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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997


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Lars-Jörgen Geburtig


VIII. Asylrecht

3. Anderweitiger Verfolgungsschutz, Drittstaaten-Regelung

       54. In seinem Urteil vom 6.5.1997 (BVerwG 9 C 56.96 - BVerwGE 104, 347 = DVBl. 1997, 1389 = DÖV 1997, 922 = InfAuslR 1997, 422) entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, auch nicht als Familienasylberechtigter nach § 26 AsylVfG anerkannt werden kann. Zwar sei es nach dem Wortlaut des § 26 a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht eindeutig, ob nur derjenige nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, der aus einem sicheren Drittstaat einreist und sich auf das Grundrecht aus Art. 16 a Abs. 1 GG beruft oder ob sich der Ausschluß vom Asylrecht bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat darüber hinaus auch auf die einfachrechtliche Gewährung von Familienasyl nach § 26 AsylVfG erstreckt. Aus der Systematik des Gesetzes und des Zwecks der Norm ergebe sich jedoch, daß § 26 a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG grundsätzlich auch für Familienangehörige eines nach Art. 16 a Satz 1 GG Asylberechtigten gilt, die aus einem sicheren Drittstaat eingereist sind. Die Einreise in den sicheren Drittstaat mache die Gewährung von Familienasyl zum Schutz vor einer möglichen Einbeziehung in die Verfolgung des Stammberechtigten entbehrlich. Auch der Zweck des Familienasyls, allen Angehörigen der Flüchtlingsfamilie zu einem einheitlichen Rechtsstatus zu verhelfen, stehe der Anwendung der Drittstaatenregelung auf den Anspruch aus § 26 AsylVfG nicht entgegen. Nach der Neuregelung des Asylrechts sei eine Durchbrechung der Drittstaatenregelung nur für wenige Ausnahmefälle vorgesehen, u.a. dann, wenn der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland gewesen ist. Demjenigen, der nicht selbst gefährdet ist, sondern Familienasyl lediglich zur Fortführung der familiären Gemeinschaft erstrebt, sei die Beantragung eines Sichtvermerks vor der Einreise nach Deutschland zumutbar. Wer selbst verfolgt sei und deshalb unverzüglich sein Heimatland verlassen müsse, sei auch im sicheren Drittstaat außer Gefahr. Er könne ein eigenes Asylverfahren einleiten und nach seiner Anerkennung die Zusammenführung der Familie erreichen.

       55. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2.9.1997 (9 C 5.97 - DVBl. 1998, 273) setzt die Anwendung der Drittstaatenregelung nicht voraus, daß der einzelne Ausländer bei seinem Aufenthalt im Drittstaat individuell die Möglichkeit gehabt haben muß, ein Schutzgesuch anzubringen. Es komme in erster Linie darauf an, ob der Ausländer tatsächlich Gebietskontakt zu dem sicheren Drittstaat gehabt habe, ohne daß es weiter von Bedeutung sei, ob er etwa im Rechtssinne in den Drittstaat "eingereist" und von dort in die Bundesrepublik "ausgereist" ist. Daher habe ein Ausländer auch dann keinen Anspruch auf Asyl, wenn er in einem verschlossenen und verplombten LKW nach Deutschland einreist, weil er bei dem von ihm gewählten Fluchtweg über zumindest einen sicheren Drittstaat in Kauf genommen hat, dort ein Schutzgesuch tatsächlich nicht anbringen zu können. Diese subjektive Schutzlosigkeit im Drittstaat falle eindeutig in den Verantwortungsbereich des Ausländers mit der Folge, daß er sich gemäß Art. 16 a Abs. 3 GG nicht auf das Asylgrundrecht aus Art. 16 a Satz 1 GG berufen kann.