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Geopolitik und Völkerrecht in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes (IGH)

Verantwortlich:

Achilles Skordas

Über das Projekt:

Das Projekt hat das Ziel, die Beziehungen zwischen Geopolitik und Völkerrecht zu erforschen und die Rolle geopolitischer Faktoren in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes aufzudecken und zu untersuchen. Die Grundkonzepte der Geopolitik werden rekonstruiert und die Begriffe des „Raums“ und der „geopolitischen Systeme“ werden systematisch erfasst und analysiert. Das Projekt wird auch die Auswirkung der geopolitischen Weltbilder, der Strukturen regionaler Rechtsräume und der normativen Ordnungsvorstellungen auf die IGH-Rechtsprechung erläutern. Insgesamt hat das Projekt die Ambition, die Zusammenhänge zwischen Geopolitik und dem IGH aufzuklären, und im Rahmen der Rechtstheorie, Völkerrechtsoziologie und Rechtsdogmatik zu verstehen und zu entwickeln.

Als Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen, deren Funktion die Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit ist, sollte der IGH die Auswirkungen seiner Rechtsprechung in den geopolitischen Systemen berücksichtigen, und bei der Auslegung und Anwendung des Völkerrechts die Erfordernisse der „präventiven Diplomatie“ in Betracht ziehen. Um diese Ziele zu erreichen, sollte der Gerichtshof das normative und faktische Gewicht der globalen und regionalen Interessen bewerten, die von zwischenstaatlichen Streitigkeiten berührt werden können, und dementsprechend auch regionale Rechtsentwicklungen und rechtspolitische Zwecksetzungen verschiedener geopolitischer Systeme und Räume bei der Auslegung des Völkerrechts miteinbeziehen.

Deshalb sind die Parteien in einem IGH-Verfahren und die abstrakte „internationale Gemeinschaft“ nicht die einzigen direkten und indirekten Adressaten der Rechtsprechung. Vielmehr haben die Urteile und Gutachten des IGH große Bedeutung für geopolitische Systeme, Interessen und Konfigurationen. Die IGH-Rechtsprechung wird in einer konkreten „geopolitischen Zeit“ von diversen interessierten und antagonistischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren interpretiert, gewürdigt, verstanden oder missverstanden. Es wird vom Gerichtshof erwartet, dass er die Perspektiven dieser Interessengruppen, ihre rechtspolitischen Vorstellungen, und die Auswirkungen seiner Rechtsprechung in Erwägung zieht.

Der Gerichtshof ist kein passiver Beobachter des geopolitischen Status-quo, sondern ein aktiver Mitgestalter normativer und geopolitischer Semantiken. Der IGH selegiert und bewertet Informationen über die diplomatischen Aspekte von Streitigkeiten und konstruiert die Koordinaten der geopolitischen Umwelt, die für den spezifischen Fall von Relevanz sind. Die IGH-Entscheidungen legen Streitigkeiten unter Berücksichtigung der Belange des internationalen Friedens und der Sicherheit bei, welche das Verhalten von Staaten und geopolitischen Systemen steuern sollten. Dementsprechend sollte der Gerichtshof sich nicht auf eine formalistische Auslegung und Anwendung des Völkerrechts beschränken, sondern er sollte diejenige Interpretation wählen, die die präventive Diplomatie stärkt und den friedlichen Wandel und Evolution der internationalen Ordnung ermöglicht. Einige Entscheidungen und Gutachten entsprechen diesem Model, aber andere nicht.

Das Projekt wird die Rolle der geopolitischen Systeme in der Evolution und Gestaltung des Völkerrechts durch die Rechtsprechung des IGH erforschen. Die relevante Praxis anderer Organe der Vereinten Nationen, insbesondere des Sicherheitsrates und des Menschenrechtsrates, und internationaler Gerichte wird auch untersucht, soweit sie für die Zwecke des Projekts relevant ist. Da der Gerichtshof das „Minenfeld“ der Geopolitik nicht vermeiden kann, wird das Projekt untersuchen, wie die Richterinnen und Richter in Den Haag durch ihre Rechtsprechung Signale setzen können, die die präventive Diplomatie unterstützen, die „Global Governance“ fördern, und die geopolitischen Vorstellungen vom Standpunkt normativer Beobachtung beeinflussen können.

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