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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


500. ORGANE DES DIPLOMATISCHEN UND KONSULARISCHEN VERKEHRS

Nr.90/1

[a] Die Ausspähung konsularischer Tätigkeit durch Überwachung eines dienstlichen Telefonanschlusses des Konsulats nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) vom 13.8.1968 ist zumindest dann völkerrechtswidrig, wenn sich der zugrundeliegende Verdacht auf Straftaten bezieht, die mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben zusammenhängen können.

[b] Die über eine solche völkerrechtswidrige Telefonüberwachung gemachten Aufzeichnungen dürfen im Strafprozeß nicht als Beweise verwertet werden.

[a] The reconaissance of consular activities by tapping an official consulate telephone pursuant to the Act on the Restriction of the Privacy of Posts and Telecommunications (G 10) of 13 August 1968 violates public international law, at least if the underlying suspicion concerns criminal offenses which could be related to the exercise of consular functions.

[b] Recordings obtained in violation of public international law by telephone tapping of this kind may not be used as evidence in criminal proceedings.

Bundesgerichtshof, Beschluß vom 4.4.1990 (3 StB 5/90), BGHSt 36, 396 (ZaöRV 52 [1992], 381)

Einleitung:

      Die Beschuldigten sind Attachés des türkischen Generalkonsulats in Hamburg. Die Staatsanwaltschaft hat gegen sie den Erlaß von Haftbefehlen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit beantragt. Sie wirft ihnen vor, als Angehörige des türkischen Nachrichtendienstes auf konspirative Weise von einem in der Justizvollzugsanstalt Hamburg tätigen türkischen Sozialhelfer Informationen über in der Justizvollzugsanstalt einsitzende Türken erlangt zu haben. Die Staatsanwaltschaft gründet den erforderlichen dringenden Tatverdacht in erster Linie auf die Aufzeichnung von Telefongesprächen, die die beiden Beschuldigten von einem im Generalkonsulat eingerichteten Telefonanschluß aus geführt hatten. Dieser Telefonanschluß war mithilfe einer entsprechenden Schaltung im Fernmeldenetz durch das Landesamt für Verfassungsschutz abgehört worden. Der Bundesgerichtshof bestätigt im Verfahren der weiteren Beschwerde (§310 Abs.1 StPO, §135 Abs.2 GVG) die Ablehnung der Haftbefehlsanträge durch Ermittlungsrichter und Strafsenat des Oberlandesgerichts.

Entscheidungsauszüge:

      Ein dringender Tatverdacht liegt nicht vor, weil die als Beweismittel vorgelegten Aufzeichnungen über abgehörte Telefongespräche auf der Grundlage des sich aus den Strafakten ergebenden Sachstands nicht gerichtsverwertbar sind. Die Überwachung des in den Diensträumen des türkischen Konsulats eingerichteten Telefonanschlusses durch eine Verfassungsschutzbehörde nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) [vom 13.8.1968 - BGBl. I S.949] verstieß gegen die völkerrechtlich anerkannten Grundsätze der Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten und der Immunität von Eingriffen der Verwaltungsbehörden des Empfangsstaats. Die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung unterliegen daher einem Beweisverwertungsverbot ...
      1. Der Telefonanschluß des Generalkonsulats ist nach Art.1 G 10 überwacht worden. Maßnahmen nach dem G 10 werden nicht in einem Gerichts-, sondern in einem Verwaltungsverfahren getroffen ... Die Eingriffsvoraussetzungen sind wegen der mit dem G 10 verfolgten präventiven Zwecke (Art.1 §1 G 10) weiter gefaßt als bei einer von einem Gericht nach §100a StPO anzuordnenden strafprozessualen Telefonüberwachung. ... Aus den dem Senat vorliegenden Sachakten ergibt sich nichts dafür, ob die nach dem G 10 erforderlichen formellen und materiellen Voraussetzungen für den staatlichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis vorgelegen haben. Der Senat läßt daher ... offen, inwieweit die Gerichte in der Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit der angeordneten Beschränkungsmaßnahmen frei sind. Auch wenn die Eingriffsvoraussetzungen an sich vorgelegen haben, verstieß die Aufzeichnung der Telefongespräche gegen völkerrechtlich anerkannte Grundsätze [des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (WÜK) - BGBl. 1969 II S.1585]. Sie ist am 20.März 1976 im Verhältnis zur Türkei in Kraft getreten (BGBl. 1976 II S.450) und nach §19 GVG für das Strafverfahren unmittelbar anzuwenden.
      Nach Art.31 Abs.2 WÜK dürfen die Behörden des Empfangsstaats den Teil der konsularischen Räumlichkeiten, den die konsularische Vertretung ausschließlich für ihre dienstlichen Zwecke benutzt, nur mit Zustimmung des Leiters der konsularischen Vertretung oder einer von ihm bestimmten Person oder des Chefs der diplomatischen Mission des Entsendestaats betreten; Ausnahmen gelten nur bei Feuer und anderen sofortige Schutzmaßnahmen erforderlich machenden Unglücksfällen. Diese Regelung geht über die durch Art.6 des deutsch-türkischen Konsularvertrages vom 28.Mai 1929 [RGBl.1930 II S.747; BGBl. 1952 II S.608] gewährten Vorrechte hinaus. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs bilateraler Verträge (Art.73 WÜK) ergänzt die Wiener Konsularrechtskonvention den deutsch-türkischen Konsularvertrag aus dem Jahre 1929 jedenfalls insoweit, als sie in Übereinstimmung mit dem inzwischen fortentwickelten allgemeinen Völkerrecht weitergehende Erleichterungen für die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorsieht.
      Aus dem Betretungsverbot des Art.31 Abs.2 WÜK folgt, daß die Behörden des Empfangsstaats in den Diensträumen des Konsulats ohne den Willen des Leiters der konsularischen Vertretung auch keine amtlichen Maßnahmen, insbesondere keine Durchsuchungen und Beschlagnahmen, vornehmen dürfen ... Die Unverletzlichkeit konsularischer Schriftstücke, Tonbänder, Karteien und ähnlicher Unterlagen wird noch besonders hervorgehoben (Art.33 i.V.m. Art.1 Abs.1 Buchst.k WÜK). Im Völkerrecht ist die Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten tief verwurzelt (Hecker in Handbuch der konsularischen Praxis 1982 S.14 Fußn.19 unter Berufung auf eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 15. Dezember 1979). Wenn aber Durchsuchungen und Beschlagnahmen in den Diensträumen des Konsulats verboten sind, liegt es nahe, auch die heimliche Überwachung und Aufzeichnung der dort geführten Telefongespräche durch Behörden des Empfangsstaats als unzulässig anzusehen. Sie beeinträchtigen die durch die Wiener Konsularrechtskonvention garantierte eingriffsfreie Wahrnehmung konsularischer Aufgaben nicht weniger als jene. Dem Eingriffsverbot des Art.31 Abs.2 WÜK entspricht die besondere Verpflichtung des Empfangsstaats nach Art.31 Abs.3 WÜK, die konsularischen Räumlichkeiten vor jedem Eindringen zu schützen und zu verhindern, daß die Würde der konsularischen Vertretung beeinträchtigt wird. All dies kann dafür sprechen, die heimliche Überwachung von Telefonanschlüssen, die in den Diensträumen des Konsulats eingerichtet sind, generell als unzulässig anzusehen. Daß der überwachte Anschluß nicht im amtlichen Telefonverzeichnis eingetragen war und, wie die Beschwerdeführerin behauptet, zur Tatzeit nur für geheimdienstliche Zwecke benutzt wurde, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
      Die aufgeworfene allgemeine Rechtsfrage bedarf jedoch nicht der abschließenden Entscheidung. Insbesondere kann offenbleiben, ob das Überwachungsverbot dann gilt, wenn der die Überwachung auslösende Tatverdacht gegen die Konsularbeamten eine private oder eine solche Tätigkeit betrifft, die zwar im Auftrag der Regierung des Entsendestaats ausgeübt wird, aber zur Wahrnehmung konsularischer Aufgaben keinerlei Bezug aufweist. Die Ausspähung konsularischer Tätigkeit durch eine Überwachung eines dienstlichen Telefonanschlusses nach dem G 10 ist jedenfalls dann rechtswidrig, wenn sich der zugrundeliegende Verdacht auf strafbare Handlungen bezieht, die - unabhängig von damit etwa verfolgten weiteren Zwecken - mit der Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben zusammenhängen können. Dann ist neben dem oben erörterten Grundsatz der Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten der in Art.43 WÜK niedergelegte Grundsatz der Immunität von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats und von Eingriffen seiner Verwaltungsbehörden tangiert. Art.43 Abs.1 WÜK erstreckt die Immunität auf Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind. Dies bedeutet, daß die Begehung strafbarer Handlungen durch einen Konsularbeamten in der Regel als private, der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaats unterfallende Tätigkeit anzusehen sein wird. In Zweifelsfällen wird Immunität anzunehmen sein, wenn das Handeln des Konsuls oder seiner Beamten mit ihrer dienstlichen Betätigung noch irgendwie in einem inneren Zusammenhang steht. Dies wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß das Handeln rechtswidrig ist ...
      Im vorliegenden Fall bezog sich der zur Telefonüberwachung führende Verdacht, wie zugunsten der Beschuldigten anzunehmen ist, darauf, daß die beschuldigten Konsularbeamten Informationen über in ihrem Amtsbezirk festgehaltene türkische Staatsangehörige sammelten, und zu diesem Zweck einen in ihrem Amtsbezirk ansässigen türkischen Staatsangehörigen zur rechtswidrigen Weitergabe ihm von der deutschen Verwaltung anvertrauter Daten veranlaßten. Der Verkehr mit den im Amtsbezirk des Konsulats wohnhaften oder dort festgehaltenen Angehörigen des Entsendestaats, die Beschaffung der hierfür erforderlichen Erkenntnisse und entsprechende Berichte an den Entsendestaat gehören zu den herkömmlichen konsularischen Aufgaben (vgl. Art.5 WÜK, Art.15 des deutsch-türkischen Konsularvertrags ...). Dabei dürfen sich die Konsularbeamten allerdings keiner nach den Gesetzen des Empfangsstaats verbotenen Mittel bedienen (Art.55, 36 Abs.2, Art.5 Buchst.c WÜK). Besteht Anlaß anzunehmen, daß dies der Fall ist oder daß die Wahrnehmung konsularischer Aufgaben zur Verfolgung anderer Zwecke mißbraucht wird, so darf einem in diesem Zusammenhang aufgekommenen Verdacht einer Straftat dennoch nicht durch Überwachung der dienstlichen Fernsprechanschlüsse nach Art.1 G 10 nachgegangen werden. Wäre eine solche Verfahrensweise zulässig, so könnten die völkerrechtlich anerkannten Grundsätze der Immunität der Konsularbeamten und der Unverletzlichkeit ihrer Diensträume unterlaufen werden. Gegen den Mißbrauch von Immunitäten kann sich der Empfangsstaat auf andere Weise wehren, etwa dadurch, daß er einen Konsularbeamten ohne Angabe von Gründen nach Art.23 WÜK zur persona non grata erklärt.
      2. Da die beantragten Haftbefehle gegen die türkischen Konsularbeamten schon wegen Fehlens eines auf gerichtsverwertbare Beweise gestützten dringenden Tatverdachts nicht erlassen werden können, kommt es auf die von der Beschwerdeführerin und dem Oberlandesgericht unterschiedlich beurteilte Rechtsfrage, mit welcher Strafe die eine Verhaftung rechtfertigende Straftat bedroht sein muß, nicht an. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß sich die Beantwortung der Frage nicht allein aus der Auslegung des deutsch-türkischen Konsularvertrags vom 28.5.1929 herleiten läßt, sondern darüber hinaus zu prüfen ist, ob der wesentlich später in Kraft getretenen, auch für die konsularischen Beziehungen zwischen der Türkei und der Bundesrepublik geltenden Wiener Konsularrechtskonvention insoweit eine verbindliche Auslegungsrichtlinie zu entnehmen ist. Bei der Bestimmung der eine Verhaftung rechtfertigenden schweren strafbaren Handlung im Sinne des Art.41 WÜK ("a grave crime" ...) können die bei der Ausarbeitung der Konvention geäußerten Vorstellungen der beteiligten Staaten, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehörte, nicht unberücksichtigt bleiben. Gegebenenfalls wäre hierzu eine Auskunft der Bundesregierung einzuholen.