Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law Logo Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law

You are here: Publications Archive Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993

Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


Home | Inhalt | Zurück | Vor

Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


610. DEUTSCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.91/1

Auch Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften kann eine Einbürgerung nach §8 RuStAG zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit verweigert werden, wenn sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgeben.

In order to avoid multiple nationality, naturalization may be denied to nationals of other member states of the European Communities as to other foreign nationals pursuant to §8 of the Law on Nationality (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz) if they do not relinquish their previous citizenship.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 15.4.1991 (1 B 175.90), StAZ 1992, 43 mit Anmerkung von Silagi (ZaöRV 53 [1933], 382 f.)

Einleitung:

      Klägerin ist eine mit einem Deutschen verheiratete britische Staatsangehörige, die erfolglos ihre Einbürgerung erstrebte, weil sie ihre britische Staatsangehörigkeit nicht aufgeben wollte. Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt.

Entscheidungsauszüge:

      Der Ehegatten Deutscher nach §9 Abs.1 RuStAG zustehende grundsätzliche Einbürgerungsanspruch setzt u.a. voraus, daß sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben. Diese Voraussetzung gilt ohne Rücksicht darauf, welche Staatsangehörigkeit der Bewerber besitzt. Das Gesetz nimmt auch Bewerber aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften von diesem Erfordernis nicht aus.
      Eine Einbürgerung der Klägerin kann daher nur aufgrund der allgemeinen Einbürgerungsermächtigung des §8 Abs. 1 RuStAG in Betracht kommen, die den Verlust oder die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht zwingend voraussetzt ... Nach dieser Vorschrift steht die Einbürgerung bei Vorliegen der gesetzlichen Mindestvoraussetzungen im Ermessen der Behörde. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ... ist geklärt, daß sich die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem Ziel leiten lassen darf, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Sie hält sich grundsätzlich im Rahmen ihres Ermessens, wenn sie eine zu Mehrstaatigkeit führende Einbürgerung ablehnt. Das gilt auch gegenüber Bewerbern mit deutschen Ehegatten. Die Ermessensermächtigung des §8 Abs.1 RuStAG ermöglicht die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit, gebietet sie aber nicht. Inwieweit Ausnahmen von dem Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit gemacht werden sollen, ist im wesentlichen eine - nicht von den Gerichten zu beantwortende - Frage der Einbürgerungspolitik. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, daß diese Rechtsprechung verfassungsrechtlich unbedenklich ist (... NJW 1991, 633).
      Für Bewerber aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften gelten diese Grundsätze ebenfalls. Soweit die Behörden bei der Einbürgerung darauf hinwirken, Mehrstaatigkeit zu vermeiden, verfolgen sie nicht ein von der Exekutive autonom gesetztes Ziel, sondern ein gesetzlich festgelegtes Interesse, das in den §§9 Abs.1 Nr.1, 25 Abs.1 RuStAG und in dem innerstaatlich anwendbaren Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963 (BGBl. 1969 II S.1954, 1962/1974 II S.1588) zum Ausdruck kommt. Diese Regelungen zielen auf die Vermeidung von Mehrstaatigkeit auch im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften. Der deutsche Gesetzgeber hat die von der Klägerin angesprochene Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften zu einem "Europa der Bürger" und zu einer Europäischen Union bisher nicht zum Anlaß genommen, von dem Ziel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit im Verhältnis zu den EG-Mitgliedstaaten abzurücken. Das Europäische Parlament hat übrigens noch im Jahre 1984 die Ausarbeitung einer Empfehlung gefordert, die u.a. gleiche Rechte für Mann und Frau hinsichtlich der Übertragung der Staatsangehörigkeit bei der Eheschließung zwischen Ehegatten verschiedener Staatsangehörigkeit vorsieht, "jedoch unter Beibehaltung des Grundsatzes, den Erwerb mehrerer Staatsangehörigkeiten zu vermeiden" (EuGRZ 1984, 167). Bestrebungen im Rahmen des Europarates, doppelte Staatsangehörigkeiten bei gemischt nationalen Ehen zuzulassen ..., haben ebenfalls noch keinen Niederschlag in der deutschen Rechtsordnung gefunden. Der Gesetzgeber hat vielmehr durch die am 1.1.1991 in Kraft getretenen §§85 ff. des Ausländergesetzes vom 9.7.1990 (BGBl. I S.1354) seinen Willen bestätigt, bei der Einbürgerung Mehrstaatigkeit möglichst zu vermeiden ..., und zwar auch im Verhältnis zu den EG-Mitgliedstaaten. Diese neuen Vorschriften, die den Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit berücksichtigen, sollen vor allem die Einbürgerung der aufgrund von Anwerbevereinbarungen aufgenommenen Ausländer erleichtern ... Die Vorschriften beziehen sich danach gerade auch auf Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, denn die Bundesrepublik Deutschland hatte mit mehreren dieser Staaten solche Vereinbarungen abgeschlossen. Es kann daher kein rechtsfehlerhafter Ermessensgebrauch darin erblickt werden, daß der Beklagte im Rahmen seines Einbürgerungsermessens gegenüber Angehörigen der EG-Mitgliedstaaten, also auch gegenüber britischen Staatsangehörigen, weiterhin das Ziel verfolgt, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Er berücksichtigt damit ein gesetzlich konkretisiertes staatliches Interesse und läßt sich folglich von einer dem Zweck der Ermessensermächtigung entsprechenden Erwägung leiten. ...
      Des weiteren greift das Vorbringen der Klägerin nicht durch, daß das britische Staatsangehörigkeitsrecht keinen Wert auf die Vermeidung von Mehrstaatigkeit lege. Für den Inhalt der Ermessensermächtigung des §8 Abs.1 RuStAG sind die gesetzlichen Wertungen der deutschen Rechtsordnung maßgebend. Da der Gesetzgeber den Eintritt von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung zu vermeiden wünscht und daran auch im Verhältnis zu Großbritannien nicht durch vorrangiges Recht gehindert ist, haben die Einbürgerungsbehörden diese Wertung in ihre Ermessensabwägung einzubeziehen.
      Auch sonst liegt keine Entwicklung vor, nach der es nicht mehr als rechtmäßig gelten könnte, daß die Behörden bei Ermessenseinbürgerungen das Ziel verfolgen, Mehrstaatigkeit tunlichst zu vermeiden ... Zwar wird in jüngster Zeit zunehmend eine vermehrte Hinnahme von Mehrstaatigkeit insbesondere zur Integration eingewanderter Arbeitnehmer und ihrer Familien befürwortet und in der Praxis der Staaten akzeptiert. Der - zudem freiwillig herbeigeführten - Gefahr der Rechtsunsicherheit vor allem im Internationalen Privatrecht mag heute auch weniger Gewicht als früher beizumessen sein, namentlich dann, wenn die Kinder einer staatsangehörigkeitsrechtlichen Mischehe ohnehin Mehrstaater sind. Desgleichen mag die Gefahr erheblicher Pflichten- bzw. Loyalitätskonflikte innerhalb der EG-Mitgliedstaaten angesichts des Entwicklungsstandes der Gemeinschaften gering sein. In der Staatenpraxis besteht aber weiterhin die Tendenz, den Personalbestand und damit die Personalhoheit durch die Ausschließlichkeit der jeweils eigenen Staatsangehörigkeit - freilich unter Anerkennung mehr oder weniger umfassender Ausnahmen - klar abzugrenzen. Im Hinblick auf die einen Personalbestand zuordnende und damit zwischen den Staaten abgrenzende Wirkung der Staatsangehörigkeit gilt danach Mehrstaatigkeit auch gegenwärtig als atypisch und regelmäßig nicht im staatlichen Interesse liegend. Abgesehen von der Vermeidung unerwünschter Bevorzugungen, die mit Mehrstaatigkeit verbunden sein können, kommt hinzu, daß die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit auch als Ausdruck der "Zuordnung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland" verstanden wird. Bei der Begründung der Staatsangehörigkeit im Wege der Einbürgerung legt der Gesetzgeber im Interesse grundsätzlicher gegenseitiger Loyalität und Treue hierauf Wert ...