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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


950. ASYLRECHT UND ASYLGRUNDRECHT

Nr.91/3

Allein durch eine Eheschließung vor einer Auslandsvertretung des Heimatstaates in Deutschland und die dazu erforderliche Verlängerung des Nationalpasses erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter nicht.

The recognition of a person's right to asylum will not expire for the reason alone that this person has married at a diplomatic office of his or her home country in Germany and, as is required for the purpose of marriage, renewed his or her national passport.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 2.12.1991 (9 C 126.90), BVerwGE 89, 231 (ZaöRV 53 [1993], 397 f.)

Einleitung:

      Der türkische Kläger war in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt worden. Später schloß er vor einem Generalkonsulat seines Heimatstaates in der Bundesrepublik Deutschland die Ehe mit einer Türkin, nachdem ausschließlich zu diesem Zweck zuvor die Geltungsdauer seines Reisepasses für eine kurze Zeitspanne verlängert worden war. Die Ausländerbehörde sah darin Gründe für das Erlöschen der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nach §15 Abs.1 Nr.1 Asylverfahrensgesetz. Seine Klage auf Feststellung des Fortbestehens seiner Anerkennung hatte Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Gemäß §15 Abs.1 Nr.1 AsylVfG erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn der Ausländer sich freiwillig oder durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses erneut dem Schutz des Staates unterstellt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
      Dem Berufungsgericht ist zunächst darin zu folgen, daß §15 Abs.1 Nr.1 AsylVfG nach seinem klaren Wortlaut für das Erlöschen der Asylanerkennung nicht verlangt, daß neben seinen Tatbestandsvoraussetzungen auch objektiv keine Verfolgungssituation mehr besteht. ... Diese Regelung steht mit Art.16 Abs.2 Satz 2 GG in Einklang, denn in den in §15 AsylVfG aufgeführten Verhaltensweisen kommt bei objektiver Betrachtung zum Ausdruck, daß der Asylberechtigte seinen Status als Asylberechtigter nicht beibehalten will ... und eines (weiteren) Schutzes vor seinem Heimatstaat nicht bedarf. ...
      Der Tatbestand des §15 Abs.1 Nr.1 AsylVfG setzt von seiten des Asylberechtigten die Annahme eines "Vorteils" durch den Heimatstaat voraus, insbesondere in Form der Paßerlangung oder -verlängerung, ferner die Freiwilligkeit dieser Annahme und darüber hinaus, daß die Vornahme der Handlung objektiv als eine solche Unterschutzstellung zu werten ist. An letzterer fehlt es hier. Im rechtlichen Ausgangspunkt ist der Anwendungsbereich des §15 Abs.1 Nr.1 AsylVfG im Lichte des Asylgrundrechts zunächst dahin einzuschränken, daß nicht jeder Kontakt des anerkannten Asylberechtigten zu Behörden seines Heimatstaates zum Erlöschen seiner Asylanerkennung führt. Eine solche Betrachtung widerspräche dem seiner humanitären Zielsetzung entsprechenden Schutzzweck des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG. Mit Recht weist der Oberbundesanwalt darauf hin, daß die Gewährung bestimmter "Vorteile" wie etwa zum Zweck der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens diese Folge nicht haben könne. Das Gesetz selbst gibt dadurch, daß es beispielhaft den Tatbestand der Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses als Spezialfall der Verhaltensweisen nennt, mit denen sich der Anerkannte dem Schutz des Heimatstaates unterstellt, den maßgeblichen Anhaltspunkt für die Bewertung anderer Handlungen des Ausländers. Sie müssen von ähnlichem Gewicht sein wie die im Gesetz ausdrücklich benannten Verhaltensweisen. Aber selbst die Annahme oder Verlängerung des Nationalpasses führt nicht in jedem Fall ohne weiteres zum Erlöschen des Asylrechts. Das gilt beispielsweise für einen von regional begrenzter Gruppenverfolgung Betroffenen, dessen Schutz in anderen Landesteilen vom Heimatstaat nicht hinlänglich gewährt wird, weshalb dem Staat die Gruppenverfolgung zuzurechnen ist. Dieser Personenkreis - zu dem der Kläger als von unmittelbar staatlicher Verfolgung Bedrohter nicht gehört - verliert den diplomatischen Schutz seines Heimatlandes in der Regel nicht, so daß ein "erneutes" Unterschutzstellen begrifflich ausscheidet. Aber auch von dieser Fallgruppe abgesehen kann die "Vorteilsannahme" Merkmale aufweisen, die die Annahme einer erneuten Unterschutzstellung nicht zulassen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 20. Oktober 1987 (BVerwGE 78, 152), in dem er eine analoge Anwendung des §15 Abs.1 Nr.1 AsylVfG auf Asylbewerber verneint hat, den Unterschied zur Erneuerung des Nationalpasses durch einen anerkannten Asylberechtigten darin gesehen, daß dieser nach §3 Abs.1 AsylVfG i.V.m. Art.28 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK) vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S.559) einen Reiseausweis erhält, der auch zu Reisen außerhalb der Bundesrepublik berechtigt, so daß für ihn der Besitz eines gültigen Passes seines Herkunftslandes allerdings grundsätzlich entbehrlich ist. Die Annahme oder Verlängerung eines Nationalpasses kann aber erforderlich werden, etwa um Amtshandlungen von Behörden der Bundesrepublik Deutschland vornehmen zu lassen oder vorzubereiten. Ebenso verhält es sich, wenn der Ausländer seinen Paß verlängern läßt, um ... zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht kurzfristig in das Verfolgerland zurückzukehren. Denkbar sind auch Fälle, in denen Asylberechtigte deshalb in ihr Herkunftsland reisen wollen, um Verwandten oder Freunden bei deren Flucht zu helfen ... Derartigen Fallkonstellationen trägt die Genfer Flüchtlingskonvention dadurch Rechnung, daß die Flüchtlingseigenschaft gemäß Art.1 Abschnitt C Nr.4 GK erst dann entfällt, wenn der Flüchtling in das Herkunftsland "zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat."
      Nicht anders ist der vorliegende Fall einer konsularischen Eheschließung zu beurteilen. Ebenso wie die bloße Inanspruchnahme einer Dienstleistung der Auslandsvertretung des Heimatstaates zur Überwindung bürokratischer Hindernisse für Amtshandlungen von Behörden der Bundesrepublik den Tatbestand des §15 AsylVfG nicht erfüllt, tritt der Asylrechtsverlust auch nicht bei der Erwirkung von Amtshandlungen in einer Botschaft oder einem Konsulat des Verfolgerlandes ein, die sich in einem einmaligen, für die Beziehungen zu diesem Land unerheblichen Vorgang erschöpfen. Vorübergehende rein "technische" Kontakte zu Amtsstellen des Verfolgerstaates ändern nichts an der fortbestehenden Schutzbedürftigkeit eines Ausländers, der sich in Wahrheit dem Heimatstaat nicht wieder zugewendet hat. Die Asylberechtigung erlischt vielmehr erst dann, wenn der Ausländer die rechtlichen Beziehungen zu seinem Heimatstaat dauerhaft wiederherstellt. §15 AsylVfG entzieht das Asylrecht demjenigen, der sich den diplomatischen Schutz gleichsam "auf Vorrat" sichert, ohne daß die Erledigung bestimmter administrativer Angelegenheiten ihn hierzu nötigt, oder der sich sonst "ohne Not" wieder in dessen schützende Hand begibt. Entscheidend ist, ob aus dem Verhalten des Asylberechtigten auf eine veränderte Einstellung zum Heimatstaat geschlossen werden kann. Einer Paßausstellung und -verlängerung oder einer ähnlichen Handlung kommt lediglich eine Indizwirkung dahin zu, daß sich der Betreffende wieder unter den Schutz seines Heimatstaates stellen will. Es kann jedoch der äußere Geschehensablauf dieser Indizwirkung entgegenstehen. Hierzu ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Lassen sich aus dem Verhalten des Asylberechtigten Anhaltspunkte dafür ableiten, daß mit der Paßverlängerung keine Wiedererlangung des vollen diplomatischen Schutzes bezweckt war, so fehlt es an dieser weiteren subjektiven Voraussetzung für das Erlöschen der Asylberechtigung nach §15 Abs.1 Nr.1 AsylVfG ...
      Diese aus dem Sinn der Erlöschensregelung angesichts der verfassungsverbürgten Asylgewährungspflicht gewonnene Interpretation des §15 AsylVfG wird durch eine vergleichende Betrachtung der Genfer Flüchtlingskonvention bestätigt. Wie sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zum Asylverfahrensgesetz vom 7. Oktober 1981 ... ergibt, ist §15 AsylVfG der sog. Verlustklausel der Genfer Flüchtlingskonvention nachgebildet. Sie bestimmt in Art.1 Abschnitt C, unter welchen Voraussetzungen Flüchtlinge, die den Flüchtlingsbegriff des Abschnitts A erfüllen, gleichwohl nicht mehr unter die Flüchtlingskonvention fallen. Das ist gemäß Art.1 Abschnitt C Nr.1 GK bei denjenigen Flüchtlingen der Fall, die sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes unterstellen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Mit der Unterschutzstellung ist ... nicht die Rückkehr in die Heimat gemeint, für die der Sondertatbestand der Nr.4 des Art.1 Abschnitt C GK geschaffen ist, sondern vor allem die Inanspruchnahme der Auslandsvertretung des Landes ihrer Staatsangehörigkeit. Wer die Vorrechte in Anspruch nehmen kann, die ihm sein Heimatstaat durch die Aushändigung des Passes im Verkehr mit anderen Ländern einräumt, kann nicht gleichzeitig Flüchtling sein, denn es entspricht dem Sinn der Konvention, für den Flüchtling eine Ersatzheimat zu schaffen und deshalb die Bezugnahme auf den eigenen Paß und damit den Schutz des Heimatlandes überflüssig zu machen ... §15 AsylVfG umschreibt somit gleichsam das "negative" Spiegelbild der Definition des internationalen Flüchtlings als einer Person, "die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder ... will" (Art.1 Abschnitt A Nr.2 GK). §15 AsylVfG und Art.1 Abschnitt C GK betreffen denjenigen, der bei objektiver Betrachtung gezeigt hat, daß er nicht mehr unfähig oder unwillens ist, sich dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehöriger er ist, zu unterstellen. Gemäß den vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlingsfragen herausgegebenen Erläuterungen zu Art.1 Abschnitt C GK ist bei der Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen hiernach die Rechtsstellung des Flüchtlings verlorengeht, zwischen tatsächlicher erneuter Inanspruchnahme des Schutzes und gelegentlichen und beiläufigen Kontakten mit den Behörden seines Heimatstaates zu unterscheiden (Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Genf 1979 S.33). Der Hohe Flüchtlingskommissar verneint ausdrücklich ..., daß bereits die Beschaffung von Dokumenten wie Geburts- oder Heiratsurkunden und die Inanspruchnahme ähnlicher Dienste von den Behörden des Heimatstaates als erneute Inanspruchnahme seines Schutzes angesehen werden kann. Es liegt nahe, daß die bei der Schaffung des Asylverfahrensgesetzes bekannte Rechtsauffassung des Flüchtlingskommissars in die Regelung des §15 AsylVfG mit eingeflossen ist, welche die Erlöschensbestimmungen des Art.1 Abschnitt C GK nachzeichnet.
      An diesen Grundsätzen gemessen weisen die Vorbereitung der Eheschließung und diese selbst vor der türkischen konsularischen Vertretung keinen Bezug zu einer veränderten Einstellung des Klägers zum Heimatstaat auf.