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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XII. Zusammenarbeit der Staaten

1. Politische Zusammenarbeit

     97. Anläßlich der Eröffnung des EU-Lateinamerika-Gipfels der Staats- und Regierungschefs am 28. Juni 1999 stellte Bundeskanzler Schröder zu Kooperation zwischen Europa und Lateinamerika fest:

     "Europa - das kann ich für alle Kollegen sagen - braucht und will starke und stabile Partner. Deshalb unterstützen wir die Zusammenarbeit und die Integration in Lateinamerika und der Karibik. Dabei geht es nicht nur um die Integration von Märkten und Handel. Die Europäische Union verdankt ihren weltweit einzigartigen Erfolg insbesondere der politischen Dimension der Integration. (...)
     Auch in der Kooperation zwischen Europa und Lateinamerika hat dieses Halbjahr wichtige Fortschritte gebracht. Kurz vor diesem Gipfel ist es gelungen, ein Mandat für Verhandlungen über Freihandel zwischen der EU und dem MERCOSUR und auch mit Chile zu verabschieden. Ich halte das für einen großen Fortschritt, und die Bezeichnung, die Präsident Cardoso diesem Fortschritt gegeben hat, als er von einer 'historischen Dimension' gesprochen hat, ist meines Erachtens richtig. Sie wissen alle, daß es nicht einfach war, dies zu erreichen. Ich bitte dabei zu bedenken, daß es bisher noch nie ein solches Abkommen zwischen zwei Integrationsräumen gab."246

     98. Bundesaußenminister Fischer sprach am 21. Januar 1999 vor dem auswärtigen Ausschuß der Französischen Nationalversammlung. Der Bundesminister unterstrich in dieser Rede die Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit als Fundament für weitere Fortschritte im europäischen Einigungsprozeß: Vor allem mit Blick auf die Agenda 2000 und in der Perspektive der Erweiterung der Europäischen Union sei diese Zusammenarbeit heute wichtiger denn je.

     Er stellte fest:

     "Die deutsch-französischen Beziehungen haben seit langem zwei Schwerpunkte: Die Versöhnung unserer Völker und der Aufbau eines friedlichen und prosperierenden Europas durch das Prinzip der Integration. Diese aus Frankreich stammende, revolutionär neue Idee war nach 1945 die Antwort auf Jahrhunderte gewaltsamer Hegemoniebestrebungen, prekärer Gleichgewichte und furchtbarer Kriege in Europa.
     Heute ist Krieg zwischen uns und innerhalb der Europäischen Union nicht mehr möglich. Ohne die engste Zusammenarbeit von Franzosen und Deutschen (...) wäre Europa niemals so weit gekommen. Ohne die enge deutsch-französische Kooperation gäbe es keinen Binnenmarkt, keine Wirtschafts- und Währungsunion und keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Die beispiellose Dynamik, die Deutschland und Frankreich für die europäische Einigung entfaltet haben, gründet nicht in der Gleichartigkeit, sondern vielmehr in einer Komplementarität zwischen unseren Völkern, die immer wieder dazu geführt hat, daß sich unsere oft grundverschiedenen Interessen, Mentalitäten und Traditionen zu einem gemeinsamen Willen und Handeln verbinden konnten.
     In der letzten Zeit haben manche den Eindruck gewonnen, daß unsere Beziehungen an Intensität verloren haben. In Wirklichkeit hat diese Zusammenarbeit, nicht zuletzt auf dem Potsdamer Gipfel, neue Impulse erhalten. Wir müssen uns aber gemeinsam auf neue Gegebenheiten einstellen. Zum einen ist durch den Fall der Berliner Mauer die Veränderung der sicherheitspolitischen Ordnung und durch die Globalisierung der internationalen Beziehungen eine neue Lage entstanden. Deutschland und Europa haben sich fundamental verändert und unsere Länder müssen in diesem veränderten Umfeld ihre Rolle und ihre Beziehung zueinander anpassen. Das ist ein Prozeß, der Zeit und ein gegenseitiges Verständnis braucht. Zum anderen haben die starken Gefühle allmählich nachgelassen, die den Menschen nach dem Krieg die Kraft zur Versöhnung gaben. Heute können wir sagen: Das große Ziel der Versöhnung haben wir erreicht. Wir leben in einer Phase der 'post-réconciliation', wie Hubert Védrine dies zutreffend formuliert hat."247

     99. In seiner Rede vor dem Council on Foreign Relations wies der Bundesaußenminister am 5. November 1999 in New York auf den Umbruch in den transatlantischen Beziehungen hin.

     Im Zeitalter der Globalisierung würden die wirtschaftlichen Interessen einen immer größeren Stellenwert für die internationale Politik gewinnen und Europa und die USA würden sich auf diesem Feld all zu oft als Konkurrenzen begegneten, was zu Friktionen führen könne. Es gebe keinen Anlaß, Differenzen über Handelsfragen, Sanktionen oder die Todesstrafe klein zu reden. Er sei dennoch der Ansicht, daß die These vom breiter gewordenen Atlantik falsch sei. Zweifellos aber befinde sich das Verhältnis in einem tiefgreifenden Umbruch, den konstruktiv zu gestalten die gemeinsame Aufgabe sei.

     Eine Analyse des transatlantischen Verhältnisses müsse mit der Feststellung beginnen, daß Amerikaner und Europäer auch nach dem Ende des Kalten Krieges durch ein festes Fundament auch in Zukunft miteinander verbunden seien. Die Einsicht, daß die europäische Integration im Interesse der USA liege, habe die amerikanische Politik seit jeher bestimmt.

     Nach Ansicht des Außenministers gebe es keinen Grund zu einer Neubewertung, wenn die EU sich nun anschicke, ein politisches Subjekt zu werden. Die EU müsse weiter gemeinsam mit den USA für Sicherheit und Stabilität in Europa sorgen. Auch der Nahe Osten, eine europäische Nachbarregion, verdiene die gemeinsame Aufmerksamkeit. Die Europäische Union sei zudem bereit, gemeinsam mit Amerika weltpolitische Verantwortung zu tragen und hierfür in den entsprechenden multilateralen Foren, den Vereinten Nationen, den G 7/G 8, in Weltbank, IWF und WTO, einen spezifisch europäischen Beitrag zu leisten. Um die gemeinsamen Ziele wirksam erreichen zu können, müsse die transatlantische Partnerschaft erneuert und auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Die EU werde dabei zum immer wichtigeren und zentralen europäischen Akteur. Ziel sei es, Partner und nicht Rivale der USA zu sein, verbunden durch gemeinsame Interessen und Werte.248

     100. Am 5. Februar 1999 stellte der Bundesaußenminister Fischer in seiner Rede bei der Gründung des Deutsch-Ukrainischen Forums fest, daß diese Veranstaltung in ein Halbjahr eines besonders engen politischen Dialogs mit der Ukraine falle. Eine wirklich effiziente Ukrainepolitik, die alle dem langfristigen Ziel näherbringe, in diesem wichtigen europäischen Land eine stabile zivile Gesellschaft aufzubauen, setze jedoch voraus, daß neben den staatlichen auch nicht-staatliche, privatwirtschaftliche und kulturelle Politikinstrumente eingesetzt würden und diese zu einem optimalen Mix miteinander verbunden würden.

     Die deutsch-ukrainischen Beziehungen hätten sich seit der Unabhängigkeit der Ukraine dynamisch entwickelt. Die Bedeutung der Ukraine für Deutschland und für Europa stärker bewußt zu machen, sei eine wichtige Aufgabe des Forums. Die Ukraine dürfe künftig nicht mehr als 'Grenzland' - das ist die wörtliche Übersetzung von 'Ukraine' - sondern als integraler Teil Europas wahrgenommen werden. Die Ukraine sei zu einem gewichtigen Partner in Europa geworden und spiele eine konstruktive und engagierte Rolle beim Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Deutschland unterstütze diese Politik nachdrücklich.

     Im übrigen betonte er die Bedeutung der Erweiterung der EU und NATO für die Beziehungen mit der Ukraine:

     "Die Erweiterung von EU und NATO ist eine historische Aufgabe, aber sie darf nicht dadurch bezahlt werden, daß sich an den künftigen Ostgrenzen der Institutionen ein neuer Riß durch unseren Kontinent zieht. Europa endet nicht an den Grenzen Polens oder Ungarns - und daß muß sich auch daran ausdrücken, daß die Erweiterung von EU und NATO durch ein immer enger werdendes Beziehungsgeflecht mit der Ukraine ergänzt wird. Dabei sollte es jetzt nicht um visionäre Beitrittsdebatten gehen, sondern um möglichst konkrete, praktische Schritte. Das Wichtigste ist, das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Leben zu erfüllen. Es enthält ein enormes Entwicklungspotential, das bis zu einer Dichte der Beziehung gehen kann, die mit dem europäischen Wirtschaftsraum vergleichbar ist. Als deutscher EU-Ratsvorsitzender werde ich mich zudem für die baldige Verabschiedung einer Gemeinsamen Strategie für die Ukraine einsetzen.
     Die Chancen der weiteren Einbindung der Ukraine in die europäischen und transatlantischen Strukturen hängen heute im wesentlichen von der Ukraine, von ihrer demokratischen und wirtschaftlichen Entwicklung, ab. Europa ist auch eine Wertegemeinschaft. Es ist sehr wichtig für unser künftiges Verhältnis, daß die Ukraine die durch ihre Mitgliedschaft im Europarat eingegangenen Verpflichtungen wie Abschaffung der Todesstrafe endlich erfüllt. Auch die Stillegung Tschernobyls bleibt für die Bundesregierung ein sehr wichtiges Ziel, für das wir uns als Präsidentschaft in den G 7/G 8 mit Nachdruck weiter einsetzen werden."249

     101. In seiner Rede bei der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 24. November 1999 stellte Bundesaußenminister Fischer als Maxime der deutschen Außenpolitik fest:

     "Größtmögliche politische Unterstützung, wo es um die Stärkung multilateraler Strukturen, um Integration und die Herrschaft des Rechts geht. Aber Selbstbeschränkung bei Interventionen und eine klare Absage an deutsche Alleingänge."250

     Drei Schwerpunkten solle Deutschland seine ganze Gestaltungskraft widmen:

     Erstens, der Vollendung der europäischen Integration; dabei gründe die Europäische Union auf dem Interessenausgleich Deutschlands und Frankreichs, und dies werde auch für die Zukunft gelten. Das wichtigste strategische Ziel sei die Erweiterung der EU. Die Bundesregierung wolle sie so zügig wie möglich voran bringen und setze sich dafür ein, daß im kommenden Jahr mit allen sechs Ländern der zweiten Gruppe Erweiterungsverhandlungen aufgenommen werden, und daß die EU in Helsinki eine politische Verpflichtung eingehe, bis 2003 aufnahmefähig zu sein.

     Die Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft sei die zweite große Gestaltungsaufgabe.

     Der dritte Schwerpunkt sei, daß Deutschland sich weltweit für eine Strategie des Multilateralismus und der Stärkung der Vereinten Nationen einsetze.251

     102. Anläßlich des Jahrestages der Organisation für Afrikanische Einheit am 27. Mai 1999 sprach Staatsminister Volmer über den politischen Dialog mit Afrika.

     Er betonte, daß die Bundesrepublik auch im Rahmen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik den politischen Dialog mit Afrika verstärken wolle. Dies gehöre zu den Schwerpunkten der Regierung. Eine hervorragende Basis biete der 1998 vorgestellte Afrika-Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sei genutzt worden, um mit der Verabschiedung der Schlußfolgerung des Allgemeinen Rates der EU am 26. April 1999 konkrete Vorstellungen zu den vom Generalsekretär angesprochenen Aktionsfeldern zu erarbeiten: Menschenrechte und Friedensschaffung, Not- und Katastrophenhilfe und nachhaltige Entwicklung. Der Bundesrepublik sei bewußt, daß ihre Solidarität mit dem Nachbarkontinent Afrika gefragt sei. Die G 8 werde bei ihrem Gipfel in Köln auf Vorschlag der Bündnisregierung eine Entschuldungsinitiative verabschieden. Dies solle den hochverschuldeten ärmsten Ländern schneller und wirksamer als bisher finanzielle Entlastung bringen.

     Diese Entlastung werde aber nur dann greifen und eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung begünstigen, wenn das politische Umfeld stimme. Auch ohne Demokratie und Menschenrechte gebe es auf Dauer keine innere Stabilität. Wie sehr die Region Europa und die Länder des afrikanischen Kontinents die Sorge um die Menschenrechte verbinde, hätten die ersten, fruchtbaren Kontakte zwischen den europäischen und afrikanischen Staaten bei der Vorbereitung der Vereinten Nationen-Weltkonferenz gegen Rassismus gezeigt. Der Schutz der Menschenrechte und die Festigung demokratischer Strukturen sollen auch zu Schwerpunkten der Zusammenarbeit für die kommenden Jahre gemacht werden.252




    246 Bull. vom 30.7.1999, 485.

    247 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 24): http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/presse/index_html. Zu den deutschen Stellungnahmen 1998, vgl. Raible (Anm. 1), Ziff. 104.

    248 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 24): http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/presse/index_html.

    249 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 24): http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/presse/index_html.

    250 Pressearchiv des Auswärtigen Amtes (Anm. 24): http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/presse/index_html.

    251 Ibid.

    252 Bull. vom 1.6.1999, 370.