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142. Am 20. März 1995 wurde von den 52 Staaten der OSZE bei der Abschlußkonferenz in Paris der Stabilitätspakt für Europa angenommen.318 Der Stabilitätspakt besteht aus einer politischen Erklärung und einer Liste bilateraler Abkommen und Vereinbarungen über gutnachbarliche Beziehungen und Zusammenarbeit. Er wird ergänzt durch eine Liste von Maßnahmen, die die Europäische Union zur Unterstützung von Initiativen der interessierten Staaten im Benehmen mit diesen ergriffen oder vorgesehen hat und mit denen zur Erreichung der Ziele des Paktes beigetragen werden soll.
In der politischen Erklärung verpflichten sich die Mitgliedstaaten, sich gemeinsam um die Sicherung der Stabilität in Europa zu bemühen. Ein stabiles Europa wird definiert als "ein Europa, in dem die Völker demokratisch ihren Willen äußern können, in dem die Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Angehörigen nationaler Minderheiten, geachtet werden, in dem gleichberechtigte und souveräne Staaten über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten und untereinander gutnachbarliche Beziehungen herstellen".319 Die Vertiefung der gutnachbarlichen Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten erfordere anhaltende Bemühungen. Sie müsse sich auf die effektive Anwendung der im Rahmen der Vereinten Nationen, der OSZE und des Europarates aufgestellten Grundsätze stützen:
"Diese Grundsätze betreffen die souveräne Gleichheit, die Achtung der sich aus der Souveränität ergebenden Rechte, die Enthaltung von der Androhung und Anwendung von Gewalt, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die territoriale Unversehrtheit und die Achtung der international anerkannten Grenzen, die friedliche Regelung von Streitfällen, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, den Schutz der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Angehörigen der nationalen Minderheiten, die Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit, die Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten und die Erfüllung in Treu und Glauben der gemäß dem Völkerrecht eingegangenen Verpflichtungen."320 |
"Der am 20. März 1995 geschlossene Stabilitätspakt für Europa ist ein politisches, kein völkerrechtliches Dokument. Bestandteil des Paktes ist � neben der politischen Erklärung � eine Liste bilateraler Verträge und Vereinbarungen z.T. völkerrechtlicher Natur. Ihre Einbringung in den Pakt begründet jedoch keine neuen Verpflichtungen."325 |
143. In einer Gemeinsamen Erklärung vom 18. Juli 1995 betonten die Außenminister von Deutschland, Rumänien und Frankreich, daß ein dauerhafter, stabiler Friede in Europa nur möglich sei, wenn die Menschenrechte geachtet und wenn nationale und ethnische Meinungsverschiedenheiten und Konflikte überwunden würden. Deutschland und Frankreich brachten ihre Unterstützung für den Wunsch Rumäniens und anderer Staaten Mittel- und Osteuropas zum Ausdruck, enger in die europäischen und transatlantischen Strukturen eingebunden zu werden. In der Erklärung bekennen sich die drei Regierungen zu einem weiten Sicherheitsbegriff:
"Wir bekennen uns zu einem weitgefaßten Sicherheitsbegriff, der die Friedenssicherung mit der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbindet. Wir werden unsere Kräfte bündeln, um die OSZE zu einem schlagkräftigeren Instrument der präventiven Diplomatie, des Krisenmanagements und der friedlichen Konfliktlösung zu machen."326 |
144.Die trilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Frankreich und Polen wurde im Berichtszeitraum ebenfalls fortgesetzt.327 In einer Gemeinsamen Erklärung vom 26. Oktober 1995 wurden eine Reihe konkreter Kooperationsvorhaben ins Auge gefaßt, u.a. die Fortsetzung der trilateralen Außenministergespräche und ihre Vorbereitung durch hohe Beamte, die Abhaltung regelmäßiger Konsultationen zwischen den Außenministerien, die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen, um die Heranführung Polens an die EU zu erleichtern, und die Ausbildung polnischer Beamter im Bereich Europaangelegenheiten in Frankreich und Deutschland.328
145. Auf dem Vierten Treffen des Rates der Ostseestaaten am 18. und 19. Mai 1995 in Danzig wurde Island als neues Mitglied des Rates aufgenommen.329
Zur Einrichtung des Sekretariats des Kommissars für demokratische Institutionen und Menschenrechte s. oben X., Ziff. 133.
146. Die politische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Albanien war Gegenstand einer Gemeinsamen Erklärung über die Grundlagen der Beziehungen vom 28. Februar 1995. Darin bekräftigen die Regierungen beider Staaten ihre Absicht, ihre Beziehungen im Einklang mit dem Völkerrecht, der Achtung der Grundsätze der souveränen Gleichheit, der territorialen Integrität, der Unverletzlichkeit der Grenzen, der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten, des Verbots der Drohung mit und Anwendung von Gewalt sowie der Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der nationalen Minderheiten, zu gestalten. Sie bekräftigen ferner das Recht aller Völker, ihr Schicksal frei und ohne Einmischung von außen zu bestimmen. Sie bestätigen ihre gemeinsame Verpflichtung gegenüber der Festigung von Frieden, Stabilität und Sicherheit in Europa und treten für das Zusammenwachsen Europas zu einem einheitlichen Raum der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit ein und bekräftigen ihre Entschlossenheit, Fragen nationaler Minderheiten auf der Grundlage der KSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen zu lösen. Beide Seiten bekennen sich zur Demokratie "als einziger legitimer Regierungsform". Die Erklärung enthält darüber hinaus Zusammenarbeitsversprechen auf den Gebieten Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, und Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Im Bereich der politischen Zusammenarbeit soll der Entwicklung der Beziehungen und des Austauschs zwischen den Parlamenten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.330
Zur Frage der in der Erklärung ebenfalls angesprochenen Zusammenarbeit bei der Rückführung eigener Staatsangehöriger, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Seite ohne gültigen Aufenthaltstitel aufhalten, s. bereits oben VIII. 1., Ziff. 54.
147. Auch die Grundlagen der Beziehungen mit der Republik Moldau331, der Mongolei332 und Aserbeidschan333 wurden durch Gemeinsame Erklärungen neu gestaltet.
Zur Frage der in der deutsch-moldauischen und der deutsch-aserbeidschanischen Erklärung angesprochenen Minderheitenrechte moldauischer und aserbeidschanischer Staatsangehöriger deutscher Abstammung s. bereits oben IX. 4., Ziff. 122.
148. Die Bundesregierung legte im Berichtszeitraum dem Deutschen Bundestag ihr Lateinamerika-Konzept vor.334 In der Regierungserklärung zum Lateinamerika-Konzept wies Bundesaußenminister Kinkel auf die Bedeutung Lateinamerikas als eine der zwei großen Wachstumsregionen neben Ostasien und die traditionell engen Beziehungen der Bundesrepublik zu dieser Region hin.335 Das Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung sieht vier Schwerpunkte vor: die Verstärkung des politischen Dialogs auf allen Ebenen, die Stärkung der europäischen Dimension der deutschen Lateinamerikapolitik � u.a. durch die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens zwischen der EU und Mercosur �, den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und die Wahrung der starken kulturellen Präsenz Deutschlands auf dem lateinamerikanischen Kontinent.336 Im Mittelpunkt des politischen Dialogs sollen Demokratie und Rechtstaatlichkeit, die Marktwirtschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung, Friedenssicherung, Menschenrechte, regionale Integration, Vereinte Nationen und globale Themen wie die Liberalisierung des Welthandels, der Erhalt der Umwelt, Frauen- und Bevölkerungsfragen und die Bekämpfung von Drogenkriminalität und Terrorismus stehen.337 In der Regierungserklärung führte der Bundesaußenminister dazu aus:
"Wir bieten Lateinamerika unsere Bereitschaft zu einem offenen, gleichberechtigten und fruchtbaren politischen Dialog an. [...] Themen wie Parteien und Wahlrecht, Dezentralisierung, Gemeindeselbstverwaltung, Justiz, Bildungsreform stehen in Lateinamerika ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Wir sind gerne bereit, unsere Erfahrungen beim Aufbau einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft und eines demokratischen Rechtsstaates weiterzugeben."338 |
149. Im Rahmen einer Gemeinsamen deutsch-italienischen Erklärung vom 15. Juli 1995 bekräftigten die Regierungen beider Länder ihre Absicht zu einer Intensivierung ihrer Beziehungen u.a. durch Botschafterkonferenzen, Beamtenaustausch und ggf. die gemeinsame Einrichtung von Auslandsvertretungen, und formulierten in ihrer Eigenschaft als Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaften eine Reihe von gemeinsamen Zielvorstellungen für die Verhandlungen über die Reform der EU auf der Regierungskonferenz 1996.339
150. Die Entwicklung der Beziehungen zu der Tschechischen und der Slowakischen Republik auf der Grundlage des deutsch-tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrages vom 27. Februar 1992 war im Berichtszeitraum mehrfach Gegenstand von Stellungnahmen der Bundesregierung.340 Die Bundesregierung bezeichnete die bilateralen Regierungs- und Parlamentskontakte zu den genannten Ländern als "dicht" und "intensiv".341 Die deutsche und die tschechische Regierung arbeiteten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gut und eng zusammen.342 Allerdings seien in einzelnen Punkten der bilateralen Zusammenarbeit, etwa bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und beim Jugendaustausch, weitere Fortschritte wünschenswert. In Umsetzung von Art. 13 des Nachbarschaftsvertrages bemühe sich die Bundesregierung seit geraumer Zeit um die Einrichtung einer gemeinsamen deutsch-tschechischen Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit. Eine Antwort der tschechischen Regierung auf die Vorschläge der Bundesregierung werde in Kürze erwartet.343