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Handlungsformen internationaler öffentlicher Gewalt (Dissertation)

Über das Projekt:

Jede Herrschaftsordnung bedarf der Legitimation. Und die Art und Weise der Legitimation entscheidet nicht selten über ihren Erfolg oder Misserfolg. Die Dissertation befasst sich mit der Legitimation derjenigen Instrumente internationaler Institutionen, die nicht dem verbindlichen Völkerrecht zugeordnet werden können, deren Anzahl und Bedeutung im Zuge der Globalisierung massiv angestiegen ist. Dazu zählen sämtliche Spielarten des Soft Law ebenso wie Informationsakte, über die die unterschiedlichsten internationalen Institutionen Einfluss auf Staaten, Individuen und Organisationen nehmen. Ein einprägsames Beispiel für Informationsakte bildet die PISA-Studie der OECD, die aus einer quantitativen, vergleichenden Datenerhebung besteht. Diese Instrumente stellen nicht nur die traditionelle Legitimation der Akte internationaler Organisationen durch ihre Gründungsverträge in Frage. Sie verursachen auch ein Identitätsproblem für Rechtswissenschaft und -praxis: Wo beginnt und endet der Begriff des Völkerrechts? Wozu dient er? Woher bezieht das Völkerrecht seine Legitimität?

Die Arbeit schlägt vor, angesichts dieser Legitimitäts- und Identitätsprobleme die hergebrachte Fokussierung der Rechtswissenschaft und -praxis auf den Begriff des verbindlichen Völkerrechts zu überwinden und an seine Stelle den Begriff der internationalen öffentlichen Gewalt zu setzen. Als internationale öffentliche Gewalt sind alle diejenigen Akte internationaler Institutionen einzustufen, die auf einer völkerrechtlichen Ermächtigung zum Handeln im Namen einer Gruppe basieren und die Freiheit anderer beschränken oder anderweitig gestalten. Der Begriff beruht auf einer diskurstheoretischen Begründung legitimer Herrschaft, die auf die internationale Ebene übertragen werden. Dazu sind einige Veränderungen daran vorzunehmen. Zunächst sind sie auf den Pluralismus der gegenwärtigen globalen Ordnung auszurichten. Danach bilden nicht nur Individuen, sondern auch Gruppen wie Staaten oder regionale und funktionale Organisationen taugliche Legitimationssubjekte. Zudem ist internationale öffentliche Gewalt mangels weltweiter, repräsentativer Institutionen durch zusätzliche Mechanismen der Transparenz, Partizipation und Accountability zu legitimieren. Ferner stellt nicht nur das verbindliche Völkerrecht, sondern auch das formal verfestigte Soft Law eine taugliche Rechtsgrundlage internationaler öffentlicher Gewalt dar. Schließlich sind die Voraussetzungen, unter denen Freiheit beschränkt oder gestaltet werden kann, mit Hilfe motivationspsychologischer Einsichten über den herkömmlichen Begriff des durchsetzbaren Rechts hinaus zu erweitern.  
 
Eine Handlungsformenlehre konkretisiert diesen Ansatz. Sie schafft ein begriffliches Reservoir, mit dem sich der abstrakte Begriff der internationalen öffentlichen Gewalt auf vergleichbare Instrumentenkategorien herunterbrechen lässt, für die ein einheitliches Rechtsregime zur Sicherung ihrer Legitimität in Frage kommt. Handlungsformen stehen damit als Schnittstelle im Mehrebenensystem und als Anknüpfungspunkt für Prinzipien zur Verfügung. Die Identifikationsmerkmale einer Handlungsform sowie das ihr zugeordnete Rechtsregime sind in einem rekonstruktiven Verfahren – teils deduktiv, teils induktiv – zu ermitteln. Das Werk legt hierfür die methodischen Grundlagen. Am Beispiel der PISA-Studie demonstriert es, wie diese sich durch Konzeption einer Handlungsform „staatliche Politikbewertung“ rechtlich einhegen lässt.
Die auf diese Weise legitimierte internationale öffentliche Gewalt kann durchaus normativen Vorrang gegenüber illegitimer staatlicher Gewalt beanspruchen. Hier eröffnet das Werk neue Perspektiven, die das Schlagwort „The future of domestic law is international“ auf den Punkt bringt.

Doktorand

Betreuer