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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XVIII. Kriegs-, Besatzungs- und Teilungsfolgen

     240. Entschädigung für NS-Zwangsarbeit

     Am 16. Februar 1999 fand in Bonn ein erstes Treffen von Bundeskanzler Schröder mit Vertretern von zwölf deutschen Unternehmen zur Einrichtung einer Stiftung zum Thema "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" statt. Die Unternehmen schlugen dem Bundeskanzler die Errichtung einer "Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vor. Der Bundeskanzler begrüßte die Initiative und sagte die Begleitung durch die Bundesregierung zu.762

     Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft war Gegenstand einer Kleinen Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion der PDS. In ihrer Antwort vom 14. April 1999 teilte die Bundesregierung diesbezüglich mit:

     "Die Bundesregierung hat in der am 16. Februar veröffentlichten gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck gebracht, daß sie die von den Unternehmen Allianz AG, BASF AG, BMW AG, Daimler Chysler AG, Deutsche Bank AG, Degussa-Hüls AG, Dresdner Bank AG, Thyssen Krupp AG, Hoechst AG, Siemens AG und Volkswagen AG erklärte Bereitschaft, in Anerkennung ihrer moralischen Verantwortung aus den Bereichen der Zwangsarbeiter-Beschäftigung, der Arisierung und anderen NS-Unrechts, eine 'Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft' zu errichten, begrüßt. Diese Initiative der Wirtschaft versteht sich als unmittelbare gesellschaftliche Ergänzung zur staatlichen Wiedergutmachungspolitik, an der die deutsche Wirtschaft bereits mittelbar durch die von ihre geleisteten Abgaben beteiligt war.
     In der gemeinsamen Erklärung vom 16. Februar 1999 sind alle deutschen Unternehmen zum Beitritt aufgerufen worden. (...)
     Mit der Stiftungsinitiative verfolgt die deutsche Wirtschaft auch das Ziel, den derzeit anhängigen Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter in adäquater Form zu begegnen. Sie soll Rechtssicherheit und Rechtsfrieden schaffen und dazu beitragen, den Ruf und das Ansehen unseres Landes und der deutschen Wirtschaft zu schützen. Die Unternehmen sind im Zusammenhang mit den in den USA anhängigen Sammelklagen auch Androhungen von Boykottaufrufen seitens verschiedener Organisationen ausgesetzt. Dem soll durch ein abschließendes materielles Zeichen einer fairen, kooperativen und vor allem schnellen Hilfe die Grundlage entzogen werden. Die Initiative setzt die Erlangung einer für die Unternehmen befriedigenden Form der Rechtssicherheit voraus. Es wurden Gespräche darüber aufgenommen, in welcher Weise (z.B. im Wege von Regierungsabkommen) dies erreicht werden kann. (...)
     Die aktuelle Stiftungsinitiative wird voraussichtlich humanitäre Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter des industriellen Bereichs erbringen. Diese Leistungen sollen den Opfern unabhängig von Religion oder Nationalität zuteil werden. Andererseits soll eine Zukunftsstiftung mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland errichtet werden, die soziale und kulturelle Projekte fördert. Die Projekte sollen eine Beziehung zur Veranlassung der Stiftungsinitiative haben und geeignet sein, die Erinnerung an das NS-Unrecht wachzuhalten sowie zukunftsorientiert der sozialen Gerechtigkeit und transnationalen Zusammenarbeit zu dienen.
     Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, die Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen zu begleiten. Sie wird die deutsche Wirtschaft bei der Umsetzung ihres Konzepts unterstützen. Um dies zu ermöglichen, hat sie sowohl mit ausländischen Regierungen als auch mit privaten Organisationen Kontakt aufgenommen.
     Die genaue Ausgestaltung der Stiftungsinitiative liegt jedoch naturgemäß - da es sich um ein freiwilliges, privates Projekt handelt - maßgeblich in den Händen derjenigen Unternehmen, die die Mittel zu ihrer Finanzierung aufbringen werden."763

     Zu der in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgesehenen Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Unrecht" führte die Bundesregierung aus:

     "Bei der in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen Bundesstiftung 'Entschädigung für NS-Unrecht' handelt es sich um eine Initiative der Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wann und in welcher Form eine solche Bundesstiftung gegründet werden kann, hängt somit maßgeblich vom Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ab.
     Der Bundesregierung sind zum derzeitigen Zeitpunkt keine Einzelheiten zur Bundesstiftung bekannt. Der Entwurf des Bundeshaushalts 1999 sieht keine Mittel für eine Bundesstiftung vor."764

     In ihrer Antwort auf eine weitere Kleine Anfrage betreffend die Entschädigung von Zwangsarbeitern für erlittenes Unrecht durch Verbrechen von Betrieben der deutschen Wirtschaft im NS-Regime teilte die Bundesregierung hinsichtlich der Frage nach den völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen für eine Entschädigung von NS-Zwangsarbeit mit:

     "Völkerrechtswidrige Zwangsarbeit im Kriegsgeschehen ist, sofern nicht hierfür innerstaatliche Anspruchsgrundlagen ausdrücklich geschaffen werden, ausschließlich im Rahmen von Reparationsvereinbarungen zu regeln."765

     Zwischenstaatliche Vereinbarungen, so die Bundesregierung, seien in Globalverträgen mit westlichen Staaten, mit der Einrichtung von vier Stiftungen in Warschau, Moskau, Minsk und Kiew sowie dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds getroffen worden. In welchem Umfang Leistungen aus dem Globalentschädigungsabkommen mit westlichen Staaten zugunsten überlebender NS-Verfolgter Zwangsarbeitern zugute gekommen seien, sei der Bundesregierung nicht bekannt; die Verantwortung für die Mittelvergabe habe den jeweiligen Regierungen oblegen. Im übrigen habe die Bundesregierung den Zwei-Plus-Vier-Vertrag in dem Verständnis abgeschlossen, daß Reparationsforderungen ihre Berechtigung verloren hätten und neue Kriegsfolgenregelungen nicht mehr verlangt werden könnten. Einschlägig sei in diesem Zusammenhang Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens, der eine Hemmung aller Reparationsansprüche bis zu einem Friedensvertrag vorsehe.766

     Die Haltung der Bundesregierung gegenüber ehemaligen NS-Firmen bei Entschädigungsverfahren von jüdischen Opfern vor amerikanischen Gerichten war Thema einer weiteren Kleinen Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion der PDS. In ihrer Antwort vom 19. Oktober 1999 erklärte die Bundesregierung, daß sie erhebliche Zweifel an der Zuständigkeit amerikanischer Gerichte in den Zwangsarbeiterverfahren habe und der Überzeugung sei, daß die von maßgeblichen deutschen Unternehmen geplante Stiftungsinitiative eher geeignet sei, den moralischen und materiellen Bedürfnissen der Überlebenden gerecht zu werden, als langwierige gerichtliche Verfahren ungewissen Ausgangs.767

     Weiterhin bekräftigte die Bundesregierung, daß sie nachdrücklich die von deutschen Unternehmen vorgeschlagene Stiftungsinitiative unterstütze und diese politisch begleite. Die Bundesregierung erachte die streitige Auseinandersetzung auf dem Klagewege als ungeeignet, den Bedürfnissen der NS-Verfolgten und anderer Opfer des Zweiten Weltkriegs gerecht zu werden.768

     Zum Stand der Gespräche in den USA über die Zwangsarbeiterentschädigung nahm der deutsche Verhandlungsführer Graf Lambsdorff am 3. November vor dem Innenausschuß Stellung. Lambsdorff erklärte, daß es bei der Entschädigung vor allem um Unrecht an Menschen aus den Ostblockstaaten gehe, die bislang überhaupt nicht berücksichtigt worden seien. Der Sonderbeauftragte der Regierung bekundete die Auffassung, daß die bislang vorgesehenen 6 Mrd. DM nicht der Betrag seien, mit dem man weiterverhandeln könne. Die Frage nach der Rechtssicherheit durch ein vom stellvertretenden US-Außenminister angeregtes "Statement of Interest" der US-amerikanischen Regierung beantwortete Lambsdorff dahin gehend, daß es eine hundertprozentige Rechtssicherheit ohnehin nicht geben könne. Im Hinblick auf die seines Erachtens erforderliche, aber fragliche Aufstockung der jetzigen 6 Mrd. DM könne im Bundestag entweder nur der Beschluß gefasst werden, es sei kein Ergebnis zu erzielen, oder um mehr Zeit und Geld gebeten werden.769

     241. Am 20. Dezember 1999 legte die Bundesregierung ihren Bericht über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte vor.770 Das zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und der Jewish Claims Conference am 29. Oktober 1992 getroffene Abkommen beruht auf Art. 2 der Zusatzvereinbarung vom 18. September 1990 zum Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 31. August 1990. Die bereitgestellten Mittel kommen jüdischen Verfolgten des NS-Regimes zugute. Die Verteilung der von deutscher Seite zur Verfügung gestellten Mittel ist der Jewish Claims Conference übertragen worden. Sie trifft die Entscheidungen im Einzelfall unter Zugrundelegung der mit dem Abkommen festgelegten Kriterien.




    762 BdiP 3/99, 382 f.

    763 BT-Drs. 14/765, 2 f.

    764 Ibid., 6.

    765 BT-Drs. 14/1786, 9.

    766 Ibid.

    767 BT-Drs. 14/1816 vom 19.10.1999, 3.

    768 Ibid., 4.

    769 Blickpunkt Bundestag 10/99, 67.

    770 BT-Drs. 14/2436.