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Bundesverfassungsgericht (3.Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 29.11.1991 (2 BvR 1041/91), InfAuslR 1992, 81 (ZaöRV 53 [1993], 430f.)
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der angegriffene Beschluß des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts den Beschwerdeführer nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt.
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem verfassungsrechtlichen Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Zwar ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter gemäß Art.101 Abs.1 Satz 2 G (BVerfGE 73, 339 [366 ff.]; 82, 159 [192]). Ein nationales Gericht ist jedoch nur unter den Voraussetzungen des Art.173 Abs.3 EWG-Vertrag verpflichtet, den Europäischen Gerichtshof von Amts wegen anzurufen. Nach der Rechtsprechung des Europäsichen Gerichtshofs besteht in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag. Wie der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 27.Oktober 1982 (... Slg.1982, S.3723 [3734f.]) entschieden hat, ist Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, nicht zur Vorlage an den Gerichtshof verpflichtet ist, wenn sich die Frage in einem summarischen und eilbedürftigen Verfahren stellt und die zu erlassende Entscheidung das Gericht, dem der Rechtsstreit danach in einem Hauptverfahren vorgelegt wird, nicht bindet (vgl. auch ... Slg.1977, S.957 [972 ff.]). Selbst wenn das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob dem Beschwerdeführer nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr.1/80 ein erhöhter Ausweisungsschutz zukommen könnte, für entscheidungserheblich gehalten hätte, käme mangels Vorlagepflicht nach europäischem Gemeisnschaftsrecht ein Verstoß gegen Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nicht in Betracht.
Im Hauptsacheverfahren wird hingegen die Frage der Entscheidungserheblichkeit der europarechtlichen Fragestellung und eine mögliche Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof erneut zu prüfen sein.
2. Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Oberverwaltungsgericht habe Art.14 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 unzutreffend ausgelegt, liegt ein Verstoß gegen Verfassungsrecht ebenfalls nicht vor. Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren über die Richtigkeit der Auslegung nicht verfassungsrechtlicher Normen durch die Gerichte zu befinden. Bei gerichtlichen Entscheidungen liegt unter dem Gesichtspunkt des Art.3 Abs.1 GG ein Verfassungsverstoß nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält ... Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet allein noch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. BVerfGE 67, 90 [94 ff.]). Hinzukommen muß vielmehr, daß die Rechtsanwendung des Gerichts bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (st. Rspr. ... zuletzt BVerfGE 81, 132 [137]).
In dem angegriffenen Beschluß stützt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht seine Auffassung, daß Art.14 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 Ausweisungen und Abschiebungen aus rein generalpräventiven Gründen zulasse, auf einen Vergleich zwischen dem Wortlaut der Bestimmung des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 und dem Wortlaut des §12 Aufenthaltsgesetz/EWG. Das Aufenthaltsgesetz/EWG setzt die in Konkretisierung des hinsichtlich des Vorbehalts der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit Art.14 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 nahezu wortgleichen Art.48 Abs.3 EWG-Vertrag ergangene Richtlinie 64/221/EWG in nationales Recht um. Ob der Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Art.14 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 in ähnlicher Weise wie der in Art.48 Abs.3 EWG-Vertrag enthaltene Vorbehalt auszulegen ist, ist eine europarechtlich umstrittene Frage und kann grundsätzlich nur unter Heranziehung der Auslegungsregeln und -verfahren des EWG-Vertrages gelöst werden.
Die Heranziehung des deutschen Aufenthaltsgesetzes zur Auslegung der europarechtlichen Norm des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 erscheint zwar wenig überzeugend und mag sogar fehlerhaft sein. Die Argumentation des Gerichts berührt jedoch insoweit nicht Regelungen des Grundgesetzes. Besondere Umstände, die darauf hindeuten könnten, daß sich das Gericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, sind weder dargetan noch ersichtlich.