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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1847. GLEICHBERECHTIGUNG VON MÄNNERN UND FRAUEN

Nr.92/2

[a] Eine von Art.119 EWG-Vertrag ebenfalls erfaßte mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts liegt nicht schon vor, wenn unter den von einer Rechtsnorm nachteilig Betroffenen erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts sind, sondern nur, wenn sich zugleich unter den von dieser Rechtsnorm Begünstigten erheblich mehr Angehörige des anderen Geschlechts befinden.

[b] Eine von einer Rechtsnorm vorgesehene Ungleichbehandlung läßt sich vor Art.119 EWG-Vertrag nur rechtfertigen, wenn mit ihr ein sachlicher, nicht auf das Geschlecht bezogener Zweck verfolgt wird und die Ungleichbehandlung zu dessen Erreichung geeignet und erforderlich ist.

[c] Die Unanwendbarkeit einer gegen Art.119 EWG-Vertrag verstoßenden tarifvertraglichen Bestimmung führt bis zu einer gemeinschaftsrechtsgemäßen Neuregelung dazu, daß die benachteiligte Gruppe entsprechend den Regeln für die begünstigte Gruppe zu behandeln ist.

[a] An indirect gender discrimination by a legal norm, also covered by Art.119 of the EEC Treaty, will not be established by merely showing that the large majority of the persons adversely affected by the norm belong to one sex, but only if it can be shown at the same time that the large majority of the norm's beneficiaries belong to the other sex.

[b] A legal norm providing for a differential treatment can only be justified under Art.119 of the EEC Treaty, if it pursues an objective goal unrelated to gender and if the differential treatment is well-suited and necessary for the attainment of this goal.

[c] If a provision of a collective bargaining agreement is rendered inapplicable because it contravenes Art.119 of the EEC Treaty, pending the agreement's readjustment to Community law standards, the members of the disadvantaged group will have to be treated according to the standards provided for the favored group.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2.12.1992 (4 AZR 152/92), EuZW 1993, 227 (ZaöRV 54 [1994], 543)

Einleitung:

      Die Klägerin ist bei der beklagten Universität auf einer Halbtagsstelle beschäftigt. Nach sechs Jahren begehrte sie ihre tarifliche Höhergruppierung im Wege des Bewährungsaufstiegs. Die Beklagte lehnte dies ab, weil die Klägerin die sechsjährige Bewährungszeit noch nicht erfüllt habe. Nach §23a Satz 2 Nr.6 des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) würden nämlich zurückgelegte Bewährungszeiten den Halbtagsbeschäftigten nur zur Hälfte angerechnet, so daß ein Bewährungsaufstieg für die Klägerin erst nach zwölf Jahren in Frage komme. Nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (Slg.1991, I-297 - Rs.C-184/89, Nimz) gab das Arbeitsgericht der Klage statt. Die Berufung der Beklagten blieb ebenso erfolglos wie ihre Revision.

Entscheidungsauszüge:

      IV. ... § 23a S.2 Nr.6 BAT ist wegen Verstoßes gegen Art.119 EWGV hier insoweit nicht anzuwenden, wie er eine lediglich hälftige Anrechnung von Beschäftigungszeiten, die in Teilzeitarbeit zurückgelegt worden sind, auf die ... erforderliche sechsjährige Bewährungszeit vorschreibt.
      1.a) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das in Art.119 EWGV enthaltene Gebot gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht, auf das sich der einzelne Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber und vor Gericht berufen kann ... Dieser Grundsatz ist unumstritten, das BAG hat ihn in seine Rechtsprechung aufgenommen (vgl. BAGE 66, 264 [270] ...).
      b) Dieses Gebot beansprucht nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Vorrang auch gegenüber Tarifverträgen (vgl. EuGH, Slg. I 1990, 2591 ... - Kowalska). Der EuGH ... hat auch in seiner im vorliegenden Fall ergangenen Vorabentscheidung entsprechend erkannt.
      aa) Eine Vorabentscheidung ist nicht nur, wie der EuGH bereits entschieden hat (EuGH, Slg.1977, 163 [183] - Benedetti), für das jeweils vorlegende Gericht hinsichtlich der Auslegung der betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen verbindlich. Darüber hinaus bindet das Vorabentscheidungsurteil, wenn nicht das Vorabentscheidungsverfahren nach Art.177 EWGV seinen Sinn verlieren soll, auch alle anderen Gerichte, die in derselben Sache zu entscheiden haben ... Dabei ist der Tenor eines aufgrund von Art.177 EWGV ergangenen Urteils im Lichte der Entscheidungsgründe zu verstehen (EuGH, Slg.1978, 855 [859]- Bosch). ...
      bb) Der Vorrang des gemeinschaftsrechtlichen Gebots der Entgeltgleichheit auch gegenüber Tarifverträgen ergibt sich nicht nur aus Art.119 EWGV, sondern auch aus der in Art.4 der Lohngleichheits-Richtlinie 75/117/EWG ausdrücklich festgelegten Verpflichtung, wonach die Mitgliedstaaten die Geltung von Tarifvertragsbestimmungen auszuschließen haben, die mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts nicht vereinbar sind ...
      2. Von der hier in Streit befindlichen Eingruppierung wird die Höhe der Vergütung der Klägerin bestimmt. Gegenstand des Rechtsstreits ist damit, wie auch der EuGH in seiner Vorabentscheidung ausdrücklich festgestellt hat, das Arbeitsentgelt der Klägerin i.S. des Art.119 EWGV.
      3. §23a S.2 Nr.6 BAT, nach dem in Teilzeitarbeit zurückgelegte Bewährungszeiten nur zur Hälfte anzurechnen sind, gilt zwar für Männer ebenso wie für Frauen. Diese Bestimmung verstößt aber insoweit gegen Art.119 EWGV, als sie eine mittelbare Diskriminierung von Frauen wegen ihres Geschlechts enthält.
      a) Zwar wird in Art.119 EWGV ebenso wie in der Lohngleichheits-Richtlinie 75/117/EWG ein Diskriminierungsverbot ausgesprochen, ohne daß dabei - im Unterschied zu späteren gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverboten, z.B. Art.2 Abs.1 Richtlinie 76/207/EWG über den Zugang zur Beschäftigung u.a. vom 9.2.1976 (ABlEG Nr.L 36 ..., S.40) - die mittelbare Diskriminierung ausdrücklich erwähnt würde. Es ist aber inzwischen unbestritten, daß Art.119 EWGV auch die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts erfaßt (vgl. nur die ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. Slg.1986, 1607 ... - Bilka-Kaufhaus GmbH; EuGH, EuZW 1992, 484 ... - Bötel). Das BAG hat sich dem in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (z.B. BAGE 66, 264 [270 f.] ...).
      b) aa) Eine für Männer und Frauen in gleicher Weise geltende Rechtsnorm enthält nach der Rechtsprechung des EuGH dann eine gegen Art.119 EWGV verstoßende mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn sie erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (EuGH, Slg.1989, 2743 ... - Rinner-Kühn; EuGH, Slg.I 1990, 2591 ... - Kowalska; EuGH, EuZW 1992, 484 ... - Bötel; ebenso die Vorabentscheidung im vorliegenden Fall). ...
      c) Das LAG hat im hier zu entscheidenden Fall die stärkere nachteilige Betroffenheit weiblicher Angestellter daraus gefolgert, daß - nach seinen unbestrittenen Feststellungen - über 90% der von der lediglich hälftigen Anrechnung von Beschäftigungszeiten auf die Bewährungszeit gemäß §23a S.2 Nr.6 BAT Betroffenen Frauen sind. Diese Feststellung reicht indessen für sich allein nicht aus, um die zahlenmäßigen Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung zu begründen.
      aa) Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts folgt nämlich nicht schon daraus, daß unter den von einer Rechtsnorm nachteilig Betroffenen erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts sind. Hinzukommen muß vielmehr, daß zugleich das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter unter den von dieser Rechtsnorm Begünstigten wesentlich anders ist. Wäre z.B. der Anteil der Frauen unter den von einer Vorschrift begünstigten Vollzeitbeschäftigten ebenso groß wie unter den von ihr benachteiligten Teilzeitarbeitnehmern, so würde es schon an der Grundvoraussetzung eines Verstoßes gegen den Lohngleichheitssatz des Art.119 EWGV fehlen, nämlich an einer im Ergebnis ungleichen Behandlung von Männern und Frauen.
      bb) Daß das Vorhandensein einer mittelbaren Diskriminierung nur anhand eines Vergleichs des zahlenmäßigen Verhältnisses der Geschlechter in der von der Norm begünstigten Gruppe mit demjenigen in der von der Norm benachteiligten Gruppe beurteilt werden kann, hat der EuGH schon in seinem grundlegenden Urteil vom 13.5.1986 (EuGH, Slg.1986, 1607 ... - Bilka-Kaufhaus GmbH) zum Ausdruck gebracht. Er hat in diesem Urteil die Beantwortung der Frage, ob eine für Teilzeitbeschäftigte ungünstige Regelung wesentlich mehr Frauen als Männer trifft, nämlich davon abhängig gemacht, ob in ihrem Anwendungsbereich ein erheblich geringerer Prozentsatz Frauen als Männer vollzeitbeschäftigt ist. Die Ermittlung dieser Prozentsätze setzt eine Rechenoperation voraus, die zunächst von der jeweiligen Gesamtzahl der im Anwendungsbereich der Norm vorhandenen Arbeitnehmer eines Geschlechts ausgeht und diese sodann in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte aufteilt. Damit ist diese Rechenoperation gleichbedeutend mit der Feststellung der Geschlechterverteilung unter den Vollzeit- und unter den Teilzeitbeschäftigten. ...
      Auch in späteren Urteilen zu Art.119 EWGV hat der EuGH eine mittelbare Diskriminierung davon abhängig gemacht, ob prozentual erheblich weniger Frauen als Männer unter den von einer Regelung Begünstigten (NZA 1990, 437) bzw. ob prozentual erheblich weniger Männer als Frauen unter den von einer Regelung Benachteiligten sind (EuGH, Slg.I 1990, 2591 ... - Kowalska).
      Ebenso hat der EuGH in seinem Urteil vom 7.5.1991 (EuGH, Slg.I 1991, 2205 [2228] ...) bei der Prüfung, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, ausdrücklich darauf abgestellt, wie sich die Geschlechterverteilung innerhalb der von einer Regelung begünstigten Gruppe zur Geschlechterverteilung innerhalb der von dieser Regelung benachteiligten Gruppe verhält. Zwar lag dieser Entscheidung nicht Art.119 EWGV zugrunde, sondern die Richtlinie 79/7/EWG vom 19.12.1978 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABlEG Nr.L 6 ..., S.24). Der EuGH hat aber in dieser Entscheidung ausdrücklich auf seine Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt verwiesen und damit deutlich gemacht, daß bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung für den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG dieselben Maßstäbe anzulegen sind wie im Anwendungsbereich des Art.119 EWGV.
      cc) Im Tenor der zum vorliegenden Rechtsstreit ergangenen Vorabentscheidung hat der EuGH zwar nicht mehr ausdrücklich die zur Prüfung erforderlichen Rechenschritte aufgeführt, sondern nur noch auf das Überwiegen des Frauenanteils in der von der Norm benachteiligten Gruppe abgestellt. In den Entscheidungsgründen hat er aber die mittelbare Diskriminierung in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung davon abhängig gemacht, ob prozentual erheblich weniger Männer als Frauen teilzeitbeschäftigt sind. Da der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe zu verstehen ist ..., kommt auch im vorliegenden Fall nur die unter bb) dargestellte Berechnungsmethode in Betracht.
      dd) Das LAG hat keine Feststellungen darüber getroffen, wie die Angestellten, für die §23a S.2 Nr.6 BAT keine Verdoppelung der Bewährungszeit vorschreibt, also die mit drei Viertel der wöchentlichen Regelarbeitszeit oder mehr beschäftigten Angestellten, auf Männer und Frauen verteilt sind. Dies ist aber unschädlich, denn es ist offenkundig, daß der Prozentsatz der Frauen unter diesen Angestellten erheblich unter dem Anteil von 90% liegt, den das LAG für die Teilzeitbeschäftigten festgestellt hat, für die §23a S.2 Nr.6 BAT die Verdoppelung der Bewährungszeit vorschreibt. So ergibt sich aus der im Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH von der Bundesregierung erteilten Auskunft (EuGH, Slg.I 1991, 297 [307]), daß am 30.6.1988 rund 59% der Vollzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland Männer und somit nur rund 41% Frauen waren. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß sich dieses Zahlenverhältnis bei Einbeziehung der mit mindestens drei Vierteln der wöchentlichen Regelarbeitszeit beschäftigten Teilzeitarbeitnehmer in die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten und bei Beschränkung der Vergleichsgruppen auf die Beschäftigten, für die eine Anwendung von §23a BAT in Betracht kommt, so weit verschieben würde, daß dann der Frauenanteil unter den Angestellten, deren Bewährungszeit nach §23a S.2 Nr.6 BAT voll anzurechnen ist, nicht mehr erheblich niedriger wäre als der Frauenanteil unter den von §23a S.2 Nr.6 BAT durch eine Verdoppelung der Bewährungszeit nachteilig betroffenen Angestellten.
      Daher ist die ... Feststellung des LAG nicht zu beanstanden, daß im vorliegenden Fall die zahlenmäßige Verteilung der Geschlechter auf die Gruppen der von §23a S.2 Nr.6 BAT nachteilig und der nicht nachteilig Betroffenen die nach der Rechtsprechung des EuGH bestehenden Voraussetzungen für den Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts erfüllt.
      d) Für diese Ungleichbehandlung gibt es keine Rechtfertigung, aus der sich ihre Vereinbarkeit mit Art.119 EWGV ergeben würde.
      aa) Der EuGH hat in ständiger ... Rechtsprechung erkannt, daß es Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts allein zuständigen nationalen Gerichts sei festzustellen, ob und inwieweit eine mittelbar diskriminierende Regelung durch objektive Gründe, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (EuGH, Slg.1986, 1607 ... - Bilka-Kaufhaus GmbH; EuGH, Slg.1989, 2743 ... - Rinner=Kühn; EuGH, Slg.I 1990, 2591 ... - Kowalska; ebenso die Vorabentscheidung im vorliegenden Fall).
      bb) Bei dieser Prüfung sind die nationalen Gerichte in der Wahl ihrer Maßstäbe jedoch nicht frei, sondern an Vorgaben gebunden, die sich nach der Rechtsprechung des EuGH aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben.
      So ist zur Rechtfertigung der von einer Rechtsnorm vorgesehenen Ungleichbehandlung zunächst erforderlich, daß mit dieser Ungleichbehandlung ein sachlicher, nicht auf das Geschlecht bezogener Zweck verfolgt wird. Dabei genügt freilich nicht jeder sachliche Grund, sondern nur ein Zweck, der einem objektiven Betrachter hinreichend gewichtig erscheinen muß. So hat der EuGH von einer für ein Unternehmen getroffenen Regelung gefordert, daß sie einem wirklichen Bedürfnis dieses Unternehmens dienen müsse ... Zur Rechtfertigung einer diskriminierenden Gesetzesvorschrift hat er es für erforderlich gehalten, daß diese einem notwendigen Ziel der Sozialpolitik des Mitgliedstaats dient ...
      Außerdem genügt zum Ausschluß eines Verstoßes gegen Art.119 EWGV allein das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes noch nicht. Es muß vielmehr hinzukommen, daß die Ungleichbehandlung zur Erreichung des rechtfertigenden Ziels auch erforderlich und geeignet ist ...
      cc) Bezogen auf den vorliegenden Fall hat der EuGH diese Grundsätze in seiner Vorabentscheidung dahingehend konkretisiert, daß es zur Rechtfertigung der von §23a S.2 Nr.6 BAT für bestimmte Teilzeitbeschäftigte geforderten doppelten Bewährungszeit nicht ausreiche, allgemein auf den größeren Gewinn an Erfahrungswissen zu verweisen, der sich zwangsläufig aus dem größeren Arbeitsvolumen der mit mindestens drei Vierteln der regelmäßigen Wochenarbeitszeit Beschäftigten im Vergleich zu den mit geringerer Arbeitszeit Beschäftigten ergebe. Der Gerichtshof hat zwar die mit wachsender Dauer einer Tätigkeit zunehmende Erfahrung des Arbeitnehmers, die ihn zu besserer Arbeitsleistung befähigt, grundsätzlich als ein zur Rechtfertigung geeignetes Kriterium anerkannt. Er hält aber insoweit eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalles für erforderlich, insbesondere der Frage, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeübten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden verschafft. Diese Vorgabe ist ... für den Senat verbindlich.
      dd) Die hiernach bestehende Prüfungspflicht der nationalen Gerichte wird nicht dadurch eingeschränkt, daß insoweit die Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien Vorrang zu beanspruchen hätte. Das gemeinschaftsrechtliche Lohngleichheitsgebot geht, wie oben (1b) dargestellt, uneingeschränkt auch Tarifverträgen vor. Der EuGH hat in der im vorliegenden Verfahren ergangenen Vorabentscheidung ebenso wie in dem ebenfalls zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung durch Bestimmungen des BAT ergangenen Urteil vom 27.6.1990 (EuGH, Slg.I 1990, 2591 ... - Kowalska) den nationalen Gerichten ausdrücklich die Prüfung der Rechtfertigung der in Frage stehenden Tarifvertragsbestimmungen aufgetragen, ohne insoweit Einschränkungen aus Rücksichtnahme auf die Tarifautonomie zu machen.
      ee) Diesen Vorgaben des EuGH ist schon deshalb zu folgen, weil sie für den Senat verbindlich sind. Zwar hat der Senat in seinen Urteilen (ZTR 1988, 459 und AP §23a BAT Nr.24) die Auffassung vertreten, die in §23a S.2 Nr.6 BAT vorgesehene Verdoppelung der Bewährungszeiten sei generell gerechtfertigt, weil Teilzeitarbeitnehmer den für einen Bewährungsaufstieg vorausgesetzten, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes von einem Vollzeitarbeitnehmer erreichten Zuwachs an Erfahrungswissen nur in einem entsprechend längeren Zeitraum erlangen könnten. Außerdem verwehre es die Rücksichtnahme auf die Tarifautonomie den Arbeitsgerichten, die vom Tarifvertrag vorgegebene Verdoppelung von Bewährungszeiten für Teilzeitbeschäftigte auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen.
      Diese Auffassungen können nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem der EuGH eine allgemeine Rechtfertigung der Verdoppelung von Bewährungszeiten Teilzeitbeschäftigter ausdrücklich ausgeschlossen und eine Prüfung der Tarifverträge im Hinblick auf die im Einzelfall im Streit stehende Tätigkeit des Teilzeitarbeitnehmers gefordert hat, ohne insoweit aus Rücksicht auf die Tarifautonomie Einschränkungen vorzusehen.
      Es kommt noch hinzu, daß diese Ausführungen des EuGH in seiner Vorabentscheidung eine ausdrückliche Reaktion auf die ihm vorgelegte Stellungnahme der Bundesregierung sind. Die Bundesregierung hatte sich darin ausführlich auf die beiden Senatsurteile vom 14.9.1988 (ZTR 1988, 459 und AP §23a BAT Nr.24) sowie auf die diesen vorangegangene Rechtsprechung des Senats berufen.
      ff) Zwar ist es vorstellbar, daß in einer sehr qualifizierten Tätigkeit nach vergleichsweise kurzer Bewährungszeit noch ein nicht unerheblicher Vorsprung eines Vollzeitbeschäftigten an Erfahrungswissen im Vergleich zu einem mit der halben regelmäßigen Arbeitszeit tätigen Teilzeitarbeitnehmer festzustellen ist. Von einem solchen Vorsprung, der zur Rechtfertigung der verlängerten Bewährungszeiten Teilzeitbeschäftigter nach §23a S.2 Nr.6 BAT in Betracht käme, kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. ...
      Die Beklagte hat hierzu ... nichts vorgetragen, obwohl nach der Vorabentscheidung des EuGH feststand, daß zur Entscheidung des Rechtsstreits eine auf die Tätigkeit der Klägerin bezogene Prüfung der Angemessenheit verdoppelter Bewährungszeiten vorzunehmen sein würde. Dies muß nach allgemeinen Grundsätzen zu Lasten der Beklagten gehen. Die Darlegungslast für das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen, die den Verstoß einer Bestimmung gegen Art.119 EWGV trotz eines den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung von Frauen erfüllenden Zahlenverhältnisses ausschließen sollen, trifft denjenigen, der sich auf solche Rechtfertigungsgründe beruft.
      Daher kann es hier dahinstehen, ob die in der Vorabentscheidung des EuGH im Zusammenhang mit rechtfertigenden Umständen gebrauchte Formulierung "... es sei denn, der Arbeitgeber weist nach ..." als eine aus dem Gemeinschaftsrecht abzuleitende Beweislast zu verstehen ist. Hiergegen könnte sprechen, daß der EuGH in seinem Urteil vom 13.7.1989 (EuGH, Slg.1989, 2743 ... - Rinner=Kühn), in dem es um die mittelbar diskriminierende Wirkung gesetzlicher Vorschriften ging, die Formel verwendet hat "... es sei denn, der Mitgliedstaat legt dar ...", obwohl der Mitgliedstaat nicht Partei des Ausgangsverfahrens war. ...
      4. Die im vorliegenden Fall bestehende Unvereinbarkeit der in §23a S.2 Nr.6 BAT vorgesehenen hälftigen Anrechnung von Bewährungszeiten mit Art.119 EWGV führt dazu, daß die entsprechende Regelung des BAT hier nicht anzuwenden ist.
      Zwar hat das LAG gemeint, §23a S.2 Nr.6 BAT sei insoweit wegen Verstoßes gegen Art.119 EWGV nichtig. Dies kann jedoch zumindest in Fällen mittelbarer Diskriminierung nicht zutreffen, denn nach den vom EuGH in seiner Vorabentscheidung in Übereinstimmung mit seiner ständigen Rechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt gemachten Vorgaben setzt eine von Art.119 EWGV verbotene mittelbare Diskriminierung u.a. voraus, daß es an einem objektiv rechtfertigenden Grund für die Ungleichbehandlung fehlt. Die hierfür vom EuGH geforderte, auf den Einzelfall - und insbesondere auf die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit - bezogene Prüfung kann im weiten Anwendungsbereich des §23a S.2 Nr.6 BAT zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Daher hat die im vorliegenden Fall festzustellende teilweise Unvereinbarkeit von §23a S.2 Nr.6 BAT mit Art.119 EWGV zur Folge, daß diese Bestimmung des BAT insoweit nicht anzuwenden ist ...
      5. Der EuGH hat in seiner Vorabentscheidung - ebenfalls in Übereinstimmung mit seiner bis dahin ergangenen Rechtsprechung (vgl. EuGH, Slg.I 1990, 2591 ... - Kowalska) - erkannt, daß die Unanwendbarkeit der gegen Art.119 EWGV verstoßenden Tarifbestimmungen dazu führen müsse, daß die von der diskriminierenden Regelung benachteiligten Arbeitnehmer in gleicher Weise zu behandeln seien wie die übrigen Arbeitnehmer, wobei bis zu einer diskriminierungsfreien Neuregelung die für die begünstigte Gruppe geltende Regelung das einzig gültige Bezugssystem bleibe.
      Dies führt unter den Bedingungen des vorliegenden Falls dazu, daß für die Anwendung von §23a S.2 Nr.6 BAT auch Bewährungszeiten voll anzurechnen sind, die ... von mit mindestens der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigten Teilzeitarbeitnehmern wie der Klägerin zurückgelegt worden sind.