWGV die Frage dem EuGH vorlegen - falls hier nicht sogar der Fall gegeben ist, daß der EuGH in einem anderen Verfahren die Auslegungsfrage bereits so beantwortet hat, wie das vorlegende Gericht entscheiden möchte ..., und sich eine Auslegung aus diesem Grunde erübrigt ... In keinem dieser Fälle darf jedoch der BGH durch eine Entscheidung nach §121 Abs.2 GVG und die sich daraus ergebende Bindung das vorlegende Gericht daran hindern, die Rechtsprechung des EuGH zu übernehmen und anzuwenden. Das gilt nicht nur, wenn der EuGH über die Vorlegungsfrage bereits entschieden hat, sondern auch, wenn eine verbindliche Auslegung der strittigen Frage noch nicht erfolgt ist. Denn das Recht eines nationalen Gerichts, den EuGH anzurufen, darf nicht durch innerstaatliche Vorschriften beeinträchtigt werden, die das nationale Gericht an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten nationalen Gerichts binden (EuGHE 1974, 33; BGHSt 33, 76 [79] ...).