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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


820. AUSWEISUNG UND ABSCHIEBUNG

Nr.90/1

Ein Ausländer darf selbst dann grundsätzlich nicht in seinen Heimatstaat abgeschoben werden, wo ihm politische Verfolgung droht, wenn er die Verfolgungsgefahr vorsätzlich herbeigeführt hat, um sein Verbleiben in Deutschland zu ermöglichen.

It is generally unlawful to deport an alien to his or her home state where he or she is threatened with political persecution, even if the alien has willingly provoked the threat of persecution in order to be able to remain in Germany.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4.12.1990 (9 C 99.89), Buchholz 402.25 §28 AsylVfG Nr.20 (ZaöRV 52 [1992], 387)

Entscheidungsauszüge:

      Dem VGH ist ... darin zu folgen, daß einem abgelehnten Asylbewerber, dem nach den Erkenntnissen der Ausländerbehörde dennoch ... politische Verfolgung droht, die Berufung auf die drohende Rechtsverletzung grundsätzlich nicht deshalb verwehrt ist, weil er - wie hier - seine Lage allein mit dem Ziel der weiteren Sicherung seines Aufenthaltes in Deutschland herbeigeführt hat. Insbesondere hat der VGH zu Recht eine entspr. Anwendung des §1 a AsylVfG auf den Fall der "Erschleichung" von Abschiebungsschutz abgelehnt. Nach §1 a AsylVfG bleiben Umstände, mit denen ein Ausländer seine Furcht vor politischer Verfolgung begründet, bei der Entscheidung unberücksichtigt, wenn er sie in der Bundesrepublik Deutschland zu dem Zweck herbeigeführt hat, die Voraussetzungen seiner Anerkennung zu schaffen. Diese Regelung ... ist speziell auf das Asylanerkennungsverfahren zugeschnitten. Dies hat der Gesetzgeber in Art.3 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S.1354) klargestellt, durch dessen Nr.1 in den §1a AsylVfG nach dem Wort "Entscheidung" die Worte "über die Anerkennung als Asylberechtigter" eingefügt worden sind. Wer die Gefahr einer Verfolgung in der Heimat während seines Aufenthalts in Deutschland provoziert, soll nicht in den Genuß der mit dem Status eines anerkannten Asylberechtigten verbundenen Rechte kommen. Die [mit einer solchen Mißbrauchsregelung verbundene Versagung eines durch die Asylanerkennung begründeten Aufenthaltsrechts wegen politischer Verfolgung setzt aber voraus, daß] die Schutzlosigkeit vor politischer Vefolgung auf andere Weise behoben wird. Die Materialien ergeben, daß der Gesetzgeber sich schon bei Erlaß des §1 a AsylVfG von dieser Erwägung hat leiten lassen. Im Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. November 1986 wird ausdrücklich auf die auf §14 AuslG, Art.33 GK verweisende Begründung im Entwurf zu §1 a AsylVfG hingewiesen, wonach diese Regelung den Kerngehalt des Asylrechts, den Schutz vor Abschiebung, unberührt lasse (BT-Drs. 10/6416, S.18). Ferner hebt der Bericht (a.a.O. S.19) die inhaltsgleiche Äußerung der Bundesregierung zur Verfassungsmäßigkeit der Novellierung des AsylVfG hervor. Auch das BVerfG trägt diesem übergeordneten Gesichtspunkt Rechnung. In seiner Rechtsprechung (BVerfGE 74, 51 [67]) geht mit dem Ausspruch der grundsätzlich fehlenden Asylerheblichkeit einer durch gewillkürte Nachfluchtgründe herbeigeführten politischen Verfolgung der Hinweis einher, daß Art.16 Abs.2 Satz 2 GG nicht die einzige Rechtgrundlage für den Schutz vor Abschiebung darstellt. Jeder Ausländer ist vor Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, oder in einen Drittstaat, der ihn in den Verfolgerstaat ausliefern würde, grundsätzlich durch §14 AuslG und Art.33 GK geschützt. Das gilt auch dann, wenn er die Gefahr mutwillig zur sonst nicht erreichbaren Erlangung eines Aufenthaltsrechts im Gastland herbeigeführt hat. Bei ausländerrechtlichen Entscheidungen über Ausweisung und Abschiebung muß immer auch die Menschenwürde, die unverzichtbar und unverwirkbar ist, als oberstes Prinzip unserer Rechtsordnung beachtet werden. Dieser im Rahmen der Entscheidung nach §28 Abs.1 Satz 2 AsylVfG zu berücksichtigende Abschiebeschutz, der gleichsam den aufenthaltsrechtlichen Auffangtatbestand für die trotz drohender politischer Verfolgung nicht "Asylwürdigen" darstellt, kann nicht seinerseits aus eben den Gründen in Frage gestellt werden, die zur Asylversagung geführt haben.
      Diese von der Verfassung her gebotene Sichtweise läßt eine Heranziehung des allgemeinen Gesichtspunkts des Rechtsmißbrauchs oder der Verwirkung ... nicht zu. Dementsprechend kennen weder §14 Abs.1 AuslG noch Art.33 GK einen Ausschlußtatbestand rechtsmißbräuchlicher Herbeiführung.
      Nach §14 Abs.1 S.2 AuslG (Art.33 Abs.2 GK) entfällt der Abschiebungsschutz nur für einen Ausländer, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde. Das nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG geltende Abschiebungsverbot erleidet also nur dann eine Ausnahme, wenn bei Abwägung der persönlichen schutzwürdigen Interessen des Ausländers gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland letztere aus den in Satz 2 genannten Gründen bei weitem überwiegen. Über diese ohnehin restriktiv auszulegende Bestimmung des §14 Abs.1 Satz 2 AuslG (Art.33 Abs.2 GK) hinaus ..., die eine Abschiebung in den Verfolgerstaat nur als ultima ratio in Betracht kommen läßt, gibt es keinen weiteren Ausschlußtatbestand, auch nicht den der rechtsmißbräuchlichen Herbeiführung des Abschiebungsschutzes. Deshalb durften die Ausreiseaufforderung nebst Androhung der Abschiebung des Klägers nach Jugoslawien nur unter der Voraussetzung ergehen, daß er dort nicht politisch verfolgt wird.