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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


IX. Menschenrechte und Minderheiten

1. Menschenrechtsverträge und internationale Konferenzen

     49. Am 17. Juni 1999 wurde von der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO) das Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit,145 dessen Entwurf zuvor auf der 87. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (1999) diskutiert worden war,146 ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Das Abkommen verpflichtet die Mitglieder der ILO, deren Ratifikation des Übereinkommens durch den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes eingetragen ist, unverzügliche und wirksame Maßnahmen zur vordringlichen Sicherstellung des Verbots und der Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu treffen (Art. 1). Zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit werden darin gezählt (Art. 3):

     (1) alle Formen der Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken, wie Kinderverkauf, Kinderhandel, Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit, einschließlich der Zwangsrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Konflikten;

     (2) das Heranziehen, die Vermittlung und das Anbieten eines Kindes zur Prostitution zur Herstellung von Pornographie etc.;

     (3) das Heranziehen, die Vermittlung und das Anbieten eines Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten etc.; und

     (4) Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie Verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist.

     Die Vertragsparteien sind zudem verpflichtet, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Schulbildung für die Beseitigung der Kinderarbeit wirksame Maßnahmen zu treffen um u.a. allen von den schlimmsten Formen der Kinderarbeit entfernten Kindern den Zugang zur unentgeltlichen Grundbildung und, wann immer möglich und zweckmäßig, zur Berufsbildung zu gewährleisten (Art. 7 c); "Kind" i.S. des Übereinkommens ist dabei jede Person unter 18 Jahren (Art. 2).147

     50. Am 7. August 1999 nahm die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU generell zum Kampf gegen Kinderarbeit Stellung.148 Zu dem Entwurf und der Position der deutschen Delegation bei den Vorarbeiten des neuen ILO-Übereinkommens über das Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit merkte die Bundesregierung an:

     "Hauptzweck des neuen Übereinkommens ist, möglichst vielen der Staaten, in denen Kinderarbeit als Phänomen vorkommt, die Möglichkeit zu bieten, sich international zu verpflichten, besonders schlimme Formen der Kinderarbeit unverzüglich zu verbieten und rasch abzuschaffen, denen dieses jedoch bislang wegen der zum Teil komplizierten Detailregelungen noch nicht möglich war, das grundlegende ILO-Übereinkommen Nr. 138 (1973)149 zu ratifizieren. Dies gebietet es nach Auffassung der Bundesregierung, das neue Übereinkommen nicht mit zu weit gehenden Verpflichtungen zu befrachten, die sich für die betroffenen Staaten als Ratifikationshindernis erweisen könnten."150

     Auf die Frage in der Anfrage, wie sichergestellt werden könne, daß die Arbeiten, die dazu führen, daß Kinder von der Grundbildung ausgeschlossen werden, zu den "schlimmsten Formen der Kinderarbeit" gezählt werden und so dem Verbot und der Beseitigung unterliegen, stellte die Bundesregierung fest:

     "Die Forderung sollte allenfalls auf eine im jeweiligen Land "tatsächlich bestehende" Grundbildung beschränkt werden. Viele Entwicklungsländer befürchten nämlich, durch eine Bestimmung, die von "Grundbildung" spricht, indirekt gezwungen zu werden, flächendeckend eine (unentgeltliche) Grundschulbildung anzubieten, und deshalb zu einer alsbaldigen Ratifizierung des Übereinkommens nicht in der Lage zu sein. Ein solches Ratifikationshindernis sollte nicht geschaffen werden. (...)
     Die Bundesregierung geht wie die Mehrzahl der westlichen Industrieländer aber davon aus, daß die im Entwurf des Übereinkommens enthaltenen Bestimmungen des dritten Präambelsatzes sowie des Einleitungssatzes und des Abs. 2 des Art. 7 dem Gedanken ausreichend Rechnung tragen, daß Kinder durch Arbeit der Zugang zur Grundbildung nicht verwehrt werden darf."151

     Zu dem Problem, wie erreicht werden könne, daß Kindern der Zugang zu Rechtsmitteln gegen Kinderarbeit nicht versperrt werde, bemerkte die Bundesregierung, daß eine solche Forderung nicht in bezug auf das Übereinkommen gestellt werden sollte:

     "Würde in den Übereinkommenstext eine Regelung aufgenommen, die die Länder auffordert, in ihre nationale Gesetzgebung Individualklagerechte für Kinderarbeitnehmer aufzunehmen, würde dies aller Voraussicht nach die Akzeptanz des neuen Übereinkommens deutlich verringern und für viele Staaten ein erhebliches Ratifikationshindernis darstellen. Die Bundesregierung wird sich aber dafür einsetzen, daß eine entsprechende Forderung in die das Übereinkommen begleitende Empfehlung aufgenommen wird."152

     Weiter plädierte die Bundesregierung in ihrer Antwort für eine Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen am Kampf gegen Kinderarbeit. Wegen der dreigliedrigen Struktur der Internationalen Arbeitsorganisation sei jedoch eine Beteiligung gegen den Willen der Verbände der Arbeitgeber und der Verbände der Arbeitnehmer nicht durchzusetzen. Es gebe aber Anzeichen dafür, daß ausgehend von Deutschland Kontakte zwischen Sozialpartnerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen zu der Überlegung geführt haben, für nationale Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände eine Art Vorschlagsrecht hinsichtlich der Beteiligung von (anderen) Nichtregierungsorganisationen vorzusehen. Die Bundesregierung werde eine sich insoweit abzeichnende Kompromißmöglichkeit mit Nachdruck unterstützen.153

     Im übrigen fördere die Bundesregierung das Internationale Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit (IPEC):

     "Die Bundesregierung fördert das Internationale Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit (IPEC), das von der Internationalen Arbeitsorganisation durchgeführt wird. Ziel dieses - in mittlerweile mehr als 20 Länderprogramme gegliederten - Vorhabens ist, die beteiligten Regierungen in die Lage zu versetzen, Politiken und Programme zur Bekämpfung der Kinderarbeit zu entwerfen und auszuführen. Tätigkeitsfelder dieses Programms sind Bewußtseinsbildung in der Zivilgesellschaft, Durchsetzung der Kinderschutzrechte durch Schulung von Arbeitsinspektoren, Bildungsangebote für Kinderarbeiter und einkommenschaffende Maßnahmen für die Familien. Nicht zuletzt dem IPEC-Programm ist es zu verdanken, daß Kinderarbeit in den Entwicklungsländern inzwischen als Problem erkannt ist."154

     Sie führte im übrigen an:

     "Mit der Ratifizierung des 1989 von der VN-Generalversammlung verabschiedeten Übereinkommens über die Rechte des Kindes haben sich fast alle Staaten verpflichtet, günstige Rahmenbedingungen für die persönliche Entwicklung der Kinder und die Verwirklichung ihrer Rechte zu schaffen. Hierzu bedürfen sie in weiten Teilen der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Die Bundesregierung fördert mit dem auf drei Jahre angelegten Programm "Kinderrechte 2000" die Umsetzung des internationalen Übereinkommens in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik. Die Förderung bezieht sich auf drei Arbeitsfelder: Umsetzung des Übereinkommens in nationales Recht, Qualifizierung der mit Kinder- und Jugendfragen befaßten Institutionen sowie Entwicklung neuer Politiken zum Wohle von Kindern und Jugendlichen."155

     51. In bezug auf die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen156 betonte die Vertreterin des Innenministeriums (BMI) am 3. November 1999 im Ausschuß für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, dem sie zu menschenrechtsrelevanten Aspekten der deutschen Innenpolitik Bericht erstattete, daß die Bundesregierung nicht beabsichtige, ihren Vorbehalt zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zurückzunehmen.157

     Das BMI stimme mit diesem Beschluß und mit der Bewertung, daß eine Rücknahme des Vorbehalts nicht absehbare Folgen haben würde, mit dem Bundesjustizministerium überein. Im übrigen beziehe sich der Vorbehalt lediglich auf alleinreisende asylsuchende Kinder und Jugendliche, die ohne diesen Vorbehalt nur aufgrund ihres Alters das Recht auf Einreise in die Bundesrepublik hätten. Dies würde der innerdeutschen Rechtslage widersprechen. Die Bundesregierung betonte jedoch, daß sie, trotz des Vorbehalts, voll hinter der UN-Kinderrechtskonvention stehe, die sie ja auch ratifiziert habe; der Vorbehalt verhindere lediglich "Fehlauslegungen" der Konvention. Auf Nachfrage des Ausschusses erklärte die Regierung, seit 1995 seien fünf Kinder an deutschen Grenzen zurückgeschickt worden.158

     52. Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete am 10. Dezember 1999 das am 6. Oktober 1999 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene Fakultativprotokoll zur Konvention über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (Optional Protocol to the Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women).159 Das Zusatzprotokoll enthält zwei neue Verfahren zum Schutz der durch die Konvention über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979160 garantierten Rechte: Zum einen eröffnet ein Individualbeschwerdeverfahren Einzelpersonen oder Gruppen von Frauen die Möglichkeit, sich mit der Behauptung, in von der CEDAW geschützten Rechten verletzt zu sein, direkt an den Frauenrechtsausschuss, der durch die CEDAW eingerichtet wurde, zu wenden, sofern zuvor der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft wurde; zum anderen wird der Ausschuß selbst ermächtigt, bei schweren oder systematischen Verletzungen von Frauenrechten von sich aus eine Untersuchung vorzunehmen. Bisher bestand nur das in der CEDAW verankerte Berichtsverfahren.

     Die Ständige Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen stellte zu dieser Unterzeichnung fest:

     "Committed to promoting women's rights at home and world-wide, Germany is pleased among the first countries to sign the new protocol - a landmark instrument in the development of women's human rights at the global level."161

     In der 43. Sitzung des Ausschusses über den Status von Frauen in der Arbeitsgruppe zu dem Entwurf eines Protokolls zu der CEDAW hatte die Bundesministerin Bergmann im Namen der Europäischen Union am 1. März 1999 bemerkt:

     "The European Union reiterates its determination to fulfil the expectations of the Second World Conference on Human Rights held in Vienna in 1993 and of the Fourth World Conference on Women held in Beijing in 1995, to adopt an optional protocol to CEDAW and to bring it into force by the year 2000.
     The CEDAW-Convention is a central pillar of the universal human rights system. Our objective in this working group is to conclude a protocol establishing effective procedures similar to those already in force for other international human rights instruments. To conclude such a protocol would represent a concrete achievement of one of the objectives set at Vienna and Beijing.
     Last year the working group completed a thorough second reading of a draft optional protocol and nearly seemed to finish its work successfully. Differences were in many cases narrowed. As a result of this process, the working group adopted a newly revised text setting out alternative versions of some provisions in order to clarify the choices which still need to be made, and reached provisional agreement on quite a lot of articles. The European Union considers this text to provide an excellent basis for completing our work in this year's meeting.
     The European Union believes that the time has come to make extra efforts to negotiate in a spirit of compromise and flexibility as we approach the final lap. In order to reach agreements and gather support, the European Union-Presidency and the Member States of the European Union will strengthen their efforts to achieve an effective optional protocol in the next two weeks."162

     53. Auch im Dritten Ausschuß der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde zur Stellung der Frau und zur Implementierung der Ergebnisse der vierten Weltfrauenkonferenz und zur CEDAW Stellung genommen. Die finnische Vertreterin Rasi erklärte im Namen der Europäischen Union am 11. Oktober 1999, daß

     "(b)ased on human rights principles, the Beijing Declaration and Platform for Action constitute a fundamental framework for national and international action to translate the objectives of gender equality and non-discrimination into reality in all spheres of private and public life. The European Community and the Member States of the European Union are fully committed to the implementation of the Declaration and the Platform for Action. This principle applies to national, regional and international policies, including development co-operation.
     Committed to the Beijing Declaration and the Platform for Action, the European Community and the Member States of the European Union have prioritised mainstreaming of a gender perspective in order to translate the objectives of gender equality and non-discrimination into reality in the field of development co-operation. The formulation of all development policies, programmes and projects should explicitly take into account the general principles and existing good practices for gender-sensitive development co-operation. Both mainstreaming and positive action for women have been emphasised since they are considered as complementary strategies. This strategy should enable women and men to have equal access to economic, political and social development opportunities. A gender perspective has been mainstreamed into issues like poverty, environment, education, health, sexual and reproductive health. Special attention has been paid to issues like violence against women and women in decision-making. The EU recognises the importance of constant dialogue with NGOs and their positive role in promoting gender equality in the field of development co-operation. (...)
     The European Union stresses the primary responsibility of the national Government for creating and enabling environment for development and gender equality, but acknowledges the need to foster a supportive international environment. The international community, including United Nations system plays an important role in supporting the Governments in their efforts to meet the challenges. Only consistent, coherent and co-ordinated joint action will make it possible for the United Nations system to assist the Governments effectively.
     The EU remains concerned about discrimination against women. The human rights of women and the girl child are an inalienable, integral and indivisible part of universal human rights. We underline the significance for women of the international human rights instruments designed to protect and promote their human rights and fundamental freedoms. This year we are celebrating the 20th Anniversary of the adoption of CEDAW. We strongly encourage all States that have not yet done so to ratify or accede the Convention, so as to achieve universal ratification and observance of the CEDAW by the year 2000. The European Union is gravely concerned about the fact that many states have made reservations incompatible with the object of purpose of the Convention. These reservations should be withdrawn as a matter of priority. The Union also calls on States to formulate their reservations as precisely and as narrowly as possible and to ensure that no reservation is contrary to international treaty law. Increased efforts are called for to bridge the gap between ratification and implementation of the Convention."



    145 ILO Convention No. 182: Worst Form of Child Labour Convention, 1999; vgl. unter http://ilolex.ilo.ch:1567/scripts/convde.pl?C182.

    146 Vgl. dazu http://www.ilo.org/public/english...child/standards/ilo_conv/index.htm.

    147 ILO Convention No. 182, ibid.

    148 BT-Drs. 14/861, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Blüm, Hedrich, Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, BT-Drs. 14/662.

    149 ILO Convention No. 138: Convention concerning Minimum Age for Admission to Employment, 1973; vgl. unter http://www.ilolex.ilo.ch:1567/cgi-lex/convde.pl?C148. Anmerkung hinzugefügt von Verf.

    150 BT-Drs. 14/861, 2.

    151 Ibid., 4.

    152 Ibid., 5.

    153 Ibid., 4 f. Vgl. dazu auch Art. 6 Worst Form of Child Labour Convention.

    154 Ibid., 3.

    155 BT-Drs. 14/861, 4.

    156 Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989, A/RES/44/25, vgl. http://www.un.org/Depts/german/gv-early/44025/ar44025_frame_text.cfm; unterzeichnet von der Bundesrepublik Deutschland am 26.1.1990; in Kraft getreten für diese am 5.4.1992. Vgl. zum Zustimmungsgesetz vom 17.2.1992, BGBl. 1992 II, 121.

    157 Vgl. zum Wortlaut BGBl. 1992 II, 990. Dieser Vorbehalt ermöglicht es, ohne Verstoß gegen die Konvention 16- oder 17-jährige Flüchtlinge nach innerstaatlichem Recht gleich wie Erwachsene zu behandeln.

    158 Blickpunkt Bundestag 10/99, 61.

    159 Annex A/RES/54/4; das Protokoll trat am 22.12.2000 in Kraft. Zu den deutschen Stellungnahmen diesbezüglich im Jahr 1998, vgl. Raible (Anm. 1), Ziff. 54.

    160 Die Konvention über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau wurde am 17.7.1980 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und am 10.7.1985 ratifiziert.

    161 Permanent Mission of Germany to the United Nations (Anm. 7): http://www.germany-info.org/UN/un_press_12_07_99.htm.

    162 Permanent Mission of Germany to the United Nations (Anm. 2): http://www.germany-info.org/UN/eu_state_03_01b_99.htm.