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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

IX. Menschenrechte und Minderheiten

a. Menschenrechtsverträge

    71. Der Bundestag stimmte am 19. April 1994 dem Protokoll Nr. 9 vom 6. November 1990 sowie dem Protokoll Nr. 10 vom 25. März 1992 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu.187 Das Protokoll Nr. 9 trat am 1. November 1994 für Deutschland in Kraft.188

    72. Darüber hinaus zeichnete Deutschland am 11. Mai 1994 das Protokoll Nr. 11 zur EMRK. Mit diesem Protokoll wird ein Ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte geschaffen. Bei Individualbeschwerden tritt dieser Gerichtshof an die Stelle von Kommission, Gerichtshof und Ministerkomitee. Die Zuständigkeit des Ministerkomitees wird künftig auf die Kontrolle der Einhaltung der Urteile beschränkt. Der Vertreter der Bundesregierung erklärte anläßlich der Unterzeichnung:

    "Die Errichtung eines Ständigen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sichert und verbessert das bewährte und beispielhafte System internationaler Menschenrechtskontrolle, wie es in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Im Individualbeschwerdeverfahren wird es künftig einfacher und schneller zu Entscheidungen kommen, denn ein ständig tagender Gerichtshof kann wirksamer als ein nur zeitweise tagender Gerichtshof arbeiten. Von wesentlicher Bedeutung bei der Entscheidung für einen Ständigen Menschenrechtsgerichtshof waren die deutschen Erfahrungen mit dem Bundesverfassungsgericht. ... Der Ständige Gerichtshof wird zu einem verbesserten Schutz führen, denn gegenwärtig müssen Bürger, die sich in ihren Menschenrechten verletzt fühlen, ihre Beschwerde zunächst bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte einlegen, die solche Beschwerden in einem vertraulichen Verfahren prüft. Für zulässig erklärte Beschwerden werden dann entweder von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder von dem Ministerkomitee des Europarates behandelt. Dieses System ist unübersichtlich und entspricht nicht immer den Anforderungen an ein Gerichtsverfahren. Die Kommission und der Gerichtshof sind durch Beschwerden überlastet. Das System ist in einem Europarat mit immer mehr Mitgliedstaaten nicht mehr geeignet. Deswegen wird eine Vereinfachung des Systems und eine Beschleunigung der Verfahren dringend notwendig."189

    73. Im Hinblick auf einen Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur EMRK wies die Bundesregierung auf eine Schriftliche Anfrage am 11. Februar 1994 darauf hin, daß diese Frage aufgrund der Mitteilung der Kommission von 1990 im 2. Halbjahr 1993 in einer ad hoc-Gruppe des Rates intensiv geprüft worden sei. Dabei habe sich gezeigt, daß die Delegationen nach wie vor unterschiedlicher Auffassung sind. Der Beitritt, der nach dem Vorschlag der Kommission auf Art. 235 des EG-Vertrages gestützt werden solle, verlange jedoch Einstimmigkeit. Das Europäische Parlament habe zuletzt in seiner Entschließung vom 18. Januar 1994 einen Beitritt befürwortet. Im Hinblick auf die in den Beratungen der ad hoc-Gruppe zu Tage getretenen Rechtsfragen sei am 30. November 1993 vom Rat der Justiz- und Innenminister beschlossen worden, ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 228 Abs. 6 des EG-Vertrages einzuholen. Das Ersuchen solle in der ad hoc-Gruppe ausgearbeitet und dann vom Rat dem Gerichtshof vorgelegt werden. Die sachlich-politische Diskussion solle zwischen den Vertretern der Mitgliedstaaten dann wieder aufgegriffen werden, wenn das Gutachten des Gerichtshofs vorliegt. Weiter führte die Bundesregierung aus:

    "Die Bundesregierung hat sich an den Beratungen auf Gruppen- und Ratsebene mit einer positiven Haltung zum Beitritt beteiligt. Durch den Beitritt soll insbesondere die Möglichkeit geschaffen werden, daß Betroffene wegen Handlungen der Europäischen Gemeinschaften den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anrufen und dieser solche Handlungen überprüfen kann. Damit würden sie hinsichtlich der Kontrolle den Handlungen der Mitgliedstaaten und Entscheidungen ihrer Gerichte gleichgestellt."190 191

    74. Gegenstand einer Schriftlichen Anfrage war im Berichtszeitraum die Ermöglichung der Individualbeschwerde nach dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. In ihrer Antwort vom 11. Februar 1994192 führte die Bundesregierung unter Verweis auf die sehr weitgehende internationale Kontrolle, der sich die Bundesrepublik Deutschland im menschenrechtlichen Bereich unterworfen habe, aus:

    "Die Bundesregierung hat Zweifel, ob es zum jetzigen Zeitpunkt ratsam ist, darüber hinaus Individualbeschwerden nach Art. 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung zu ermöglichen. Eine solche weitere Beschwerdemöglichkeit wird angesichts der geschilderten internationalen Kontrollmöglichkeiten kaum zu einer wesentlichen Verbesserung des Menschenrechtsschutzes führen, im Gegenteil, wegen der Vielfalt der verschiedenen internationalen Beschwerdewege die Gefahr mit sich bringen, daß der internationale Rechtsschutz unübersichtlich wird. Dabei ist in Erwägung zu ziehen, daß das Kontrollsystem nach dem Übereinkommen gegen Rassendiskriminierung verhältnismäßig schwach ist und das Verfahren Besonderheiten aufweist. Das Recht auf Individualbeschwerden ist auch von den anderen 136 Vertragsstaaten nur zurückhaltend, nämlich von 18 Staaten (nach dem Stand von Juni 1993) anerkannt worden."

    75. Die Bundesregierung unterstützt aktiv die Arbeiten für ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984193, das den präventiven Schutz vor Folter noch wirksamer gestalten soll. Im 2. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung wird dazu ausgeführt:

    "Der am 22. Januar 1991 von Costa Rica vorgelegte Entwurf ist noch Gegenstand weiterer Erörterungen in der eigens gebildeten Arbeitsgruppe. Die Bundesregierung sieht in den Arbeiten an diesem Zusatzprotokoll einen wertvollen Beitrag zur Verhütung von Folter in Gebieten, in denen der Schutz nach dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26. November 1987 nicht besteht."194

    76. Mehrfach sprachen deutsche Vertreter im eigenen Namen und für die Europäische Union die Frage von Vorbehalten an. Im 6. Ausschuß hob der deutsche Vertreter für Deutschland hervor:

    "Anyone concerned with the law of treaties knows how important the subject of reservations is. At the same time, he will realize that the rules of Articles 19 to 23 of the Vienna Convention on the Law of Treaties, which have essentially just been repeated in subsequent UN conventions, have at any rate not removed all the difficulties, as can be clearly seen from the behavior of States. In particular, a reservation which is incompatible with the object and purpose of the treaty or which several parties to the treaty regard as incompatible, and which therefore ought not to be formulated in the first place, poses many questions as to its legal effects if it is in fact nevertheless formulated. We all know that these questions arise again and again, especially in relation to the United Nations human rights conventions. But we all know, also, that to adopt too strict a line on such reservations could lead to some States declining altogether to become party to those treaties. This would detract from these treaties' claim to universality and would thus be an undesirable outcome."195
    Im Hinblick auf die Konvention über die Eliminierung aller Formen der Diskriminierung von Frauen nahm der deutsche Vertreter im 3. Ausschuß für die Europäische Union zu den von den Staaten angebrachten Vorbehalten wie folgt Stellung:
    "We are concerned about reservations that are so general and extensive in nature that they raise doubts as to whether they are incompatible with the object and purpose of the Convention. According to Art. 28 of the Convention, reservations incompatible with the object and purpose of the Convention shall not be permitted. In this context I should also like to recall the recommendation issued by the Vienna Conference on Human Rights which encourages States to consider limiting the extent of reservations, to formulate any reservation as precisely and narrowly as possible and to ensure that none is incompatible with the object in purpose of the relevant treaty."196

    77. Die Bundesregierung wies darauf hin, daß sie sich für einen vorübergehenden Mechanismus zum Schutz der Menschenrechte in den Nichtmitgliedstaaten des Europarates einsetze. Sie verwies insoweit auf die Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung 1204 (1993) des Ministerkomitees des Europarats vom 19. März 1993. Danach sei ein beratender Menschenrechtsausschuß für eine Übergangszeit von zunächst vier Jahren vorgesehen, der auf Ersuchen von Staaten, die noch nicht Mitgliedstaaten des Europarates sind, vom Ministerkomitee ermächtigt werden kann, Individualbeschwerden über Menschenrechtsverletzungen entgegenzunehmen.197

    78. Unter Bezugnahme auf Art. 10 der EMRK vereinbarte die vierte Europäische Ministerkonferenz des Europarats über Massenmedienpolitik am 7. und 8. Dezember in Prag in ihrer Entschließung Nr. 2 Grundsätze über die "journalistischen Freiheiten und Menschenrechte".198


    187 BGBl. 1994 II, 490.
    188 BGBl. 1994 II, 3623.
    189 Recht, Informationen des Bundesministeriums der Justiz, 3/1994, 48.
    190 BT-Drs. 12/6856, 16; siehe auch BT-Drs. 12/7772 (Entschließung zum Beitritt der Gemeinschaft zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte).
    191 Siehe auch unten, unter XV. a., Ziff. 261.
    192 BT-Drs. 12/6856, 13.
    193 BGBl. 1990 II, 246, in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit 31.10.1990, BGBl. 1993 II, 715.
    194 2. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, BT-Drs.12/6330.
    195 Deutschland 1994 (Anm. 1), 6. Ausschuß, 28.
    196 Deutschland 1994 (Anm. 1), 3. Ausschuß, 23.
    197 BT-Drs. 12/6816.
    198 Bull. Nr. 122 vom 28.12.1994, 1129.