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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

10. Steuerpolitik

       141. Der Bundesfinanzhof hatte sich in seinem Beschluß vom 25.11.1997 (VII B 57/97 - Deutsches Steuerrecht 1998, 764 = HFR 1998, 489) mit einem Fall auseinanderzusetzen, in dem das HZA Zoll nacherhoben hatte, das daraufhin angerufene FG aber entschieden hatte, daß das HZA den auf die Einfuhren entfallenden Zoll nicht hätte nacherheben dürfen, weil die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. B VO (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex-ZK) des Rates vom 12.10.1992100 im Streitfall erfüllt seien. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügte das HZA, daß das FG trotz seiner von der des HZA abweichenden Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK dem Antrag des HZA nicht gefolgt sei, das Klageverfahren auszusetzen, um dem HZA Gelegenheit zu geben, im Rahmen des Art. 871 VO (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2.7.1993101 eine Entscheidung der Kommission über die Anwendbarkeit des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK herbeizuführen. Der BFH wies die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurück. Zur Vorgängervorschrift des Art. 871 ZKDVO habe der EuGH mehrfach entschieden, die Vorschrift sei dahin gehend auszulegen, daß die zuständigen Behörden des einführenden Mitgliedstaates die Kommission nicht um eine Entscheidung darüber, ob von der Nacherhebung abgesehen werden kann, ersuchen müssen, wenn nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen der entsprechenden Vorschrift (jetzt Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK) nicht erfüllt sind. Diese Auslegung treffe in gleicher Weise für Art. 871 ZKDVO zu. Danach seien der Kommission nur solche Fälle zur Prüfung vorzulegen, in denen die nationale Zollbehörde der Auffassung ist, daß ein Absehen von der Nacherhebung in Betracht kommt. Anders als die Zollbehörden seien aber die Gerichte nicht verpflichtet, den Fall der Kommission zur Prüfung vorzulegen, wenn sie zu dem Ergebnis kommen, daß die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK vorliegen. Denn Art. 871 ZKDVO richte sich nur an die Zollbehörden, nicht aber an die Gerichte, die bereits nach Art. 177 EGV verpflichtet sind, den EuGH um eine Vorabentscheidung der sich bei Auslegung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK eventuell ergebenden Zweifelsfragen zu ersuchen. Daraus ergebe sich eine deutliche Trennung zwischen dem Verwaltungsverfahren einerseits und dem gerichtlichen Verfahren andererseits, die dazu führe, daß eine Vorlage des Falles an die Kommission nicht mehr in Betracht kommt, wenn die Sache gerichtshängig geworden ist, nachdem die Zollbehörde die Abgaben nacherhoben und damit ausdrücklich oder implizit das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK für ein Absehen von der Nacherfassung verneint hat.

       142. In seinem Beschluß vom 17.12.1997 (I B 108/97 - DStR 1998, 598 = EuZW 1989, 383 = HFR 1998, 653 = BFHE Bd. 185, 30) entschied der Bundesfinanzhof, daß die Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 Außensteuergesetz (AStG) nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Eine Vorlagepflicht wegen dieser Rechtsfrage gemäß Art. 177 EGV an den EuGH scheide zum einen mit Rücksicht auf das summarische Verfahren gemäß § 69 Abs. 3 FGO aus, zum anderen sei sie in der Sache auch nicht geboten. Die vom EuGH in seinem Urteil vom 26.1.1993, Rs. C-112/91 - Werner -102 vertretene Auffassung, daß sich ein Deutscher nicht gegenüber Deutschland auf die Verletzung des Art. 52 EGV berufen kann, wenn seine einzige Auslandsberührung aus dem Wohnsitz in einem anderen EG-Mitgliedstaat besteht, habe der EuGH bisher nicht aufgegeben. Entscheidend sei deshalb, daß der Antragsteller ein Deutscher ist, der in Belgien seinen Wohnsitz genommen hat, jedoch weiterhin nur in Deutschland seine Berufstätigkeit ausübt. Sein belgischer Wohnsitz sei seine einzige Auslandsberührung. Damit könne er sich gegenüber Deutschland nicht auf eine Verletzung der Art. 48, 52, 59 und/oder 67 EGV berufen. Er nehme gegenüber Deutschland weder Rechte aus dem EGV wahr, noch befinde er sich in einer mit einem EU-Ausländer vergleichbaren Situation. Der Senat sehe im Streitfall auch weder Art. 6 EGV noch Art. 8 a EGV als verletzt an. Art. 6 EGV verbietet die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. § 6 Abs. 1 AStG knüpfe die Besteuerung jedoch nicht an die deutsche Staatsangehörigkeit. Art. 8 a EGV schütze nur die Freizügigkeit, d.h. das Recht auf freie Bewegung und freien Aufenthalt. Es sei schon fraglich, ob Art. 8 a EGV das Recht auf freie Wohnsitznahme einschließe. Selbst wenn man dies jedoch unterstelle, schütze Art. 8 a EGV nicht vor einer Besteuerung aus Anlaß des Wegzugs aus dem bisherigen Wohnsitzstaat. Art. 8 a EGV garantiere die Freizügigkeit nur unter gleichzeitiger Wahrung der finanziellen Interessen des bisherigen Ansässigkeitsstaates. Solange ein Mitgliedstaat der EU sein Besteuerungsrecht nur deshalb an den Wegzug anknüpfe, um es im Verhältnis zu den DBA durchsetzen zu können, handele er in Wahrung seiner berechtigten finanziellen Interessen. Der Senat habe weiter erwogen, ob der Antragsteller aus Gründen des Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit einem anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen habe, der zugleich Staatsangehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaates sei und nach Belgien auswandere, um dort tätig zu werden. Der Senat müsse über die Existenz eines entsprechenden Gleichbehandlungsgebotes aber nicht entscheiden, weil die unterstellte Verletzung der Art. 48, 52 und/oder 59 EGV jedenfalls gerechtfertigt wäre. Die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten erlaube diesen, ihr Steuersystem nach eigenem Ermessen auszugestalten. Dadurch bedingte Beschränkungen der Grundfreiheiten müßten hingenommen werden, wenn Sie unvermeidbar seien, um das Funktionieren des Steuersystems zu gewährleisten. Diese Voraussetzung sei im Streitfall schon deshalb erfüllt, weil angesichts der Regelung im DBA-Belgien der Zeitpunkt der Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht der letzte ist, in dem die stillen Reserven innerhalb einer wesentlichen Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft berechtigterweise noch besteuert werden können. Will Deutschland sein Besteuerungsrecht auf diese stillen Reserven nicht aufgeben, könne es dies im Falle eines Wegzugs nur mit der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 AStG durchsetzen.

       143. Das FG Baden-Württemberg entschied in seinem Urteil vom 17.7.1997 (10 K 309/96 - EFG 1997, 1442), daß die Beteiligung einer inländischen Kapitalgesellschaft an einer irischen, niedrig besteuerten Wertpapierhandelsgesellschaft zwecks gewinnbringender Anlage liquider Mittel ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts ist, wenn die Abwicklung der Wertpapiergeschäfte durch eine Managementgesellschaft erfolgt (outsourcing). Der Tatbestand des § 42 AO sei somit erfüllt. Die Einkünfte der Klägerin aus Irland unterliegen nach Auffassung des FG damit der deutschen Körperschaftssteuer. Die Anwendung von § 42 AO im Streitfall verstoße nicht gegen das Recht der EG. § 42 AO werde nicht generell, sondern nur im Einzelfall auf gemeinschaftsrechtliche Rechtsbeziehungen angewandt. Das Gemeinschaftsrecht führe aber nicht dazu, daß § 42 AO auch im Einzelfall unanwendbar wäre. Der Mißbrauchsbegriff nach Gemeinschaftsrecht verdränge nicht den inländischen § 42 AO. Die Klägerin könne sich nicht auf Gemeinschaftsrecht berufen, um sich bei der inländischen Besteuerung einschränkenden nationalen Vorschriften zu entziehen. Die Genehmigung der steuerlichen Begünstigung der irischen Gesellschaft durch die EG-Kommission sei nicht berührt, wenn der Beklagte nach der deutschen, nationalen Besteuerung der Klägerin die Zwischenschaltung der Managementgesellschaften als rechtsmißbräuchlich behandle. Dadurch "hebele" der Beklagte die gemeinschaftsrechtliche Fördermaßnahme nicht aus. Zudem sei das wettbewerbsrechtliche Einverständnis der EG-Kommission nach Art. 93 EGV eine Entscheidung, die nach Art. 189 EGV nur verbindlich sei gegenüber dem Staat, der die Maßnahme getroffen hat. Im Streitfall sei dies allein Irland. Die Maßnahme des Beklagten verletze auch nicht die Niederlassungsfreiheit der Klägerin gemäß Art. 52, 58 EGV. Die faktische Behinderung der Klägerin durch den Herkunftsstaat (Deutschland) bei Zwischenschaltung von Managementgesellschaften sei nur eine Behinderung einer steuerlich unangemessenen Gestaltung der Klägerin, die durch Gemeinschaftsrecht auch nicht gedeckt sei, wenn die mißbräuchlichen Gestaltungen über irische Kapitalgesellschaften erfolgen. Trotz Lizenzvergabe durch die irischen Behörden habe der Beklagte ohne Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Instrumentariums durch eine einzelstaatliche Maßnahme die Besteuerung der Klägerin nach inländischem Recht überprüfen können. Auch Art. 5 Abs. 2 EGV stehe dem nicht entgegen. Die Anwendung nationaler Vorschriften bei der inländischen Besteuerung stehe nicht im Widerspruch zu dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gemeinschaftstreue.

       144. Das Hessische FG gab mit Beschluß vom 18.7.1997 (3 V 1449/97 - EFG 1997, 1314) einem Antrag statt, der auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommenssteuerbescheids hinsichtlich des Differenzbetrages gerichtet war, der sich daraus ergab, daß dem in Deutschland arbeitenden Antragsteller die Zusammenveranlagung mit seiner in Großbritannien lebenden Ehefrau verweigert und er statt dessen einzelveranlagt wurde. Der Senat sei im Rahmen der summarischen Prüfung der Auffassung, daß erhebliche Gründe dafür sprechen, daß die in § 1a EStG getroffene Regelung nicht ausreicht, um den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt ohne Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 48 EGV zu lösen. Nach § 1a EStG kann die Zusammenveranlagung eines im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmers mit seinem im EU-Ausland lebenden Ehegatten nur unter der Voraussetzung erfolgen, daß das Familieneinkommen zumindestens 90 v. H. der deutschen Einkommenssteuer unterliegt oder aber daß die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 24.000,-- DM betragen. Der EuGH habe darauf hingewiesen, daß das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates dort seine Grenzen finde, wo ihm eine familiengerechte Besteuerung seiner Gebietsangehörigen deswegen nicht mehr gelinge, weil sie ihr wesentliches Arbeitseinkommen in einem anderen EU-Staat verdienen und im Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte haben103. Der Senat entnehme den Ausführungen des EuGH im zitierten Urteil weiter, daß den Bürgern von EU-Staaten aus grenzübergreifenden Tätigkeiten in der EU keine gravierenden steuerlichen Nachteile erwachsen dürfen. Durch die Rechtsprechung des EuGH auf dem Gebiet der direkten Besteuerung sei eine dynamische Rechtsentwicklung eingeleitet worden, die der nationale Gesetzgeber möglicherweise noch nicht in allen Einzelheiten nachvollzogen habe. Diese Erkenntnis wirke sich auch bei der rechtlichen Beurteilung des Streitfalles aus. Der Antragsteller habe im Streitjahr seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt und müsse daher im Streitjahr sein Welteinkommen im Inland erklären und versteuern. Ihm sei damit die Möglichkeit genommen, sein Arbeitseinkommen in Großbritannien zu deklarieren und die darauf entfallenden dortigen steuerlichen Familienvergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Unter diesen Umständen könnte die Bundesrepublik Deutschland im Wege der Gleichstellung verpflichtet sein, dem Antragsteller auch die Möglichkeit der Zusammenveranlagung mit seiner in Großbritannien lebenden Ehegattin einzuräumen und ihm alle familienbezogenen Steuervergünstigungen zu gewähren, die auch den gebietsansässigen, unbeschränkt steuerpflichtigen Bürgern zustehen. Der Senat teile insoweit die Auffassung des Antragstellers, daß in seiner gesetzlichen Beschränkung auf eine Einzelveranlagung im Inland ein möglicher Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 48 EGV liegen könne.

      



      100 ABl.EG Nr. L 302/1.
      101 ABl.EG Nr. L 253/1.
      102 EuGH, Slg. 1993, I-429.
      103 EuGH, Urteil vom 14.2.1995, Rs. C-279/93; Slg. I 1995, 225.