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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1600. STATIONIERUNGSSTREITKRÄFTE

Nr.89/1

[a] Bei Durchführung von Baumaßnahmen haben die Stationierungsstreitkräfte die deutschen Bau- und Immissionsschutzvorschriften zu beachten. Dennoch sind die Streitkräfte in diesem Bereich der Jurisdiktion und sonstigen Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland nicht unterworfen, sondern kraft Völkergewohnheitsrechts exemt.

[b] Der Exekutive steht bei der Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Schutzpflichten gerade im Bereich des Stationierungsrechts ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

[a] When constructing buildings the allied forces stationed in Germany must comply with the German building and environmental laws. In this respect, the forces are nevertheless exempt from the jurisdiction of the Federal Republic of Germany, by virtue of custom-ary international law.

[b] When fulfilling its constitutional duty of protection, the executive enjoys a wide margin of appreciation, evaluation and policy consid-eration, in particular in the field of law pertaining to the stationing of allied armed forces in the Federal Republic of Germany.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluß vom 2.3.1989 (21 B 1861/88), NVwZ-RR 1990, 174 (ZaöRV 51 [1991], 228)

Einleitung:

      Die Antragsteller sind Nachbarn eines Truppenübungsplatzes, der von den britischen Streitkräften genutzt wird. Als diese dort eine sogenannte Stadtkampfanlage errichten wollten, begehrten die Antragsteller von der Bundesrepublik Deutschland dagegen Schutz im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht hatte antragsgemäß der Bundesrepublik Deutschland im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, ihre zur Durchführung des britischen Projekts erforderliche Mitwirkung einzustellen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Bundesrepublik hatte Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      1. Als Rechtsgrundlage für Abwehransprüche gegen das Bauvorhaben der britischen Streitkräfte kommen die nachbarschützenden Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie des Baurechts in Betracht. Diese Regelungen gelten im Grundsatz auch für Anlagen der Stationierungsstreitkräfte; die Anwendung der einzelnen Vorschriften ist allerdings nur nach Maßgabe des insoweit geltenden Völkerrechts - insbesondere der mit den Entsendestaaten des NATO-Truppenstatuts vom 19.6.1951 (BGBl.II 1961, 1183) - NTS - getroffenen Vereinbarungen - möglich (vgl. die amtl. Begr. der BReg. zu §1 Abs.2 der 14. BImSchVO, BR-Dr 34/86).
      Die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den anderen Vertragsparteien des NATO-Truppenstatuts sind dadurch geprägt, daß Meinungsverschiedenheiten durch Zusammenarbeit ausgeräumt werden. Aus diesem Grunde können auch Dritte von bundesdeutschen Dienststellen nur verlangen, daß diese sich bei den Stationierungsstreitkräften im Verhandlungswege dafür einsetzen, nach deutschem Recht gesetzeswidrige Maßnahmen zu unterlassen ...
      Die bundesdeutschen Dienststellen sind rechtlich gehindert, gegen die Stationierungsstreitkräfte einseitig hoheitlich tätig zu werden - mit der Folge, daß auch Nachbarn zur Wahrung ihrer Rechte nicht den Erlaß von Bauverboten, Bau- oder Nutzungsauflagen oder sonstigen hoheitlichen Maßnahmen verlangen können (nachfolgend 1.1.). Der danach den Nachbarn verbleibende Schutz reicht zwar grundsätzlich nicht weiter, als diejenigen Abwehransprüche, mit denen die Nachbarn gegen ein entsprechendes Bauvorhaben der Bundeswehr vorgehen könnten (nachfolgend 1.2.). Die unter Heranziehung der völkerrechtlichen Vereinbarungen verbleibenden Abwehr- und Rechtsschutzmöglichkeiten der Nachbarn müssen aber den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staates genügen (nachfolgend 1.3.). Hiervon ausgehend, ist bei summarischer Prüfung nicht zu erwarten, daß die Antragsteller in den Hauptsacheverfahren Erfolg haben werden.
      1.1. Nach Art.II Satz 1 NTS haben die Stationierungsstreitkräfte das Recht des jeweiligen Aufnahmestaates zu achten. Für ihre Rechte und Pflichten aus der Belegung oder der Benutzung der Liegenschaften oder Einrichtungen sind gem. Art.IX Abs.3 Satz 3 NTS die Gesetze des Aufnahmestaates maßgebend. Art.53 Abs.1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl.II 1961, 1183) - ZA-NTS - bestimmt ferner, daß die Stationierungsstreitkräfte innerhalb der ihnen zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften die zur befriedigenden Erfüllung ihrer Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen können (Satz 1); hierbei können sie innerhalb der Liegenschaften auf den Gebieten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ihre eigenen Vorschriften anwenden, soweit diese gleichwertige oder höhere Anforderungen stellen als das deutsche Recht (Satz 2) ... Soweit die Stationierungsstreitkräfte auf den ihnen zur Nutzung überlassenen Liegenschaften Baumaßnahmen durchführen wollen, ergeben sich ihre diesbezüglichen Rechte und Pflichten aus Art.49 ZA-NTS und den hierzu getroffenen Verwaltungsabkommen, den sogenannten Auftragsbauten-Grundsätzen, die zur Zeit i.d.F. vom 1.10.1975 (BGBl.II 1975, 1745) - ABG 1975 - gültig sind. Diese Bestimmungen sehen zum einen das sogenannte Auftragsbau- oder Regelverfahren (Art.49 Abs.2 ZA-NTS) vor, das dadurch gekennzeichnet ist, daß die Baumaßnahmen von deutschen Behörden nach den für Bundesbauaufgaben geltenden deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften durchgeführt werden ... Zum anderen regeln sie das sogenannte Truppenbau-Verfahren (Art.49 Abs.3 ZA-NTS), bei dem die Baumaßnahmen von den Stationierungsstreitkräften mit eigenen Kräften oder durch unmittelbare Vergabe an Unternehmer durchgeführt werden. Bei Durchführung von Baumaßnahmen im Truppenbau-Verfahren beachten die Stationierungsstreitkräfte die deutschen Bauvorschriften (Art.49 Abs.3 Satz 2 ZA-NTS, Art.28 ABG 1975).
      Die hiernach bestehende völkerrechtliche Verpflichtung der Stationierungsstreitkräfte, bei Bauvorhaben die deutschen Rechtsvorschriften, insbesondere das deutsche Baurecht, zu beachten, führt jedoch nicht dazu, daß die Streitkräfte in diesem Bereich der Jurisdiktion und der sonstigen Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland unterworfen sind. Es gilt vielmehr weiterhin die völkergewohnheitsrechtliche Exemtion ...
      Das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut enthalten nur Verweisungen auf das materielle deutsche Recht und keine "kollisionsrechtliche Verweisung", die eine Unterwerfung unter die Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland in verfahrensrechtlicher Hinsicht einschlösse (so BVerfG, NJW 1988, 1651 [1652]). Dementsprechend sind Dritte, die sich gestützt auf nachbarschützende Vorschriften des deutschen Immissionsschutz- oder Baurechts gegen ein Vorhaben der Stationierungsstreitkräfte wenden möchten, darauf verwiesen, gegenüber den zuständigen deutschen Behörden um Schutzgewährung nachzusuchen.
      1.2. Der Umfang des den Nachbarn zustehenden Schutzes reicht im Grundsatz nicht weiter, als dies bei einem entsprechenden Bauvorhaben der Bundeswehr der Fall sein würde. Eine Beurteilung der Grenzen, in denen nachbarliche Schutzansprüche auch gegen Bauvorhaben der Stationierungsstreitkräfte gegeben sind, ist aus diesem Grunde am ehesten auf der Grundlage einer Prüfung möglich, bei der fiktiv davon ausgegangen wird, das betreffende Bauvorhaben werde von der Bundeswehr geplant und durchgeführt ...
      1.3. Vor diesem Hintergrund fehlen derzeit die Voraussetzungen dafür, daß die Antragsteller nach Maßgabe des Völkerrechts gegen das streitige Vorhaben der britischen Streitkräfte bei den deutschen Behörden um Schutz nachsuchen können. Auch unter Berücksichtigung der sich aus Art.2 Abs.2 Satz 1 und Art.14 GG ergebenden Schutzpflichten, die mit der nach Art.19 Abs.4 GG verbürgten Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes einhergehen, haben die Antragsteller keinen Anspruch darauf, daß die Antragsgegnerin dem völkerrechtlich vereinbarten Verfahren, das die britischen Streitkräfte hinsichtlich der Stadtkampfanlage eingeleitet haben, keinen Fortgang gibt ... Das gilt auch dann, wenn sich die Besorgnis der Antragsteller bestätigen sollte, daß die militärische Nutzung dieser Anlage zu ihren Lasten mit schädlichen Umwelteinwirkungen verbunden sein wird. Denn in diesem Falle haben die Antragsteller nur einen Anspruch darauf, daß die bundesdeutschen Dienststellen in dem dafür vorgesehenen Verfahrensabschnitt auf die Einhaltung des deutschen Immissionsschutz- und Baurechts hinwirken; in welchem Umfang dies zu geschehen hat, hängt davon ab, ob und inwiefern von der - auch für Vorhaben der Stationierungsstreitkräfte geltenden - Befreiungsmöglichkeit nach §60 Abs.1 BImSchG und §37 Abs.1 und Abs.2 Satz 2 BauGB Gebrauch gemacht wird ...
      Auf die Befreiungstatbestände nach §60 Abs.1 BImSchG und §37 Abs.2 BauGB könnte es im vorliegenden Fall dann nicht ankommen, wenn das Stationierungsrecht einer Anwendung dieser Vorschriften entgegenstünde ... Dies trifft jedoch nicht zu. Wie bereits ausgeführt wurde (oben 1.1.), erstreckt sich die völkerrechtliche Exemtion der Stationierungsstreitkräfte nur auf die Anwendung deutscher Hoheitsgewalt. Dies mag dazu führen, daß eine Befreiungsentscheidung nicht gegenüber den britischen Streitkräften ergehen kann. Das schließt aber nicht aus, daß die OFD im Verfahren nach Art.30.3 ABG 1975 eine objektbezogene Befreiungsentscheidung herbeiführt. Ebensowenig ist die Oberfinanzdirektion gehindert, gegen das Vorhaben bei den britischen Streitkräften grundsätzliche Bedenken geltend zu machen, falls diese es ohne vorherige Befreiung von entgegenstehenden bau- oder immissionsschutzrechtlichen Vorschriften ins Werk setzen möchten. Denn insoweit knüpft sie lediglich an deren völkervertragliche Verpflichtung an, das materielle deutsche Baurecht zu beachten ...
      Der Exekutive steht zwar bei Erfüllung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten gerade im Zusammenhang mit dem Stationierungsrecht ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit sind erst dann überschritten, wenn seitens der öffentlichen Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen werden oder offensichtlich ist, daß die getroffenen Schutzvorkehrungen gänzlich oder völlig unzulänglich sind (vgl. BVerfG, NJW 1988, 1651 [1653]). Vor dem Hintergrund, daß eine gegen die Stationierungsstreitkräfte gerichtete Abwehrklage ausscheidet und auch mit einer gegen deutsche Behörden gerichteten Klage Rechtsschutz nur gewährleistet werden kann, solange die Stationierungsstreitkräfte ihr Vorhaben nicht bereits ins Werk gesetzt haben, verbleibt den Nachbarn mit einer Anfechtung der Befreiungsentscheidung aber ohnehin nur ein Rest an Rechtsschutz.

Hinweis:

      Vgl. ähnlich auch Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 3.1.1992 (23 A 949/89), NVwZ 1993, 588; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 2.6.1992 (10 S 2239/91), VBl BW 1992, 431.