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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


VII. Fremdenrecht

1. Allgemeine Fragen der Einreise und des Aufenthalts

       30. Das BVerwG erklärte in seinem Beschluß vom 3.3.1998 (1 B 27.98 - InfAuslR 1998, 284), daß Art. 3 GG keine erweiternde Auslegung der §§ 17 ff. AuslG zugunsten der Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft gebiete. Ein Ausländer, der seit Jahren in Deutschland in einer festverankerten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen lebte, beanspruchte eine Aufenthaltserlaubnis unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK. Das BVerwG führte aus, daß ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 S. 2 HS 2 AuslG nur gegeben sei, wenn das Gesetz die Behörde unmittelbar dazu verpflichte, nicht aber, wenn die Erteilung in das Ermessen der Ausländerbehörde gestellt sei, selbst bei einer Ermessensreduzierung auf Null. Weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 8 EMRK würden aber einen gesetzlichen Anspruch im Sinne von § 28 AuslG vermitteln, selbst wenn sie im Einzelfall das Ermessen zu einem Rechtsanspruch verdichten könnten. Eine Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, die Art. 3 Abs. 1 GG verletzen würde, sei in § 28 Abs. 3 S. 2 AuslG nicht zu erkennen und Art. 3 GG gebiete auch keine erweiternde Auslegung der §§ 17 ff. AuslG zugunsten gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

       31. Nach der Auffassung des BayObLG in dem Beschluß vom 2.10.1998 (4 St RR 131/98 - DÖV 1999, 119) korrespondieren die Gebote unverzüglicher Meldung bei einer Aufnahmeeinrichtung und unverzüglichen Nachsuchens um Asyl in § 13 Abs. 3 S. 2 AsylVfG mit dem Gebot der "unverzüglichen Meldung bei den Behörden" in Art. 31 Abs. 1 GFK. Der Angeklagte reiste dreimal über die "grüne Grenze" in die Bundesrepublik ein, wurde jeweils von der Polizei gefaßt und zweimal zurückgeschoben. Erst bei seinem zweiten Grenzübertritt suchte er um Asyl nach und stellte drei Wochen später einen formellen Asylantrag beim Bundesamt. Das AG verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt. Die Sprungrevision des Angeklagten blieb ohne Erfolg. Das BayObLG führte dazu aus, daß sich der Angeklagte nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AuslG wegen unerlaubter Einreise strafbar gemacht habe und weder Art. 16a Abs. 1 GG als Rechtfertigungsgrund eingreife, da der Angeklagte aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei, noch der persönliche Strafausschließungsgrund des § 92 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 GFK vorliege. Auf Art. 31 Abs. 1 GFK könne sich nur berufen, wer sich als Flüchtling unverzüglich bei der Behörde des Einreiselandes melde und Gründe darlege, welche die unreccfmäßige Einreise oder den unreccfmäßigen Aufenthalt rechtfertigen würden. Seit der Neufassung des Asylrechtes handle ein asylbegehrender Ausländer, der illegal die "grüne Grenze" überschreite, nicht mehr unverzüglich, wenn er nicht bereits dem festnehmenden Polizeibeamten gegenüber um Asyl nachsuche. Reise ein zurückgeschobener Ausländer erneut illegal ein, so habe er sich unbeschadet einer früheren Meldung beim Bundesamt und unbeschadet eines früheren Asylersuchens erneut unverzüglich zu melden bzw. erneut unverzüglich um Asyl nachzusuchen.

       32. Das BayObLG sieht in seinem Beschluß vom 28.5.1998 (3 Z BR 141/98 - BayObLGZ 1998, 137) den Haftgrund der unerlaubten Einreise nicht entfallen, wenn ein Ausländer seinen Asylantrag aus der Untersuchungshaft heraus stellt. Nach § 14 Abs. 4 AsylVfG ende die Abschiebungshaft grundsätzlich vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt, so daß auch im Rechtsbeschwerdeverfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft von Amts wegen zu ermitteln sei, ob sich die Hauptsache durch den Ablauf dieser Frist erledigt habe. Ein türkischer Staatsangehöriger wurde bei seiner Einreise in die Bundesrepublik auf Anordnung des AG zur Sicherung seiner Abschiebung im Anschluß an eine Untersuchungshaft in Abschiebungshaft genommen. Der Betroffene legte erfolglos sofortige Beschwerde zum LG und sofortige weitere Beschwerde an das BayObLG ein, wozu das BayObLG ausführt, daß der Betroffene den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 AuslG dadurch verwirklicht habe, daß er ohne gültigen Paß und ohne Aufenthaltsgenehmigung in die Bundesrepublik eingereist sei. Durch seinen Asylantrag habe er zwar gem. § 55 AsylVfG eine Aufenthaltsgestattung erworben, doch stehe dies der Anordnung von Abschiebungshaft gem. § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 AsylVfG erst ab Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes bzw. nach Ablauf von 4 Wochen ab Eingang des Asylantrages beim Bundesamt entgegen. Diese Frist sei inzwischen zwar abgelaufen, doch habe sich die Hauptsache nicht erledigt, weil das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt habe. Hinderungsgründe stünden der Anordnung der Abschiebungshaft demnach nicht entgegen und auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt.

       33. Nach Ansicht des VG Frankfurt a.M. in seinem Beschluß vom 3.4.1998 (5 G 50235/98.A (3) - NVwZ-Beilage 10/1998, 103) kann ein im Flughafenverfahren abgelehnter Asylbewerber sich nicht mit Erfolg auf § 53 Abs. 5 S. 1 AuslG berufen, um seine Einreise ins Bundesgebiet durchzusetzen, weil § 60 Abs. 5 S. 1 AuslG diese Regelung für das Zurückweisungsverfahren nicht für entsprechend anwendbar erklärt habe. Lägen aber die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG vor, so könne einer Einreiseverweigerung ein verfassungsunmittelbares Zurückweisungsverbot aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 2 Abs. 2 S. 1 GG entgegenstehen. Ein afghanischer Staatsangehöriger suchte bei der Grenzschutzstelle Frankfurt a.M. Flughafen um Asyl nach. Der Antrag wurde als offensichtlich unbegründet abgewiesen, woraufhin die Grenzschutzstelle dem Antragsteller die Einreise in das Bundesgebiet verweigerte. Sein Eilantrag vor dem VG hatte Erfolg. In Afghanistan mangelte es aus Sicht des VG derzeit an staatlichen Strukturen, so daß dem Antragsteller weder Schutz gem. Art. 16a Abs. 1 GG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG gewährt, noch Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. der EMRK festgestellt werden könnten. Jedoch sei die Einreise zu gestatten, weil dem Vollzug der Zurückweisung ein verfassungsunmittelbares Zurückweisungshindernis aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG entgegenstehe, an dessen Voraussetzungen keine geringeren Anforderungen gestellt werden dürften als sie § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG für ein Abschiebungsverbot fordere. Eine Zurückweisung sei von Verfassungs wegen untersagt, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestehe.49 Bewaffnete Auseinandersetzungen hätten für jeden nach Afghanistan Zurückgewiesenen eine extreme Gefahrenlage für Leib und Leben geschaffen, die mit Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht zu vereinbaren sei.

      



      49 BVerwGE 99, 324 (328); BVerfG, Beschluß vom 21.12.1994, NVwZ 1995, 781 (782).