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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


950. ASYLRECHT UND ASYLGRUNDRECHT

Nr.89/1

Subjektive Nachfluchtgründe können einen Abschiebungsschutz nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG und Art.33 Abs.1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK) begründen, selbst wenn sie mißbräuchlich geschaffen worden sind.

Refugiés sur place who, by their activities in the Federal Republic of Germany, have deliberately and abusively given the authorities of their home state cause for political persecution may enjoy protection against expulsion under Sec.14 (1) of the Aliens Act and Art.33 (1) of the Convention Relating to the Status of Refugees (Geneva Convention).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13.6.1989 (25 B 30999/87), InfAuslR 1990, 179 (ZaöRV 51 [1991], 209)

Entscheidungsauszüge:

      Nach allem steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger im Falle der Rückkehr nach Jugoslawien wegen der Mitgliedschaft in der Organisation "Ravna Gora" und der propagandistischen Betätigung für sie mit politisch motivierter Strafverfolgung zu rechnen hat. Damit lag ein Abschiebungshindernis nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG, Art.33 Abs.1 GK vor, das der Ausländerbehörde nach §28 Abs.1 Satz 2 AsylVfG die Abschiebungsandrohung verbot. Das Verwaltungsgericht hat sie deshalb zutreffend als rechtswidrig und den Kläger in seinen Rechten verletzend aufgehoben. Dem Kläger ist die Berufung auf die Rechtsverletzung nicht deshalb verwehrt, weil er seine Situation rechtsmißbräuchlich herbeigeführt hat. Zwar ist auch der erkennende Senat mit dem Verwaltungsgericht der Meinung, daß der Kläger in die Organisation "Ravna Gora" nur eingetreten und für sie tätig geworden ist, um die Voraussetzungen für ein anders nicht zu erreichendes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen ...
      Die mißbräuchliche Herbeiführung des Abschiebungshindernisses nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG, Art.33 Abs.1 GK führt aber nicht zu seiner Unbeachtlichkeit. Der Abschiebungsschutz enfällt nur für einen Ausländer, der aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde (§14 Abs.1 Satz 2 AuslG i.V.m. Art.33 Abs.2 GK). Diese Ausnahmetatbestände, die restriktiv auszulegen sind ... und die in der Person des Klägers ersichtlich nicht vorliegen, sind im Gesetz abschließend aufgeführt; für einen weiteren Ausschlußtatbestand der rechtsmißbräuchlichen Herbeiführung des Abschiebungsschutzes ist kein Raum.
      §1a AsylVfG, wonach Umstände, mit denen der Ausländer seine Furcht vor politischer Verfolgung begründet, bei der Entscheidung über den Asylantrag unberücksichtigt bleiben, wenn sich aus bestimmten Tatsachen ergibt, daß der Ausländer sie im Geltungsbereich des Gesetzes zu dem Zweck herbeigeführt hat, um die Voraussetzungen seiner Anerkennung zu schaffen, ist entgegen der Auffassung des 10. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ... nicht analog heranzuziehen. Denn die Regelung in §1a AsylVfG bezieht sich nur auf das Asylrecht als status positivus und soll die aus der Asylanerkennung folgenden Rechte und Vergünstigungen (z.B. unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Anspruch auf Arbeitserlaubnis etc.) ausschließen, sie läßt jedoch den Kerngehalt des Asylrechts, nämlich den - bloßen - Abschiebungsschutz unberührt. Dies geht aus den vom Innenausschuß des Deutschen Bundestags (Drucks. 10/6416 vom 21.11.1986 ...) wiedergegebenen Gründen, die zur Schaffung der Bestimmung geführt haben, zweifelsfrei hervor. Der Ausschluß der Asylanerkennung in den Fällen des §1a AsylVfG läßt sich nur rechtfertigen, wenn §14 Abs.1 AuslG bzw. Art.33 Abs.1 GK den Ausländer letztlich doch vor dem ihm drohenden Verfolgungsschicksal bewahren.
      Deutlich wird dieser Zusammenhang zwischen dem Ausschluß des - positiven - Status als Asylberechtigter und dem dennoch zu gewährenden Abschiebungsschutz im Wege der Duldung auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. November 1986 (BVerfGE 74, 51 ...), das ausdrücklich (S.56f.) auf den sich aus §14 AuslG, Art.33 GK ergebenden Abschiebungsschutz gerade für die Fälle der asylrechtlich irrelevanten selbstgeschaffenen Nachfluchtgründe hinweist. Nur diese Betrachtungsweise entspricht der humanitären Zielsetzung der grundgesetzlichen Verbürgung und der völkerrechtlichen Verpflichtung, die dem im Heimatstaat politisch Verfolgten ein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen sollen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 21. Oktober 1986 (BVerwGE 75, 99 ...) ebenfalls hervorgehoben, daß das in der Verfassung verankerte Gebot der Achtung der Menschenwürde es verbietet, einen Ausländer der ihm in seinem Heimatstaat drohenden politischen Verfolgung (oder sonst einer menschenrechtswidrigen Behandlung) auszusetzen, selbst wenn sein Verhalten, das die Verfolgungsgefahr erst heraufbeschworen hat, von der Rechtsordnung mißbilligt wird, etwa weil es, wie hier, rechtsmißbräuchlich ist.
      Der Abschiebungsschutz kann auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs oder der Verwirkung entfallen. Die im Zivilrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten gewohnheitsrechtlichen Regelungen über die Verwirkung von materiellen und prozessualen Rechten gelten nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein und grundsätzlich auch im öffentlichen Recht ... Gegen die Anwendung des Rechtsinstituts der Verwirkung sind allerdings auch Bedenken erhoben worden ... Der vorliegende Rechtsstreit gibt keinen Anlaß, diesen Bedenken nachzugehen. Denn auch bei Anerkennung eines allgemeinen Rechtsinstituts der Verwirkung im öffentlichen Recht können ihm nur disponible Rechtspositionen unterworfen sein ... Der Abschiebungsschutz nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG, Art.33 Abs.1 GK ist ein unverlierbares Recht. Wie bereits anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 75, 99 ...) dargelegt, verbietet es das in der Verfassung verankerte Gebot der Achtung der Menschenwürde, einen Ausländer der ihm in seinem Heimatstaat drohenden Verfolgung auszusetzen, selbst wenn er durch sein Verhalten die Verfolgungsgefahr erst rechtsmißbräuchlich heraufbeschworen hat. Die Menschenwürde ist unveräußerlich (Art.1Abs.2 GG) und nicht verwirkbar ... Dem Grundgesetz ist der Gedanke einer Verwirkung der grundlegenden Menschenrechte fremd ...

Hinweis:

      Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Urteil vom 4.12.1990 (9 C 99.89, Buchholz 402.25 §28 Nr.20) bestätigt, dessen Entscheidung jedoch aufgehoben, weil es eine Verfolgungsgefahr für den Kläger verneinte.