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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1500. DEUTSCHLANDS RECHTSLAGE NACH 1945

Nr.89/1

Das Bundesverwaltungsgericht kann ungeachtet des Berlin-Vorbehalts der Westalliierten zum Grundgesetz in Disziplinarverfahren gegen Bundesbeamte rechtsprechende Gewalt ausüben.

The Federal Administrative Court's jurisdiction extends to disciplinary proceedings against federal civil servants, irrespective of the "Berlin reservation" which the Western Allied Powers formulated when approving the Basic Law.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1.2.1989 (1 D 2.86), BVerwGE 86, 99 (ZaöRV 51 [1991], 181) (s.231.1 [89/1])

Einleitung:

      (S.231.1 [89/1]). Der Beamte zog die Rechtsprechungsbefugnis des als Bundesgericht in Berlin ansässigen Bundesverwaltungsgerichts in Zweifel, weil die Bundesrepublik Deutschland in Berlin keine Hoheitsgewalt ausüben dürfe.

Entscheidungsauszüge:

      1. Die für Berlin geltenden statusrechtlichen Vorbehalte der Alliierten stehen der Rechtsprechungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin nicht entgegen. Der hier allein in Betracht kommende, schon im Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz vom 12. Mai 1949 (VOBl. BZ S.416) niedergelegte Vorbehalt, daß "Berlin ... nicht durch den Bund regiert ... wird", findet sich auch in Teil II Abschnitt B des Viermächte-Abkommens vom 3. September 1971 (Beilage zum BAnz. Nr.174 vom 15. September 1972, S.44). Danach dürfen die Westsektoren Berlins ungeachtet der Möglichkeit, deren Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, "auch weiterhin nicht von ihr regiert werden". Dieser Vorbehalt wird durch die Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht verletzt.
      Zur näheren Kennzeichnung des Begriffs "regieren" ergibt sich aus Anlage II Nr.2 des Abkommens, daß die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland in den Westsektoren Berlins "keine Verfassungs- oder Amtsakte vornehmen", die im Widerspruch zu dem genannten Vorbehalt stehen. Die drei Botschafter der Westmächte haben in einem Schreiben an den Bundeskanzler "betreffend Klarstellungen und Interpretationen zum Viermächte-Abkommen" (Beilage zum BAnz. Nr.174 vom 15. September 1972, S.61) hierzu erläuternd ausgeführt, daß unter Verfassungs- und Amtsakten im Sinne der Anlage II Nr.2 des Abkommens "Akte in Ausübung unmittelbarer Staatsgewalt über die Westsektoren Berlins verstanden werden". In dem Schreiben ist ferner klargestellt, daß "staatliche Organe" im Sinne des Abkommens auch alle Bundesgerichte sind. Dieses Schreiben ist zur Auslegung des Viermächte-Abkommens vom 3. September 1971 heranzuziehen. Die drei Westmächte haben es vorher mit der Sowjetunion abgestimmt; die sowjetische Regierung hat Empfang und Kenntnisse vor Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens bestätigt (Antwort der Bundesregierung vom 28. Januar 1972 auf eine Parlamentarische Anfrage in Stenographische Berichte des Bundestages, 6.WP S.9608).
      Hiernach kann der statusrechtliche Vorbehalt nur Bedeutung gewinnen, wenn die in Betracht kommende Entscheidung "Ausübung unmittelbarer Staatsgewalt über die Westsektoren Berlins" wäre. Dabei ist unerheblich, ob das Tätigwerden des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Verfahren als Verwaltungshandeln zu werten ist, wie die Verteidiger des Beamten annehmen, oder Ausübung von Rechtsprechung darstellt, wovon der Senat ausgeht. Der Begriff "regieren" im statusrechtlichen Vorbehalt ist nicht im Sinne des deutschen Rechts allein als Ausübung von Verwaltungstätigkeit zu verstehen. Auch die rechtsprechende Tätigkeit ist mitumfaßt (BVerfGE1, 70 [73]; 7, 1 [14]). Kommt es somit darauf an, ob mit der hier zu treffenden Entscheidung unmittelbare Staatsgewalt über die Westsektoren Berlins ausgeübt wird, so trifft das schon vom Ansatz her nicht zu; denn es handelt sich um ein nach den Regelungen eines Bundesgesetzes gegen einen Bundesbeamten mit dienstlichem und privatem Wohnsitz außerhalb von Berlin gerichtetes förmliches Disziplinarverfahren, das ausschließlich das Rechtsverhältnis des Beamten zur Bundesrepublik Deutschland betrifft. Es stellt sich deshalb auch nicht die Frage, ob und in welchem Umfang die das Disziplinarverfahren regelnden Bestimmungen der Bundesdisziplinarordnung wirksam durch das Land Berlin übernommen worden sind. Die Rechtsstellung Berlins wird durch das Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt berührt.
      Auch eine weitere Überlegung spricht dafür, daß die Tätigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin statusrechtlich unbedenklich ist. In dem angeführten Interpretationsschreiben wird unter Buchstabe b für im einzelnen benannte staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland die Präsenz in Berlin eingeschränkt. Dies gilt nicht für das Bundesverwaltungsgericht; es wird in der abschließenden Aufzählung nicht erwähnt. Statusrechtlich erhält damit Bedeutung, daß das Bundesverwaltungsgericht bereits seit dem Jahre 1953 seine Tätigkeit in Berlin ausübt und seit 1967 anstelle des 1953 in Berlin errichteten und 1967 aufgelösten Bundesdisziplinarhofs auch die Funktion der Berufungsinstanz in der Disziplinargerichtsbarkeit für Bundesbeamte wahrnimmt. Vor diesem Hintergrund kann die im Viermächte-Abkommen enthaltenen Anerkennung der bestehenden Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland nur bedeuten, daß das Tätigwerden des Bundesverwaltungsgerichts auch als oberste Instanz in der Disziplinargerichtsbarkeit des Bundes mit dem Berlinstatus vereinbar ist.