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Tätigkeitsbericht für das Jahr 2000


IX. Aktivitäten im Wissenstransfer

A. Der Österreich-Bericht von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja

Prof. Frowein wurde Mitte Juli von den 14 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nach der Beteiligung der FPÖ an der österreichischen Bundesregierung im Februar ihre bilateralen Beziehungen zu Österreich eingeschänkt hatten, gemeinsam mit dem ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Martti Ahtisaari und dem ehemaligen spanischen Außenminister, ehemaligen Generalsekretär des Europarats und ehemaligen Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Marcelino Oreja beauftragt, bestimmte rechtliche und politische Entwicklungen in Österreich zu untersuchen und darüber einen Bericht zu erstellen. Die 14 Mitgliedstaaten äußerten bei der Beauftragung die Absicht, auf der Grundlage dieses Berichts ihre bilateralen Beziehungen mit Österreich zu überprüfen. Inhaltlich umfaßte das Mandat zwei Bereiche: Untersucht werden sollte zum einen das Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte, insbesondere hinsichtlich der Rechte von Minderheiten und Einwanderern, und zum anderen die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ.

Nach einer ersten Vorbesprechung der drei Mitglieder des Gremiums am 20. Juli in Helsinki, bei dem das weitere Vorgehen zeitlich und inhaltlich besprochen wurde, fanden vom 27. Juli bis 30. Juli in Wien Treffen mit Regierungsmitgliedern (dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und mehreren Bundesministern), Vertretern verschiedener politischer und gesellschaftlicher Gruppen (Repräsentanten der im Parlament vertretenen Parteien, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, sowie der katholischen und evangelischen Kirche, der jüdischen und der islamischen Glaubensgemeinschaft) und Vertretern der österreichischen Justiz (dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs und der Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung) statt. Auf Wunsch eines Dachverbands mehrerer europäischer Nicht-Regierungsorganisationen schlossen sich hieran am 29. August in Heidelberg noch Gespräche mit Vertretern verschiedener österreichischer Nicht-Regierungsorganisationen und der der FPÖ angehörenden österreichischen Vizekanzlerin an.

Auf der Grundlage dieser Gespräche und unter Berücksichtigung einer Reihe von schriftlichen Unterlagen, die dem Gremium übermittelt worden waren, sowie von im Institut vorhandenen Materialien zur österreichischen Rechtslage wurde anschließend der von den 14 Mitgliedstaaten erbetene Bericht in englischer Sprache erstellt. Wesentliche Grundlage dafür waren Beratungen, die am 30. und 31. August in Heidelberg in den Räumen des Instituts stattfanden. Für die Übergabe an die Auftraggeber wurde der Text im Institut ins Französische und ins Deutsche übersetzt. Der englische Text wurde am 8. September in Paris kurz vor der Übergabe förmlich angenommen und zusammen mit den beiden Übersetzungen dem französischen Staatspräsidenten übergeben. Mit der leistungsfähigen elektronischen Datenverarbeitung des Instituts war es möglich, kurz nach der Übergabe des Berichts in Paris im Einverständnis mit den Auftraggebern alle drei Versionen auf der Homepage des Instituts der Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung zu stellen.

Inhaltlich gelangte der Bericht zu folgenden Schlußfolgerungen:

In Bezug auf das Eintreten der österreichischen Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte, insbesondere für die Rechte der Minderheiten, Flüchtlinge und Einwanderer

- In Übereinstimmung mit dem Mandat und auf der Grundlage einer gründlichen Untersuchung sei es die wohlerwogene Auffassung der drei Verfasser des Berichts, daß die österreichische Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte eintrete. Die Beachtung insbesondere der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern bleibe nicht hinter der anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zurück. Die Rechtslage in den drei genannten Bereichen entspreche durchaus dem in anderen EU-Mitgliedstaaten angewendeten Maßstab. In manchen Bereichen, vor allem bei den Rechten nationaler Minderheiten, könnten die österreichischen Standards als den in anderen EU-Staaten überlegen angesehen werden.

- Die Regierung habe auch praktische Maßnahmen ergriffen, um die Einhaltung dieser Werte und Maßstäbe zu verbessern, einschließlich der Umsetzung einer Erklärung, die die Parteivorsitzenden der beiden Regierungsparteien am 3. Februar 2000 unterzeichnet hätten. Die konkreten Maßnahmen, die die neue österreichischen Regierung zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus fortgeführt oder ergriffen habe, zeigten, daß die österreichische Regierung sich in diesem Bereich der im Land bestehenden besonderen Probleme bewußt sei. Auch hier spiegele der Umfang der Regierungstätigkeit, mit dem eine selbstkritische Überprüfung der Vergangenheit durchgeführt und die Verdunkelung der Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft sowie jede Form von direkter oder indirekter Diskriminierung und von fremdenfeindlichen Vorurteilen bekämpft würden, die gemeinsamen europäischen Werte wider.

In Bezug auf die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ

- Es gebe Gründe, die Beschreibung der FPÖ als eine rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen auch heute noch als zutreffend anzusehen. Die FPÖ habe fremdenfeindliche Stimmungen in ihren Wahlkämpfen ausgenutzt und gefördert. Dies habe eine Atmosphäre geschaffen, in der offen ausgesprochene Bemerkungen gegen Ausländer salonfähig geworden seien, was Ängste hervorgerufen habe.

- Das Gremium sei der Auffassung, daß die Bundesregierung ebenso bereit sein solle wie der Bundespräsident, fremdenfeindliche und diffamierende Bemerkungen zu verurteilen.

- Die FPÖ habe außerdem versucht, durch das fortdauernde Betreiben von Beleidigungsverfahren Kritik zu unterdrücken.

- Im Gegensatz zu früherem FPÖ-Verhalten und zu Stellungnahmen anderer FPÖ-Funktionäre hätten die von der FPÖ gestellten Minister im großen und ganzen bei der Ausübung ihrer Regierungstätigkeit die Verpflichtungen der Regierung beachtet. Es erscheine nicht ausgeschlossen, daß sich mit der Zeit neue Richtungen innerhalb der Partei herausbildeten. Ob dies tatsächlich geschehe, bleibe abzuwarten.

In Bezug auf die von den Vierzehn getroffenen Maßnahmen

- Es seit nicht Teil des Mandats, eine Äußerung zur Rechtmäßigkeit der von den 14 Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen abzugeben.

- Die Maßnahmen der 14 Mitgliedstaaten der EU hätten nicht nur in Österreich, sondern auch in den anderen Mitgliedstaaten das Bewußtsein für die gemeinsamen europäischen Werte gestärkt. Es könne kein Zweifel bestehen, daß im Falle Österreichs die von den 14 Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen die Anstrengungen der österreichischen Regierung verstärkt hätten. Sie hätten auch die Zivilgesellschaft motiviert, diese Werte zu verteidigen.

- Das Gremium sei aber der Auffassung, daß die von den 14 Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen kontraproduktiv wirken würden, wenn sie fortbestünden, und daß sie daher beendet werden sollten. Die Maßnahmen hätten nationalistische Gefühle im Land geweckt, da sie in manchen Fällen fälschlicherweise als Sanktionen verstanden worden seien, die sich gegen die österreichischen Bürger richteten.

Empfehlungen als Folge des Berichts

- Die drei Verfasser des Berichts empfahlen nachdrücklich die Entwicklung eines Verfahrens innerhalb der EU, um das Eintreten und die Vorkehrungen der einzelnen Mitgliedstaaten für die Beachtung der gemeinsamen europäischen Werte zu überwachen und zu bewerten. Sie sprachen sich für die Einführung von Präventiv- und Überwachungsverfahren in Art. 7 EU-Vertrag aus, damit in Zukunft eine der Situation in Österreich vergleichbare Lage von Anfang an innerhalb der EU behandelt werden könne. Hierdurch würde das grundlegende Bekenntnis der EU zu den gemeinsamen europäischen Werten unterstrichen. Ein solches Verfahren ermögliche zudem von Anfang an einen offenen und nicht-konfrontativen Dialog mit dem betreffenden Mitgliedstaat.

- Durch ein solches Überwachungsverfahren solle der Rat in die Lage versetzt werden, die Entwicklung einer bestimmten Situation in einem EU-Staat zu verfolgen, sie zu bewerten und Maßnahmen zu ergreifen. Neben diesem Überwachungsverfahren solle ein besonderes Präventivverfahren eingerichtet werden, das durch Information und Schulungsmaßnahmen auf jede Form der direkten oder indirekten Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit reagieren könne.

- Es sei wichtig, daß innerhalb der Gemeinschaftsorgane institutionelle Vorkehrungen zur Förderung dieser Ziele getroffen würden. Diese könnten vorsehen: die Schaffung eines Menschenrechtsbüros innerhalb des Rats, das dem Europäischen Rat berichtet; die Ernennung eines Kommissionsmitglieds, das für Menschenrechtsfragen zuständig ist; und vor allem die Ausweitung der Aktivitäten, des Haushalts und der Stellung der bestehenden EU-Beobachtungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die ihren Sitz in Wien hat, um die Errichtung einer vollständigen EU-Menschenrechtsbehörde zu ermöglichen.

Auf der Grundlage dieser Schlußfolgerungen beschlossen die 14 Mitgliedstaaten am 12. September, ihre bilateralen Beziehungen zu Österreich wieder zu normalisieren. Die gegen Österreich ergriffenen Maßnahmen seien nützlich gewesen, könnten aber nun aufgehoben werden. Die in den Schlußfolgerungen des Berichts zuletzt angesprochene Anregung, innerhalb der Union ein Verfahren zu schaffen, mit dem die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten auf die gemeinsamen europäischen Werte überwacht und bewertet werden können, wurde in der Entscheidung über die Aufhebung als „nützlicher Beitrag“ bezeichnet. Das Thema ist gegenwärtig Gegenstand einer rechtspolitischen Diskussion in der Europäischen Union. Die Mitgliedstaaten erörtern im Vorfeld des Europäischen Rats von Nizza, welche Möglichkeiten bestehen, Art. 7 EUV so abzuändern oder zu ergänzen, daß dem Anliegen eines solchen Präventiv- und Überwachungsverfahrens Rechnung getragen werden kann.



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