Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


Inhalt | Zurück | Vor

Kai Peter Ziegler


VIII. Asylrecht

3. Anderweitiger Verfolgungsschutz, Drittstaaten-Regelung

       48. Das BVerfG gab mit Beschluß vom 16.10.1998 (2 BvR 1328/96 - DVBl. 1999, 165) einer Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung eines VG statt, das die Ablehnung einer Asylanerkennung trotz exilpolitischer Tätigkeiten des Beschwerdeführers gegen das politische Regime seines Herkunftslandes Iran bestätigt hatte. Ein iranischer Staatsangehöriger beantragte erfolglos Asyl und machte mit seiner Klage geltend, daß er sich in einem Fernsehinterview kritisch zum Regime des Iran, dessen Indexierung kritischer Bücher und zu dessen Religionsverständnis des Islam geäußert habe. Das VG wies die Klage wegen des zeitlichen Kontextes der exilpolitischen Aktivitäten zum Verfahren vor dem VG ab und führte aus, der Beschwerdeführer hebe sich nicht aus der Masse der iranischen Asylbewerber heraus, so daß ihm keine Gefahr für Leben und Freiheit drohe. Das OVG lehnte die Zulassung der Berufung ab, seine Verfassungsbeschwerde war jedoch erfolgreich. Das BVerfG führte aus, daß das angegriffene Urteil gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, weil das VG ohne Darlegung des rechtlichen Maßstabs und der abstrakten Abgrenzungskriterien eine Rückkehrgefährdung und ein daraus folgendes Abschiebungsverbot i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG verneint habe. Das Ergebnis der Entscheidung sei damit nicht in sich verständlich und nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer sei im Fernsehen aufgetreten und habe in der besonderen Gesprächssituation eines Interviews öffentlich regime- und religionskritische Erklärungen abgegeben, die ihn aus der Anonymität der Masse herausgehoben und damit für Observationen leichter greifbar gemacht hätten. Die Kriterien des VG zur Abgrenzung zwischen unbedeutenden und bedeutenden exilpolitischen Aktivitäten seien nicht erkennbar. Ebensowenig werde deutlich, auf welche Tatsachengrundlage das VG seine Beurteilung stütze. Fehle es aber an jeglicher Darlegung und Präzisierung des anzuwendenden rechtlichen Maßstabes, so bleibe die Beurteilung des Fernsehinterviews als unbedeutende Aktivität willkürlich. Unmut darüber, daß erfolglose Asylbewerber aufgrund exilpolitischer Betätigung einen abschiebungsrechtlich relevanten Nachfluchtgrund schaffen würden, liege grundsätzlich neben der Sache. Auch die Annahme eines völligen Gleichlaufs von asylrechtlicher und ausländerrechtlicher Bewertung sei verfassungsrechtlich nicht tragfähig.

       49. Nach Ansicht des VG München in seinem Urteil vom 1.12.1998 (M 24 K 96.51550 - InfAuslR 1999, 311) gewährt § 51 Abs. 1 AuslG weitergehenden Schutz als Art. 16a Abs. 1 GG, weil auch selbst geschaffene subjektive Nachfluchtgründe Abschiebungsschutz begründen könnten und ein Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung, Flucht und Asylantrag nicht vorausgesetzt werde. Ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit beteiligte sich in Deutschland an einer Hausbesetzung zu Gunsten einer Ersatzorganisation der PKK und wurde wegen der dabei begangenen Straftaten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, das VG gewährte dem Kläger jedoch Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und führte dazu aus, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Ausländer zwar i.d.R. nicht asylberechtigt sei, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruhe, die er nach Verlassen seines Heimatlandes aus eigenem Entschluß geschaffen habe, doch könnten Nachfluchtaktivitäten ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG begründen, wenn sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung im Zielstaat bedroht seien.65 Dem Kläger würden bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gravierende Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Beeinträchtigungen der Freiheit drohen, weil mit einer Befragung durch die Sicherheitskräfte zu rechnen sei, in deren Verlauf er mißhandelt und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit gefoltert werden würde. Das Abschiebungsverbot werde auch nicht durch den Briefwechsel zwischen den Innenministern Deutschlands und der Türkei vom 10.3.199566 ausgeschlossen, der als völkerrechtlich verbindliche Absprache Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit PKK-Straftaten ausschließen solle, weil sich dieser Ausschluß allein auf § 53 AuslG beziehe. Eine andere Auslegung sei weder mit der GFK, noch mit den innerstaatlichen Vorschriften des Asyl- und Flüchtlingsrechts vereinbar, da eine Asylberechtigung oder Flüchtlingsanerkennung dann bereits entfallen müßte, wenn der Verfolgerstaat das Nichtvorliegen einer politischen Verfolgung schriftlich bestätigen bzw. behaupten würde.

       50. Das OVG Münster war in seinem Beschluß vom 13.1.1998 (25 A 5687/97.A - NVwZ-Beilage 1998, 86) der Auffassung, daß die Nachweiserleichterung für Vorgänge im Verfolgerland, die das BVerwG für den Asylprozeß entwickelt habe, nicht auf die Frage anzuwenden sei, ob der Asylantragsteller auf dem Luftweg oder durch einen sicheren Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. §26a Abs. 1 AsylVfG in das Bundesgebiet eingereist sei. Eine türkische Kurdin gab bei Stellung ihres Asylantrages an, auf dem Luftweg eingereist zu sein. Das VG wies die Asylverpflichtungsklage unter Berufung auf § 26a AsylVfG ab. Das OVG wies den Antrag auf Zulassung der Berufung ab und führte dazu aus, daß in der Rechtsprechung des BVerwG zwar an den Nachweis der asylbegründenden Vorgänge im Verfolgerland wegen des sachtypischen Beweisnotstands des Asylbewerbers keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden und keine unumstößliche Gewißheit verlangt werden dürften, sondern den Erklärungen des Asylsuchenden eine größere Bedeutung beizumessen sei als in der sonstigen Prozeßpraxis. Für Vorgänge im Gastland sei hingegen grundsätzlich der volle Nachweis zu fordern, so daß der Asylbewerber insbesondere die materielle Beweislast für die asylbegründenden Umstände der tatsächlichen Voraussetzungen des Nichteingreifens der Drittstaatenregelung trage. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, daß die Drittstaatenregelung als Ausschlußgrund für das Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG formuliert sei, denn ihrem Sinn und Zweck nach solle sie nur das bereits in Art. 16a Abs. 2 GG a.F. vorgegebene einschränkende "Merkmal der Schutzlosigkeit" konkretisieren und damit den Kreis der Asylberechtigten auf diejenigen politischen Verfolgten beschränken, deren Bedarf an Schutz vor politischer Verfolgung bei der Einreise nach Deutschland noch nicht entfallen sei. Art. 16a Abs. 1 und Abs. 2 GG würden daher zusammen den Kreis der Anspruchsberechtigten umschreiben.

       51. Der bayerische VGH faßte am 19.2.1998 (27 B 96.34202 - InfAuslR 1998, 248) den entsprechenden Beschluß, daß einem Asylbewerber die Einreise auf dem Landweg über ein bestimmtes sicheres Drittland nicht nachgewiesen werden müsse, sondern ihm ein Asylrecht nur zustehe, soweit er die Umstände der Einreise auf dem Luftwege darlegen und beweisen könne. Asylbewerber hätten bei in die eigene Sphäre fallenden Umständen in sich stimmige, glaubhafte und lückenlose Angaben zu machen und nachzuweisen, soweit sie außerhalb des eigentlichen Verfolgungsgeschehens lägen. Ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit reiste nach seinen Angaben mit Hilfe eines iranischen Schleppers auf dem Luftweg von Istanbul nach Düsseldorf in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt erkannte ihn nach detaillierter Schilderung seiner Einreise und seines Verfolgungsschicksals als Asylberechtigten an und bejahte die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten erhob hiergegen Klage, die das VG abwies. Der VGH gab dem Bundesbeauftragten in seiner Berufung jedoch Recht und führte dazu aus, daß sich nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG nicht auf das Asylrecht berufen könne, wer aus einem Drittstaat einreise, in dem die Anwendung der GFK und der EMRK sichergestellt sei. Da Deutschland von sog. sicheren Drittstaaten umgeben sei, werde die Einreise auf dem Luft- oder Seeweg zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal des Art. 16a Abs. 1 GG. Der Beigeladene habe seine von ihm behauptete Einreise auf dem Luftwege jedoch nicht bewiesen, da er weder Flugschein noch Bordkarte oder Gepäckschein habe vorlegen können. Insoweit träfen den Beigeladenen aber die Obliegenheiten zur Angabe des Reisewegs, sowie zur Vorlage der Identitätspapiere und der Flugunterlagen aus §§ 15 Abs. 1 S. 1; Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5; Abs. 2 Nr. 3 und 4; 25 Abs. 1 S. 2 AsylVfG. Das Gericht müsse von der Wahrheit der Behauptungen des Ausländers über die in seine Sphäre fallenden Umstände gem. § 108 Abs. 1 VwGO die volle Überzeugungsgewißheit erlangen und dürfe nicht einen lediglich für wahrscheinlich gehaltenen Sachverhalt unter Art. 16a Abs. 1 GG subsumieren. Die Vorlage von Flugunterlagen sei dabei zwar nicht zwingend, doch komme ihr als Beweisanzeichen zentrale Bedeutung zu. Das Erschweren der Sachverhaltsaufklärung sowie beweisvereitelndes und -vernichtendes Verhalten des Asylbewerbers sei vom Tatrichter i.R.d. § 108 Abs. 1 VwGO zu würdigen und erlaube negative Schlußfolgerungen über die Wahrheit der rechtserheblichen Tatsachen. Könne das Gericht nicht die volle Überzeugung von der Einreise auf dem Luftweg gewinnen, gehe dies zu Lasten des Asylbewerbers.

      



      65 BVerfG, Urteil vom 26.5.1993, BayVBl. 1993, 623.
      66 Lagebericht Türkei des Auswärtigen Amtes vom 10.4.1997, 15.