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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998


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Kai Peter Ziegler


XIII. Europäische Gemeinschaften

5. Freizügigkeit

       106. Der BFH hatte in seinem Beschluß vom 24.3.1998 (I B 100/97 - DStR 1998, 1046) ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der 90%-Grenze der §§ 1 a Abs. 1 Nr. 2; 1 Abs. 3 S. 2 EStG mit Art. 48 EGV. Ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sei nicht zu verlangen, wenn die Verletzung des EGV ernstlich in Betracht komme. Ein britischer Pilot mit Hauptwohnsitz in Großbritannien, wo auch seine Frau und Tochter lebten, hatte einen zweiten Wohnsitz bei Frankfurt. Im Streitjahr hielt er sich in Großbritannien nur geringfügig auf und wurde nach britischem Steuerrecht als non resident behandelt. Er verdiente in Frankfurt ca. TDM 188 brutto, während seine Ehefrau in Großbritannien ca. TDM 38 erzielte. Er beantragte vergeblich die gemeinsame Veranlagung mit seiner Ehefrau. Das FA erließ einen Bescheid nur gegenüber dem Beschwerdegegner, weil das Familieneinkommen nicht zu mindestens 90% aus Deutschland bezogen worden sei. Der Pilot legte Einspruch ein und beantragte vor dem FG erfolgreich die Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzamt legte erfolglos Beschwerde zum BFH ein. Der BFH führte dazu aus, daß das FG Köln in einer anderen Rechtssache140 dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt habe, ob die §§ 1 Abs. 3 S. 2 i.V.m. 1 a Abs. 1 Nr. 2 EStG gegen Art. 48 EGV verstoßen würden, wenn ein niederländisches Ehepaar ohne Wohnsitz in Deutschland Einkünfte im In- und Ausland erziele und sie i.R.d. § 26 Abs. 1 S. 1 EStG nicht als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt würden, weil die gemeinsamen Einkünfte nicht mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterlägen. Der Senat könne nicht ausschließen, daß der EuGH eine Verletzung von Art. 48 EGV bejahen werde. Der vorliegende Streitfall sei zwar etwas anders gelagert, da hier nur die Anwendung des Splittingtarifs streitig sei. Für die Zwecke des Aussetzungsverfahrens sei jedoch davon auszugehen, daß eine Familienbesteuerung in Großbritannien nicht in Betracht komme, weil der Antragsteller dort als non resident eingestuft worden sei und daher im Streitjahr dort nicht als ansässig i.S.d. Art. II Abs. 1 lit. h (i) DBA-GB gegolten habe. Sei Art. 48 EGV aber verletzt, so könne der Beschwerdegegner Anspruch auf Anwendung des Splittingtarifs auf sein in Deutschland zu versteuerndes Einkommen unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehaltes haben, so daß die beim EuGH anhängige Entscheidung unmittelbaren Einfluß auf den Streitfall haben könne. Die Rechtsprechung des BFH zur Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden wegen der Verfassungswidrigkeit zugrundeliegender Vorschriften sei nicht auf Verletzungen des EGV zu übertragen. Der BFH verlange für die Aussetzung nämlich ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Geltungsanspruch des verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung. Während die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Gesetzesnorm aber ausschließlich dem BVerfG obliege, sei Art. 48 Abs. 2 EGV als unmittelbar geltendes Recht von jedem Gericht zu beachten. Schon die Anhängigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH, mit der Möglichkeit einer streiterheblichen Verletzung von Art. 48 EGV, müsse daher zu ernstlichen Zweifeln an der Reccfmäßigkeit des angefochtenen Bescheides führen, die eine Aussetzung der Vollziehung durch das FG rechtfertigen würden. Bei der unterschiedlichen Berechnung ergebe sich hier zudem ein Differenzbetrag von über TDM 21, so daß die verfügte Aussetzung der Abwendung wesentlicher Nachteile von dem Beschwerdegegner diene.

       107. Der bayerische VGH erklärte mit Urteil vom 9.11.1998 (3 B 96.34 - BayVBl. 1999, 245), daß die Tätigkeit im öffentlichen Dienst eines anderen EG-Mitgliedstaates nach § 28 Abs. 2 BBesG bei der Festlegung des Beginns des Verwaltungsdienstalters zwar nicht berücksichtigungsfähig sei, sich ein solcher Anspruch für einen Hochschullehrer jedoch aus Art. 48 Abs. 2 EGV i.V.m. Art. 7 Abs. 1 VO 1612/68/EWG141 ergebe. Eine Universität setzte das Besoldungsdienstalter eines wissenschaftlichen Assistenten im Beamtenverhältnis auf Zeit so fest, daß eine Gastprofessur an der Universität Salamanca nicht berücksichtigt wurde. Seine Klage hatte Erfolg. Der VGH bestätigte die Entscheidung und führte dazu u.a. aus, daß eine Berücksichtigung der Tätigkeit des Klägers im spanischen Staatsdienst nach § 28 Abs. 2 S. 1 und 4 BBesG nicht möglich sei, sich jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH142 ein Anspruch des Klägers aus Art. 48 Abs. 2 EGV bzw. aus Art. 7 Abs. 1 VO 1612/68/EWG ergebe. Der Kläger habe Leistungen auf Weisung gegen Vergütung erbracht und sei damit Arbeitnehmer i.S.d. Art. 48 Abs. 2 EGV gewesen. Seine Tätigkeit unterfalle auch nicht dem Vorbehalt des Art. 48 Abs. 4 EGV, weil er keine verbindlichen Anordnungen über Belastungen oder Begünstigungen zu treffen und keine Leitungsfunktionen innehabe. Das Besoldungsdienstalter diene der Feststellung der Grundgehaltsstufe für Beamten, so daß die Nichtberücksichtigung der Dienstzeit in einem anderen Mitgliedstaat zu einer unterschiedlichen Entlohnung führe, die Art. 48 Abs. 2 EGV i.V.m. Art. 7 Abs. 1 VO 1612/68/EWG untersage und die sich nach der Rechtsprechung des EuGH143 auch mit der Beamteneigenschaft des Klägers nicht rechtfertigen lasse.

      



      140 FG Köln, Beschluß vom 27.10.1997, Frans Gschwind./.FA Aachen-Außenstadt, Az. 1 K 422/97, IStR 1997, 755.
      141 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABlEG Nr. L 257 vom 19.10.1968, 2-12.
      142 EuGH, Urteil vom 28.6.1984, Rs. 180/83, Slg. 1984, 2539; Urteil vom 23.2.1994, Rs. C-419/92, Slg. 1994, 505.
      143 EuGH, Urteil vom 15.1.1998, Rs. C-15/96, Slg. 1998, 47.