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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XVIII. Rechtsfolgen der Wiedervereinigung

a. Ausländische Streitkräfte in Deutschland

    333. Am 31. August 1994 wurden in Berlin die russischen Streitkräfte mit offiziellen Feierlichkeiten aus Deutschland verabschiedet.828 Bei dieser Gelegenheit führte der Bundeskanzler aus:

    "Der Abzug der Westgruppe der Streitkräfte ist damit nicht nur vertragsgemäß abgeschlossen, er erfolgt sogar früher als im Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 14. September 1990 vereinbart."829
    Am 8. September 1994 wurden in Berlin die Alliierten Truppen feierlich verabschiedet.830 Bereits am 12. Juli 1994 war die Amerikanische Berlin-Brigade außer Dienst gestellt worden.831

    334. Der Bundestag stimmte mit Gesetz vom 3. Januar 1994 insgesamt vier Übereinkünften zu, die die Rechtsstellung der in Deutschland stationierten verbündeten Streitkräfte und bestimmte Fragen in bezug auf Berlin regeln.832 Dabei handelt es sich um einen Notenwechsel vom 25. September 1990 über das NATO-Truppenstatut,833 Notenwechsel über den befristeten Verbleib französischer, englischer und amerikanischer (25. September 1990)834 bzw. Besuche belgischer, kanadischer und niederländischer Truppen (23. September 1991)835 in Berlin sowie um ein Berlin betreffendes Übereinkommen vom 25. September 1990.836 Die Übereinkünfte dienen dem Ziel, den Verbleib der amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte in Berlin und die Rechtsstellung von Streitkräften westlicher Entsendestaaten in den neuen Bundesländern und in Berlin nach Herstellung der deutschen Einheit und Suspendierung der Vier-Mächte-Rechte und Verantwortlichkeiten am 3. Oktober 1990 zu regeln. Sie waren zum Teil mit Rechtsverordnungen vom 28. September 1990 vorläufig für die Zeit ab dem 3. Oktober 1990 in Kraft gesetzt worden, weil die für ein Gesetz erforderlichen Verfahrensmodalitäten und Fristen bis zum 3. Oktober 1990 nicht einzuhalten gewesen wären.837 Die Regelung der Nr. 4 c des Notenwechsels vom 25. September 1990 zum NATO-Truppenstatut und der darauf gestützte ergänzende Notenwechsel vom 23. September 1991 über Besuche belgischer, kanadischer und niederländischer Streitkräfte in Berlin soll mit dem Zustimmungsgesetz erstmalig in Kraft gesetzt werden.838

    335. Der Notenwechsel vom 25. September 1990 zum NATO-Truppenstatut sah eine Überprüfung vor,839 aufgrund derer mit Notenwechsel vom 12. September 1994 Änderungen vorgenommen worden sind, denen der Bundestag mit Gesetz vom 23. November 1994 zugestimmt hat.840

    336. Der Notenwechsel vom 25. September 1990 in der Fassung vom 12. September 1994 zum NATO-Truppen-Statut bestimmt in Nr. 1, daß das Statut mit seinen Zusatzvereinbarungen weiter gilt, aber in seinem räumlichen Geltungsbereich nicht auf die neuen Bundesländer und Berlin ausgedehnt wird. Insoweit entspricht der Notenwechsel Art. 11 des Einigungsvertrages in Verbindung mit dessen Anlage I841 und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag.842 Außerdem regelt er den Status der Streitkräfte verbündeter Entsendestaaten im bisherigen DDR-Gebiet.

    337. Nach Nr. 4 des Notenwechsels bedürfen die Truppen der Entsendestaaten und ihre Angehörigen für dienstliche Tätigkeiten in den neuen Bundesländern und Berlin der Zustimmung der Bundesregierung.843 Eine Protokollnotiz844 bestimmt, daß die deutschen Behörden einen möglichst großzügigen Maßstab anlegen und, soweit möglich, die technischen Verfahren entsprechend anwenden sollen, die für die alten Bundesländer gelten.

    338. Die Truppen der Entsendestaaten, ihre zivilen Gefolge, Mitglieder und Angehörigen haben in den neuen Bundesländern die gleiche Rechtsstellung wie in den alten Bundesländern.
    Art. 6 des Zustimmungsgesetzes stellt klar, daß Art. 3 und 5 des Gesetzes zum NATO-Truppen-Statut und zu den Zusatzvereinbarungen vom 18. August 1961845 auch in den fünf neuen Bundesländern gelten. Damit wird u.a. sichergestellt, daß ebenso wie in den alten Bundesländern auch in den neuen und in Berlin die Staatsanwaltschaft für Erklärungen zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zuständig ist. Art. 7 des Zustimmungsgesetzes enthält verfahrensrechtliche Regelungen zu der Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten nach dem NATO-Truppenstatut.

    339. Der Notenwechsel vom 25. September 1990 über den befristeten Verbleib französischer, englischer und amerikanischer Streitkräfte in Berlin schafft die vertragliche Grundlage für den Verbleib und bestimmt, daß die verbündeten Streitkräfte in Berlin oder auf dem Weg zwischen Berlin und den alten Bundesländern nunmehr den gleichen Status wie im alten Bundesgebiet haben und sich daher ihre Rechtsstellung materiell nach den dort geltenden Bestimmungen richtet (Nr. 3). Art. 5 des Zustimmungsgesetzes stellt klar, daß dies auch für die zivilen Arbeitskräfte und andere Personen, die mit der Truppe, ihren zivilen Gefolgen oder ihren Mitgliedern und Angehörigen rechtliche Beziehungen unterhalten, gelten. Nr. 5 des Notenwechsels sieht eine Verpflichtung der Streitkräfte vor, alle Aktivitäten eng mit den zuständigen deutschen Behörden abzustimmen.

    340. Nach dem Notenwechsel vom 23. September 1991 über Besuche belgischer, niederländischer und kanadischer Streitkräfte in Berlin gilt, daß sich bis zu vier Personen der jeweiligen Streitkräfte ohne ausdrückliche Genehmigung der deutschen Behörden zu dienstlichen Tätigkeiten in Berlin aufhalten dürfen.846 Während vor der Herstellung der deutschen Einheit in Berlin (West) keine Genehmigungspflicht bestand, soll sich damit nun in ganz Berlin die Präsenz von Angehörigen der genannten Streitkräfte in einem durch die praktischen Bedürfnisse vorgegebenen überschaubaren Rahmen halten.847

    341. Das Übereinkommen vom 25. September 1990 zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin knüpft an die Erfahrungen aus dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 23. Oktober 1954 (Überleitungsvertrag) an.848 Art. 2 sieht den Fortbestand von Rechten und Verpflichtungen, die durch alliierte Maßnahmen begründet und festgestellt wurden, vor, unterwirft sie aber für die Zukunft dem deutschen Recht. Nach Art. 3 sind grundsätzlich deutsche Behörden und Gerichte für Handlungen und Unterlassungen zuständig, die vor dem 3. Oktober 1990 stattfanden, aber erst danach zum Gegenstand von behördlichen und/oder gerichtlichen Verfahren wurden. Ferner sind in dem Artikel Ausnahmen vorgesehen, in denen die Zuständigkeit deutscher Behörden und Gerichte für vor dem 3. Oktober 1990 liegende Sachverhalte ausgeschlossen ist. Art. 4 regelt die Rechtskraft alliierter Urteile und Entscheidungen und unterwirft sie für die Zukunft dem deutschen Prozeßrecht. Art. 7 betrifft die Abwicklung anhängiger Verfahren vor nichtmilitärischen französischen Gerichten in Berlin.849

    342. Art. 6 behandelt die Rückgabe beweglicher oder unbeweglicher Vermögensgegenstände, die bisher der besatzungsrechtlichen Nutzung unterlagen, und regelt den künftigen Abschluß von Kauf-, Tausch- oder Mietverträgen über Liegenschaften. Art. 4 des Zustimmungsgesetzes sichert die weitere Nutzung der von den amerikanischen, britischen und französischen Streitkräften und Dienststellen in Anspruch genommenen Grundstücke.

    343. Für Besatzungsschäden übernimmt nach Art. 5 des Übereinkommens zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin die Bundesrepublik Deutschland die Verantwortlichkeit. Gleichzeitig stellt die Regelung die drei Staaten sowie Institutionen und Personen, die in ihrem Namen oder Auftrag gehandelt haben, fortwährend von der Haftung für Ansprüche aus der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 frei. Art. 2 des Zustimmungsgesetzes enthält eine entsprechende Durchführungsregelung. Danach werden die in der Zeit vom 5. Mai 1955 bis einschließlich 2. Oktober 1990 verursachten Besatzungsschäden abgegolten, soweit sie nicht bereits auf der besatzungsrechtlichen Grundlage der Militärregierungsverordnung Nr. 508 vom 21. Mai 1951 reguliert worden sind.850 Für die frühere Zeit ist eine abschließende Regelung bereits durch das auch in Berlin geltende Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden vom 1. Dezember 1955 getroffen worden. In gleicher Weise wie dieses Gesetz räumt Art. 2 den Geschädigten öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Art. 2 Abs. 6 werden auch solche Schäden abgegolten, die von den drei westlichen Besatzungsmächten in Ostberlin oder auf den Transitwegen von und nach Berlin verursacht worden sind. Da diese Schäden durch das Gesetz zur Abgeltung von Besatzungsschäden nicht geregelt worden waren, ist damit auch der Zeitraum vom 1. August 1948 bis zum 5. Mai 1955 erfaßt.851

    344. Art. 3 enthält eine Verfahrensregelung für die Abgeltung von Schäden, die nach dem 2. Oktober 1990 von amerikanischen, belgischen, britischen, französischen, kanadischen oder niederländischen Streitkräften im Gebiet der neuen Bundesländer verursacht wurden und für die nach dem Notenwechsel vom 25. September 1990 zum NATO-Truppenstatut nebst Zusatzvereinbarungen das Truppenstatut gilt.

    345. Mit Gesetz vom 28. September 1994 stimmte der Bundestag dem Abkommen vom 18. März 1993 zur Änderung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut und weiteren Übereinkünften zu.852 Mit dem Zustimmungsgesetz ist zugleich das Gesetz zum NATO-Truppenstatut und zu den Zusatzvereinbarungen vom 18. August 1961853 geändert worden.854


    828 Bull. Nr. 78 vom 6.9.1994, 733.
    829 Ibid.
    830 Bull. Nr. 83 vom 14.9.1994, 777.
    831 Bull. Nr. 69 vom 25.7.1994, 653.
    832 BGBl. 1994 II, 26; BT-Drs. 12/4021; BT-Drs. 12/5307; Woche im Bundestag 14/94 vom 6.7.1994, 62. Siehe auch Dieter Fleck, Zur Neuordnung des Aufenthaltsrechts für ausländische Streitkräfte in Deutschland, ZaöRV 56 (1996), 389 � 405.
    833 Notenwechsel zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 und zu dem Zusatzabkommen zu diesem Abkommen vom 3. August 1959 nebst zugehörigen Übereinkünften, BGBl. 1994 II, 29.
    834 BGBl. 1994 II, 34.
    835 BGBl. 1994 II, 32.
    836 Übereinkommen zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin, BGBl. 1994 II, 40.
    837 Begründung zum Zustimmungsgesetz, BT-Drs. 12/4021, 7.
    838 Ibid., 1.
    839 Nr. 4 e.
    840 BGBl. 1994 II, 3714.
    841 Denkschrift der Bundesregierung, ibid., 27.
    842 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12.9.1990, BGBl. 1990 II, 1317; Fleck (Anm. 832), 391.
    843 Nr. 4 Buchst. a S. 1 des Notenwechsels vom 25.9.1990 zum NATO-Truppenstatut in der durch Nr. 3 des Notenwechsels vom 12.9.1994 (Anm. 833) geänderten Fassung.
    844 Protokollnotiz zu Nummer 3 des Notenwechsels vom 12.9.1994 (Anm. 843), siehe Anm. 840, BGBl. 1994 II, 3719.
    845 BGBl. 1961 II, 1183.
    846 Mit dem Notenwechsel wird einem Regelungsvorbehalt in Nr. 4 Buchst. c des Notenwechsels vom 25.9.1990 zum NATO-Truppenstatut in seiner ursprünglichen Fassung entsprochen.
    847 Denkschrift (Anm. 841).
    848 Ibid., 28.
    849 Siehe die Denkschrift, ibid., 29.
    850 Begründung zum Zustimmungsgesetz (Anm. 837).
    851 Ibid.
    852 BGBl. 1994 II, 2594; BT-Drs. 6477; Woche im Bundestag 3/94 vom 9.2.1994, 74 und 12/94 vom 22.6.1994, 98; siehe zum ganzen ausführlich Walter (Anm. 29), Ziff. 267 f.
    853 BGBl. 1961 II, 1183, geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 29.11.1966 (BGBl. 1966 I, 653).
    854 BGBl. 1994 II, 2594.